Tamara Wernli / 10.08.2017 / 14:00 / 7 / Seite ausdrucken

Die verwirrte Suchmaschine

Google's „Sexistische Kackscheisse“. Je hysterischer man etwas anprangert, desto mehr Leute lesen den Artikel. Das hat sich wohl jemand beim Schweizer Webportal "Watson" gedacht, als er/sie/es mit obiger Schlagzeile aus dem Fäkalfundus jüngst auf Empörungsmission ging. Und nein, es fand bei "Watson" kein Kindertag statt, der Titel stammt vermutlich von einer erwachsenen Person. Im Zentrum des Geschehens, an dem sich gerade die globale Journaille abarbeitet, steht ein Entwickler bei Google. Der "Frauenhasser" ("Blick") hat sich erdreistet, den geringen Anteil von Frauen in der Technologiebranche mit biologisch unterschiedlichen Interessen der Geschlechter zu erklären. Seine Gedanken hat er auf 10 Seiten niedergeschrieben. Google hat ihn nun entlassen.

Heutzutage muss man ja als Journalist einen Text nicht mehr lesen, um ihn zu beurteilen. Wenn also der Anonyme gar nicht anonym ist, wie "Watson" behauptet (sein Name James Damore steht zuoberst im Manifest), und er auch nirgends schreibt, dass "Männer bessere Programmierer sind" als Frauen, wie ihm unzählige Medien unterstellen, fällt das wohl unter "imaginäre Schreibfreiheit". Und warum überhaupt argumentativ kontern, wenn man einfach nur "Sexist" draufschreiben kann?

Wenn das Manifest "sexistisch" sein soll, unterstütze ich hiermit einen Sexisten, dessen Meinung ich nämlich grösstenteils teile. Nur, es gibt keine einzige Zeile, die sich gegen Frauen richtet, sie herabwürdigt, abqualifiziert oder beleidigt. Damore argumentiert sachlich und ausgewogen, betont, dass er Diversität schätzt, bestreitet auch nicht, dass Sexismus existiert. Bei Google prangert er an, dass das Unternehmen Programme anbiete, "nur für Leute mit einem bestimmten Geschlecht oder Rasse", oder Einstellungsverfahren habe, wo für bestimmte Gruppen "Hürden abgebaut" werden, um "die falsche negative Quote zu verringern". Frauen, schreibt er, hätten tendenziell mehr Interesse an Menschen als an Gegenständen, das erkläre, warum sie eher Jobs in sozialen Bereichen und eine gute Work-Life-Balance ins Auge fassen, während Männer sich eher zu Status hingezogen fühlen und deshalb höher bezahlte Jobs anstreben.

Frauen interessieren sich weniger für Technologie. Na, und?

Den Standpunkt kann man durchaus vertreten. Zahlreiche Studien belegen längst, dass Mann und Frau durchschnittlich andere Charakterzüge und Begabungen haben. Laut einer Untersuchung des britischen Psychologen Simon Baron-Cohen gibt es sogar schon kurz nach der Geburt Unterschiede im Verhalten: Weibliche Babys reagieren eher auf Gesichter, männliche auf Gegenstände. Im Laufe ihres Lebens würden sich diese frühen Züge auf komplexere Arten manifestieren.

Frauen interessieren sich weniger für Technologie. Na, und? Es ist ja nicht so, dass wir nicht die Wahl hätten. Staat und Unternehmen in westlichen Industrieländern leisten heute viel für Chancengleichheit – mit Förderprogrammen, Spezialprojekten, grosszügigem Mutterschaftsurlaub. Natürlich kann man Damores Thesen anzweifeln – genauso wie eine Firmenpolitik, bei der Leute nicht einzig aufgrund ihrer Qualifikationen eingestellt werden, sondern zur Erfüllung einer Quote. Ihn aufgrund seiner (unemotional und durchdacht) geäusserten Meinung zu entlassen, ist zwar angesichts des Staubs, den er damit im Unternehmen aufgewirbelt hat, ansatzweise nachvollziehbar, zeugt aber ansonsten von einer zutiefst antiliberalen Haltung.

Das Manifest liefert doch eigentlich Anlass für spannende Debatten: Warum ist immer nur die Benachteiligung der Frau ein Thema? Warum sprechen wir nie darüber, dass gefährliche Jobs im Bergbau, bei Feuerwehr oder der Müllabfuhr im Regelfall von Männern verrichtet werden? Inwiefern ist es Gleichberechtigung, wenn nur eine bestimmte Gruppe besonders gefördert wird? Diese Dinge gehören diskutiert. "Kackscheisse" ist einzig der Reflex, mit dem gewisse Leute darauf reagieren.

Der Beitrag erschien zuerst in der Basler Zeitung. Tamara Wernli arbeitet als freiberufliche Moderatorin und als Kolumnistin. In ihrer Rubrik „Tamaras Welt“ schreibt sie wöchentlich über Gesellschaftsthemen. Folgen Sie ihren täglichen Wortmeldungen auch auf Twitter.  Ihre Kolumne gibt es teilweise  auch als Videobotschaft, man kann sie auf ihrem YouTube-Kanal abonnieren.

