Vera Lengsfeld / 21.12.2011 / 21:02 / 0 / Seite ausdrucken

Die wahre Grundlegung der Demokratie fand in Israel statt

Laudatio für Henryk M. Broder

Am vergangenen Sonntag wurde der diesjährige Ehrenpreis der Deutsch- Israelischen Gesellschaft Aachen e.V. (DIG) an Henryk M. Broder verliehen. Hier meine dort gehaltene Laudatio auf den Preisträger:

Was sagt man über einen Preisträger, der so unterschiedlich wahrgenommen wird von seinen Freunden und seinen Feinden, dass man meinen könnte, es gäbe nicht einen, sondern zwei Henryk M. Broders? Man hasst ihn mit ganzer Kraft, oder man liebt ihn ebenso sehr. Tertium non datur.

Liest man die Ausfälligkeiten der Broderhasser, hat man sofort das Bedürfnis, sich unter die heiße Dusche stellen zu müssen, damit der Dreck, der aus ihren Zeilen spritzt, weggespült wird. Da ich nicht wiederholen will, was diese Leute von sich geben, habe ich mir mal vorgestellt, was heraus kommt, wenn man von dem, was sie behaupten, das Gegenteil annimmt. Dann ist Broder jung, groß, gutaussehend, versehen mit einem Six-Pack-Body. Kurz, ein Kerl, der den Neid der weniger großzügig bedachten erregen muss. Heraus gekommen ist das Bild des geistigen Broder.

Während andere im Fitnessstudio ihren Körper stählen, trainiert Broder sein Gehirn. Nicht, dass da viel Training nötig wäre. Broder scheint alles zuzufallen. Er ist, wie Dirk Maxeiner es ausdrückt, „ein Colombo-Typ“, der scheinbar nebenbei die erstaunlichsten Parallelen und Erkenntnisse aus dem Ärmel schüttelt. Seit vielen Jahren lese ich seine Einträge auf der Achse des Guten, die er mit Dirk Maxeiner und Michael Miersch gegründet hat. Ich möchte schwören, dass sich in all den Jahren kein literarisches Bild und kein Vergleich wiederholt hat. Broder scheint diesbezüglich über ein unerschöpfliches Reservoir zu verfügen.

Anders als seine Kontrahenten schwallt Broder nicht pseudo-intellektuell daher, sondern hat etwas, das heutzutage selten geworden ist: Bildung.Deshalb sind seine Bilder und Vergleiche nicht nur witzig, erfrischend, kurzweilig, originell sowieso, sondern vor allem treffend. Darüber hinaus strahlen Broders Texte, auch bei den ernstesten Themen, eine unverwüstlich gute Laune aus. Diese gute Laune bringt seine Gegner am meisten auf die Palme. Selbst bei den bösesten Angriffen zeigt er ein heiteres Gesicht.

Humor und Hirn, findet unsere gemeinsame Freundin Silvia Meixner, ist auch bei Männern eine eher seltene Kombination. Die Leichtigkeit, mit der Broder druckreif spricht und denkt, die Schnelligkeit seines Reaktionsvermögens, verblüffen immer wieder und haben manchen seiner Gesprächspartner schon zu dem falschen Schluss verleitet, dies müsse mit einer gewissen Oberflächlichkeit einhergehen. Weit gefehlt. Broder ist immer bestens vorbereitet. In dieser Hinsicht ist er ein Profi der ganz alten Schule.

Sein Leitspruch: „Ich kann auf einfache Geister keine Rücksicht nehmen“, löst regelmäßig ein Wutgeheul unter jenen aus, die sich mit Recht selbst als „einfache Geister“ einstufen. Dem Toleranzgebot des Mainstreams hält er entgegen: „Wer heute die Werte der Aufklärung verteidigen will, muss intolerant sein.“

Broder weiß, was der Preis eines guten Gedankens ist: allein gegen die tatsächliche oder gefühlte Mehrheit zu stehen. Um das auszuhalten, braucht man mehr als Humor, nämlich Standfestigkeit. Die hat Broder, ohne dass es Erstarrung bedeutet. Er kann Fehler, die er gemacht hat, einsehen und korrigieren. Auch das ist eher selten.

