Peter Grimm / 25.02.2018 / 11:30 / Foto: Gordito1869 / 25 / Seite ausdrucken

Die Verbissenen

Deniz Yücel war nach einem Jahr in türkischer Haft noch nicht lange frei, als er Gegenstand einer grotesken Bundestagsdebatte wurde. Was trieb eigentlich die AfD-Fraktion dazu, zu fordern, die Bundesregierung möge sich jetzt von üblen Aussagen in Yücels alten taz-Kolumnen zu distanzieren? Dies sei nötig, weil sich die Regierung doch so stark für seine Freilassung aus türkischer Haft eingesetzt hätte, begründete ein Redner dieses Ansinnen. 

Es war nicht schwer, vorherzusagen, dass die AfD dabei eigentlich nur verlieren konnte. Leichter konnte sie es ihren Gegnern nicht machen, sie als Schmuddelkinder vorzuführen, die aus deren Sicht ja ohnehin nicht ins Parlament gehören. Viele brauchen dafür zwar keinen Anlass, weil sie ein klares Feindbild haben, aber es ist dennoch dumm, ihnen auch noch die Munition dafür zu liefern. Doch ist es wirklich nur Dummheit? Oder ist es der Wunsch, all jenen zu gefallen, die in Yücel den Türken sehen, der einst in einer bösen Polemik seine Freude am Aussterben des deutschen Volkes verkündete?

Ich finde es auch nicht amüsant, wenn jemand meiner Ethnie das Aussterben wünscht. Aber erstens ist der Text schon etliche Jahre alt und zweitens war Yücels damalige taz-Kolumne erkennbar kein Ort feingeistiger Analyse, sondern deftiger Polemik. Das muss man nicht mögen, aber in einer freien Gesellschaft ertragen. Und wenn Äußerungen die Grenzen der Meinungsfreiheit verletzen, dann kann und sollte man die Justiz bemühen. 

20.000 Euro Entschädigung

So hatte es übrigens 2013 Thilo Sarrazin gemacht, nachdem ihm Yücel in ebendieser taz-Kolumne gewünscht hatte, ein weiterer Schlaganfall möge sein Werk richtig verrichten. Dafür musste die taz wegen schwerer Verletzung des Persönlichkeitsrechts 20.000 Euro Entschädigung zahlen, entschied das Landgericht Berlin damals. 

Und auch Yücel hatte seiner Kolumne eine "Klarstellung" nachgeschoben, in der er unter anderem erklärte, "dass ich jedem ein möglichst langes Leben frei von Krankheit wünsche, gerade auch erfolgreichen Buchautoren, Letzteren allein schon deshalb, weil sie damit die Chance gewinnen, etwas dazuzulernen und von Irrtümern abzulassen".

Damit sollte der Fall eigentlich erledigt sein. Es gab weder einen triftigen Grund, ausgerechnet diesen Yücel-Satz wieder im Bundestagsplenum hervorzukramen, noch von der Bundesregierung eine Distanzierung zu verlangen. Die Gerichte haben das ihrige geklärt und Geschmacksfragen sind nicht Angelegenheit der Regierung, es sei denn, es geht um die eigenen Äußerungen der Regierenden. Ansonsten sollte man politische Verantwortungsträger bei der Bewertung von Äußerungen ihrer Bürger eher zu mehr Zurückhaltung auffordern, statt zu lauten Distanzierungen.

Dass Regierungsmitglieder Demonstranten als „Pack“ bezeichnen und damit das Klima vergiften, dass sie in ihren Augen unpassende oder geschmacklose, aber nicht strafrechtlich relevante Sprechchöre beinahe regierungsamtlich zur Gefahr für die Demokratie erklären, heilt man nicht dadurch, nun auch – quasi zur Ausgewogenheit – amtliche Missbilligungen in andere Richtungen zu verlangen. Im Gegenteil: So wird die Freiheit immer mehr in die Zange genommen. So jedenfalls verteidigt man die Freiheit nicht gegen den illiberalen Kurs der letzten Regierung, sondern macht den Bock zum Gärtner.

"Weg zu den 72 Jungfrauen abkürzen"

Doch noch einmal zurück zu Yücel: Der war in seiner taz-Kolumne nicht nur zu den Deutschen grob. Im Umgang mit den Kriegern des Islamischen Staats empfahl er, diese doch möglichst schnell ins Paradies zu befördern:

"Denn antworten kann man diese Bande von Lynchmördern nur in der Sprache, die sie verstehen; das einzige Mittel, sie aufzuhalten, besteht darin, ihren Weg zu den ersehnten 72 Jungfrauen abzukürzen. Das klingt martialisch. Aber anders hat man noch keine faschistische Armee von ihrem Tun abhalten können."