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Leserpost

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Rolf Lindner / 10.08.2017

Als noch 1989 Psychologen der Humboldt-Universität zu Berlin in der Wissenschaftszeitschrift der DDR “Wissenschaft und Fortschritt” in einem Artikel über die geschlechtlich ungleich verteilten Ergebnisse ihrer Messungen rational-analytischer und emotional-verbaler Intelligenz berichteten und außerdem noch behaupteten, dass diese Unterschiede angeboren wären, hagelte es Kritik, besonders in der SED-Zeitung “Neuen Deutschland”, weil entsprechend sozialistischer Ideologie nicht sein konnte, was nicht sein darf. Nicht nur Google befindet sich offenbar auf einem analogen Niveau.

Werner Baumschlager / 10.08.2017

Wer hätte vor 50 Jahren geglaubt, dass die Linken einst die Spießer eines neuen Tugendterrors sein würden und dass du im 21. Jahrhundert wieder deinen Job verlierst wegen Abweichung von der Mehrheitsmoral?

S.Schleitzer / 10.08.2017

Gibt es nicht noch viel sexistischere Berufe als “irgendwasmittechnik”? Letzte Woche auf einem Konzert überlegte ich plötzlich, wieviele Schlagzeugerinnen ich denn in meinem Leben schon so gesehen hätte ...soweit ist mein Kopf also schon verbogen, dass einem sowas plötzlich zufliegt. Seitdem fällt mir immer mehr ein: Maurerin, Kanalreinigerin, Feuerwehrfrau, Bergfrau, Schlachterin, Müllfrau, Überlandleitungsbauerin,...

Andreas Rochow / 10.08.2017

Eigentlich war es unlängst noch irrelevant, ob wissenschaftliche Daten von einer Frau, einem Mann oder etwas divers Dazwischenliegendem referiert werden. Das gilt heute offenkundig nicht mehr. In Zeiten, da es statt um Wahrheit vorrangig um politische Korrektheit geht und ein Abweichen von diesem neomoralischen Gebot Empörungsstürme und gravierende soziale Folgen bis zur Totalächtung nach sich zieht, ist es erfreulich, dass sich zu diesem Topos sehr sachkundig und kompetent eine Frau äußert.

Marcel Seiler / 10.08.2017

“Frauen, schreibt er, hätten tendenziell mehr Interesse an Menschen als an Gegenständen, das erkläre, warum sie eher Jobs in sozialen Bereichen und eine gute Work-Life-Balance ins Auge fassen, während Männer sich eher zu Status hingezogen fühlen und deshalb höher bezahlte Jobs anstreben.” Ich halte das für korrekt. Hinzuzufügen ist: Männer sind, wenn sie sexuell attraktiv sein wollen, gezwungen, einen hohen Status anzustreben, da (und da gibt es – zusätzlich zu den persönlichen Beobachtungen, die jeder kennt, – belastbare Studien) eines der wichtigsten Kriterien für Frauen bei der Wahl des Sexualpartners sein sozialer Status ist. Es gibt gute Gründe anzunehmen, dass dieses Verhalten beider Geschlechter durch die Evolution in uns angelegt, also genetisch bedingt und daher durch “Erziehung” auch im Zeitraum von ein mehreren Generationen nicht grundlegend zu ändern ist. Wer eine humane Gesellschaft will, sollte nicht versuchen, diese Mechanismen zu ändern – das geht nicht und ist grausam an den Erziehungsobjekten –, sondern sich überlegen, wie er diese Mechanismen einsetzt, unsere Gesellschaft zu humanisieren.

Wilfried Cremer / 10.08.2017

Es entspricht auch nicht der Gleichberechtigung, dass Männer im Sommer mit langen Beinkleidern und demselben Schuhwerk wie im Winter zur Arbeit erscheinen müssen.

Jaco Sandberg / 10.08.2017

Damit wird natürlich der Genderismus, eine Fortführung des Maoismus/Stalinismus mit anderen Mitteln, in Frage gestellt. Damit muss der, der es wagt, eine derartige Frage zu stellen, sofort isoliert und geächtet werden. Es gab nie (!) eine offene Diskussion über den Genderismus, und selbst die Verabschiedung dieser Ideologie auf der Weltfrauenkonferenz - übrigens explizit gegen die Stimmen der Afrikaner, die aufgrund Geldmangels dann abreisen mussten - ist eher ein Vorgang, der zum Fremdschämen einlädt. Würde man Menschen heute zu gender befragen, die große Mehrheit wüsste gar nichts damit anzufangen. Dabei greift diese Ideologie mehr und mehr wie eine Krake um sich, um sich so sinnfreien Themen wie Gender-Toiletten (noch lustig) oder Diskriminierung von Vereinssatzungen, die zur Aberkemnung der Gemeinnützigkeit führen (Schluss mit lustig)’ zu widmen. Ich kann nur jedem den Film des norwegischen Komikers Harald Eia ans Herz legen. Dort kommen auch Biologen und Hirnforscher zu Wort, die den Gender-Ideologen mutig widersprechen und fanz klar und überdeutlich machen: Natürlich gibt es einen biologischen Unterschied zwischen Männern und Frauen, und natürlich sind nicht alke gleich - sehr wohl aber gleichwertig. Es ist eine der Absurditäten des linksgrünen Zeitaltets, dass man Selbstverständlichkeiten heute mühsam beweisen muss.

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