Unser Freund Michael Miersch beeindruckt, dass Broder lange vor ihm erkannt hat, wie zynisch und menschenverachtend Teile der Linken in unserem Lande sind. Diese Linke ist vor allem freiheitsfeindlich. Freiheit, deshalb stehe ich hier besonders gern als Laudatorin, ist für Henryk Broder das höchste Gut, sein Grundthema. Die Hauptübel unserer Zeit, die zerstörerische Toleranz, mit der sich unsere Gesellschaft freiwillig kastriert, leitet Broder daraus ab, dass nicht mehr Freiheit, sondern Gleichheit zum Leitbegriff geworden ist.

Wenn man heute darüber spricht, dass wir mehr Freiheit als Gleichheit und Gerechtigkeit brauchen, kommt schnell der Vorwurf der Verfassungsfeindlichkeit. Im Mainstream- Feeling wird der Gerechtigkeit die Rolle des Leitwertes im Grundgesetz zugewiesen. Das Gegenteil ist der Fall. Die Verfasser unseres Grundgesetztes haben bewusst der Freiheit den höchsten Rang eingeräumt. Unmittelbar nach Artikel 1 folgen gleich drei Artikel, die Freiheitsrechte garantieren. Im Artikel 2 die persönlichen Freiheitsrechte, im Artikel 4 die Glaubens-, und Gewissensfreiheit und im Artikel 5 die Freiheit der Meinung, Kunst und Wissenschaft. Kein anderer Begriff kommt im GG so häufig vor wie Freiheit. Die Gleichheit wird im Artikel 3 als „Gleichheit vor dem Gesetz“ definiert.  Im Artikel 1 werden die „unveräußerlichen Menschenrechte“ als „Grundlage…jeder menschlichen Gemeinschaft…und der Gerechtigkeit der Welt“ bezeichnet. Mit anderen Worten: ohne Freiheit gibt es weder Gleichheit vor dem Gesetz, noch Gerechtigkeit. Freiheit ist also kein sekundärer Begriff. Das bedeutet nicht, dass sie automatisch die Lösung aller Probleme ist. Freiheit und Demokratie garantieren nicht die Abwesenheit aller Missstände, sind aber die beste Voraussetzung für ihre Beseitigung.

Die Menschen, die 1989 das Joch der Unfreiheit abgeschüttelt haben, wollten ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen, nicht das Paradies errichten. Alle haben dabei gewonnen. Den Hartz-IV-Empfängern geht es heute besser, als es den DDR-Durchschnittsverdienern trotz harter Arbeit je ging. Er kann Dinge essen, die den Ostblockbewohnern kaum dem Namen nach bekannt waren. Er lebt in einer ferngeheizten Wohnung mit Bad und Telefon, ein Komfort, von dem 1989 viele nur träumen konnten. Geschlossene Grenzen, Visagebühren und Zwangsumtausch, sind heute Fremdworte. Die Reichen haben noch die größten Fincas auf Mallorca, aber die Insel gehört längst allen.

An den Schönheiten und dem Reichtum der Welt teilhaben zu können, ohne die sprichwörtliche biblische Müh und Plage, ist ein Zustand, der dem irdischen Paradies so nahe kommt, wie das auf Erden möglich ist.

Unsere Mitbürger mit Migrationshintergrund, einschließlich der illegal Eingereisten, sind hier, weil sie den bedrückenden Verhältnissen in ihrer Heimat entkommen wollten. Sie nehmen sich die Freiheit, die ihnen hier geboten wird. Gleichzeitig gibt es eine Gruppe von Immigranten, die, darauf wird Broder nicht müde hinzuweisen, die Gesellschaft, die ihnen Schutz, Unterhalt, gesundheitliche Betreuung, Bildung und Rechtssicherheit bietet, hassen und verachten. Diese Gruppe ist zwar eine Minderheit, aber eine lautstarke und eine, die vor verbaler und tatsächlicher Gewalt nicht zurückschreckt. Mit welch grotesker Naivität der Mainstream unseres Landes in Politik und Medien damit umgeht, wurde vor wenigen Tagen in Berlin deutlich. Da vergewaltigte ein nachtaktiver Immigrant, der von staatlicher Unterstützung lebt, auf der Heimfahrt am frühen Morgen in der S-Bahn eine zur Arbeit fahrende Frau. Wenig später stellte sich heraus, dass dieser Mann ein „Berlin- Botschafter“ der teuren Werbekampagne „be berlin“ war. Man fragt sich, für welche Botschaft dieser Mann stehen sollte. Man fragt sich noch mehr, nach welchen Kriterien diese „Berlin-Botschafter“ eigentlich ausgesucht werden.