Eigentlich müsste diese Passage ja populärer sein als die mit den aussterbenden Deutschen, zumindest unter all denen, die gern als Populisten geschmäht werden. Dennoch ist letztere bekannter und sorgt immer wieder für Aufregung. Manche Deutsche sind darob so nachhaltig wütend, dass sie forderten, die deutsche Regierung möge keine Bemühungen anstellen, Yücel aus türkischer Haft zu befreien. Und als sich Noch-Außenminister Sigmar Gabriel dafür feiern ließ, Yücel frei bekommen zu haben, kam nun die AfD-Fraktion offenbar auf die Idee, sich zur Stimme all dieser Wütenden zu machen.

Für seine Positionen, die er hier in Deutschland vertreten hat, kann ihn jetzt, da er in Freiheit ist, jeder, der mag, auf dem heimischen publizistischen Kampfplatz stellen. Mit der Verfolgung durch den türkischen Machthaber Erdogan hatte das nichts zu tun. Im Gegenteil: In seiner Korrespondentenzeit in der Türkei hat Yücel auf Kampfansagen Erdogans aufmerksam gemacht, die hierzulande leider kaum angemessen gewürdigt wurden, wie beispielsweise im Mai 2015. Da berichtete Yücel von einem Massenaufmarsch in Istanbul mit einer einpeitschenden Rede Erdogans:

„Eroberung heißt Mekka. Eroberung heißt Sultan Saladin, heißt, in Jerusalem wieder die Fahne des Islams wehen zu lassen.“

Yücel berichtet von der Organisation des Aufmarschs, davon, dass Beamte und Arbeiter des öffentlichen Dienstes von Vorgesetzten aufgefordert wurden, an dieser Kundgebung teilzunehmen. Schulen wurde mitgeteilt, wie viele Lehrer und Schüler sie abzustellen hätten, und bei Zuwiderhandlungen mit Sanktionen gedroht. Und denen rief Erdogan nochmals zu: „Ihr seid die Generation, die Damaskus und Jerusalem erobern wird“. Hätte man Yücels Korrespondentenberichte vor drei Jahren angemessen zur Kenntnis genommen, wäre vielleicht die in der Folgezeit hierzulande so präsente Verwunderung über die Politik des Machthabers in Ankara etwas kleiner gewesen.

Illiberalität haben wir mehr als genug

Kein Wunder, dass der klarsichtige Korrespondent einen prominenten Platz auf den schwarzen Listen des Möchtegern-Sultans bekam. Und es ist nicht mehr als eine Selbstverständlichkeit, dass sich die Bundesregierung für seine Freilassung einsetzte. Dass andere zu Unrecht Inhaftierte das gleiche Engagement verdienen, ist natürlich richtig. Ebenso wichtig ist es, das auch von der Bundesregierung immer wieder zu fordern. Und was die Vermutungen über Zusammenhänge mit Rüstungsdeals angeht, hatte Yücel noch in der Haft klar gesagt, keinen solchen Deal zu wünschen. Insofern wird er dies vielleicht selbst auch noch angemessen kommentieren.

Aber weder die Yücel-Anprangerer von der AfD, noch die, die sich als seine Verteidiger und Befreier feiern, nehmen eine andere Frage auf, die der Fall Yücel eigentlich überdeutlich aufgeworfen hat: Ist dessen einjährige Haft nicht auch ein geeigneter Anlass, darüber nachzudenken, ob es wirklich richtig ist, so engagiert die doppelte Staatsbürgerschaft zu propagieren, wie es die meisten Parteien tun? Die Türkei hatte dadurch jegliches Recht, dem Doppelbürger die deutsche konsularische Unterstützung zu verweigern, denn für sie ist er kein Ausländer. Auch wenn die Multikulturalisten das Problem gern kleinreden, kann die geteilte Loyalität nicht nur für den Staat, sondern auch für den Doppelstaatsbürger im Ernstfall gefährlich werden. Sie ist eben doch nicht nur ein Privileg. Hier die Bundesregierung zu einer Stellungnahme zu zwingen, hätte vielleicht wirklich eine überfällige Debatte wieder auf die Tagesordnung gebracht. Stattdessen sahen wir zu, wie sich heutige Bundestagsabgeordnete an alten Polemiken eines Polemikers abarbeiteten.

Aber muss man über diesen Vorgang nach einigen Tagen eigentlich noch diese Worte verlieren? Ja, denn einerseits hatte der Autor dieser Zeilen keine Lust, gleich nach der Debatte in den Chor derer einzustimmen, die unabhängig von der jeweiligen inhaltlichen Substanz keinen Anlass verpassen, die AfD anzuprangern. Andererseits spricht aus dem  Antrag der Geist einer mich erschreckenden Illiberalität. Und Illiberalität gibt es im deutschen Politikbetrieb sowieso schon zu viel. Da brauchen wir keinen Zuwachs.

Es ist schlimm genug, dass die führenden Vertreter der staatstragenden Parteien wenig Probleme zu haben scheinen, die Grundrechte einzuschränken, die Freiheit zu beschneiden beziehungsweise zu ihrer weiteren Eingrenzung aufzurufen. Ob mit dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz oder anderen Initiativen wird schon zu oft versucht, missliebige Inhalte und Äußerungen zu löschen oder für nicht diskussionswürdig zu erklären, gern begründet mit Fragen des guten respektive schlechten Geschmacks. Wer auf diese Intoleranz mit der Forderung nach mehr Intoleranz in der Gegenrichtung reagiert, arbeitet mit daran, die Grenzen der Freiheit immer enger und enger zu ziehen. Doch Freiheit in einem engen Korsett – und sei es das Korsett des guten Geschmacks – ist keine Freiheit.

Der Beitrag erschien auch hier auf sichtplatz.de

PS. Die Achse hat die betreffende Yücel-Kolume schon immer im Rahmen der Aktion "Demokratie lebt!" als Beispiel für das demokratische Meinungs-Spektrum verlinkt. Die Frage dazu lautete: Wieviel Meinung hältst Du aus? (Runterscrollen bis zu "Medien-Check" und dann auf TAZ klicken).

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Sepp Kneip / 25.02.2018

Man muss die Forderung der AfD, sich von Yücels Äußerungen zu distanzieren, nicht gut heißen. Dennoch hat sie bewirkt, dass es eine Diskussion im Bundestag darüber gegeben hat, wie man mit solch hasserfüllten Äußerungen gegen das Land und Personen, egal wann diese ausgesprochen wurden, umzugehen hat. Dass die AfD nicht auf Beifall aus war, dürfte jedem klar sein. Reden, die von allen Seiten Beifall bekommen, gibt es viel zu viele im Bundestag. Die AfD ist Oppositionspartei und hat ihre Finger in Wunden der Regierenden zu legen. Anlass war ja nicht die Haftentlassung Yücels als solche, sondern der Brimborium, der um diese Ikone der “Deutschfreundlichkeit” gemacht wurde. Ob Yücels Äußerungen nun von der Pressefreiheit oder als Satire gedeckt sind, sei mal dahingestellt. Eines hat die Debatte jedenfalls auch klar gemacht: licet iovi non licet bovi. Was aus der einen Ecke kommt, wird anders bewertet, als das, was aus der anderen Ecke kommt. Dieses zweierlei Maß ist es, was zur Spaltung der Gesellschaft beiträgt.

Gregor Reichelt / 25.02.2018

Wären die Linken tatsächlich “antirassistisch” oder “antifaschistisch”, würden sie auf der Straße stehen & gegen Isis demonstrieren. Tatsächlich fürchten sie diese Vorwürfe & deshalb reagiert Özdemir auch so hochaggressiv. Der “antifaschistische Schutzwall” richtete sich nicht gegen Polizeistaaten, sondern gegen die eigenen Staatsbürger. Der Antirassismus dieser Leute richtet sich nicht gegen Isis, sondern gegen Grenzen. Herr Özdemir hat allen Grund zu fürchten, dass den Grünen ihre Vorsitzenden vorgeworfen werden & ihr äußerst selektiver “Antirassismus”, der letztlich schon an die Unterstützung von tatsächlichen Vorurteilen & wirklichen Anschlägen heranreicht.

Karla Kuhn / 25.02.2018

Deniz Yücel ist mir erst seit seiner Verhaftung in der Türkei bekannt und ich habe mich ein wenig schlau gemacht.  Wenn eine Person so eine Einstellung hat, dann glaube ich nicht, daß sie geläutert ist. Abgesehen, sollte man nicht auf die AfD eindreschen, das erfährt sie Tag täglich von anderer Seite. Vor allen von jenen, die genug vor der eigenen Türe zu kehren haben.  Was mich an dem Fall Yücel wirklich aufregt, daß  seine Freilassung (angeblich oder wirklich ?) durch einen unsäglichen Deal zustande gekommen sein soll.

volker kleinophorst / 25.02.2018

Wieso nicht. Politiker-Mails aus dem letzten Jahrhundert sind doch auch relevant, wenn es um “Rechts” geht. Außerdem hat das nicht auf der Pfanne was für ein Prunkstück gelungener Integration Herr Y ist.

Leo Anderson / 25.02.2018

Natürlich kann Yücel schreiben was er will, und die taz kann es auch drucken. In dieser Hinsicht ist D. noch ein freies Land. Ich frage mich aber, ob man über Türken (Araber, Muslime, illegale Einwanderer etc.) so schreiben dürfte, wie Yücel über Deutsche, ob es auch als “Satire” bezeichnet noch gedruckt, ob man dafür nicht als Fremdenfeind, Islamophobiker, Rassist, Nazi usw. beschimpft würde und nicht auch noch Besuch von der Antifa bekäme. Man stelle sich einmal vor, jemand schriebe einen satirischen Artikel über die unter Türken weit verbreitete Ehe zwischen Blutsverwandten und über Schwachsinn und Behinderungen in der Nachkommenschaft als Folge davon. Was dann?

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