Die gleiche Indifferenz wie gegenüber den freiheitlichen Traditionen, die den Westen stark gemacht haben, legt die Mainstream-Intelligenzia gegenüber Israel an den Tag. Zwar fehlt es nicht an Lippenbekenntnissen zum Existenzrecht Israels, mehrheitlich sind diese Bekenntnisse jedoch mit einem dicken „aber“ verknüpft, das auf die Lage des am höchsten subventionierten Volkes der Welt, der Palästinenser, verweist.

Man muss heutzutage schon ein Newt Gingrich sein, um darauf hinzuweisen, dass es nie einen Staat der Palästinenser gegeben hat und dass die Palästinenser Israel vernichten wollen, weshalb sie immer noch in Flüchtlingslagern verharren, satt sich ein eigenständiges Leben aufzubauen. Die Palästinenser haben sich in der Rolle des Opfers vom Dienst eingerichtet, sind aber hauptsächlich Opfer ihrer Unwilligkeit, ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen.

Kürzlich las ich eine Meldung, dass an der New Yorker Technologiebörse Nasdaq mehr israelische Unternehmen gelistet sind, als Unternehmen aus sämtlichen europäischen Staaten, Korea, Japan, Indien und China zusammen. Das liegt an guter Bildung, vor allem aber an einer besonderen israelischen Mentalität: anpacken und umsetzen, lautet die Devise. „Geht nicht“, gibt es nicht. Von den Palästinensern, die wahrscheinlich mit keinem einzigen Unternehmen an der Nasdaq gelistet sind, hört man höchstens, dass gar nichts geht.

Europa, das sein im Maastricht-Vertrag festgelegtes Ziel, bis 2010 die innovativste, wirtschaftsstärkste, dynamischste Region der Erde zu werden, grandios verfehlt hat und statt dessen wegen seiner Überschuldung allmählich in die Knie geht, könnte jede Menge von Israel lernen. Vor allem ist es höchste Zeit, dass es begreift, dass sich sein Schicksal in Israel entscheidet.

Es ist der Fundamentalirrtum Europas anzunehmen, dass die europäische Demokratie im antiken Athen ihren Ausgangspunkt nahm. Dabei wird übersehen, dass dort Mitbestimmung ein Privileg der männlichen oberen Zehntausend war. Frauen, Handwerker, Bauern, Sklaven waren ausgeschlossen. Die wahre Grundlegung der Demokratie fand in Israel statt. Mit dem Wort: „Eine Thora sei für euch und den Fremdling, der unter euch wohnt“, wurden sämtliche Stammes-, und andere Bindungen überwunden.

Hannes Stein hat das in seinem Buch „Moses und die Offenbarung der Demokratie“ dargelegt: „Gott fährt hernieder in die Geschichte und verbindet sich mit den Gedemütigten und Geschlagenen. Diese unerhörte Handlung machte es möglich, die Würde von allem anzuerkennen, was ein menschliches Antlitz trägt.“ Mehr noch. Beim Bund, den Gott mit Abraham schließt, verschont er einen einzelnen Menschen, Isaak. Damit wurde deutlich gemacht, dass im Zentrum der Ethik das Individuum steht. Ohne Judentum kein Christentum, keine Aufklärung, keine westlichen Werte.

Stein: „Heute kann man dies in jeder Synagoge der Welt besichtigen. An der Wand, die in Richtung Jerusalem weist, befindet sich ein hölzerner Schrein. Er enthält die Pergamentrollen mit den fünf Büchern Mosis. Dieser Schrein wird traditionell mit einer stilisierten Darstellung geschmückt: den zwei Tafeln, über denen die Krone eines unsichtbaren Königs schwebt. Nicht ein Mensch soll herrschen, sondern ein Gesetz. Am Sinai wurde dem jüdischen Volk das Ursprungsprinzip der Demokratie offenbart.“

Ohne Judentum keine Gleichheit vor dem Gesetz.

Heute ist Israel der Vorposten der freien Welt im Nahen Osten. Das Prekäre an seiner Lage ist, dass der freie Westen dabei ist, seine Werte, die ihn so erfolgreich gemacht haben, aufzugeben. Davon geht für Israel eine größere Gefahr aus, als von den Diktaturen an seinen Grenzen. Israel zu verteidigen heißt, dafür zu sorgen, dass die Grundlagen der westlichen Demokratie, die sich aus dem Judentum herleiten, nicht aufgegeben werden. Genau darum geht es Henryk M. Broder.

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