Christoph Spielberger / 26.09.2012 / 22:16 / 0 / Seite ausdrucken

Die USA im Hohlspiegel

Der New York- Korrespondent des SPIEGEL, Marc Pitzke, ist einer der wackersten Schreiber für das deutsche Missverständnis von den USA. Aus einem Land, in dem sich seit Jahrzehnten doppelt so viele Menschen als konservativ wie als liberal bezeichnen, schreibt er seit Jahren unermüdlich gegen die dortige Wirklichkeit an, so als ob die USA das gescheiterte Europa wären. Wie viele seiner deutschen Kollegen an vergleichbarer Stelle, bedient er den hauptsächlich in der Deutschen Linken gut verankerten Antiamerikanismus. Seit der Amtszeit von Barack Obama darf dieser eine wohlverdiente Pause machen.

Pitzke nimmt Berichte der linken Leitmedien der USA, also der New York Times und Washington Post, von ABC, CBS, CNN, NBC, MSNBC, sowie die Pressemeldungen der Obama-Regierung, übersetzt sie ins Deutsche, fügt eine deutsche Prise hinzu und maskiert dies als Reportagen. Wer sonst nichts über die USA weiß oder keine anderen Medien benutzt, merkt nicht, welch’ einseitige Sicht dies produziert. Auch, weil Pitzke repräsentativ ist für die deutsche, wie die US- amerikanische Presse: laut mehrerer aktueller Umfragen, sind über 80% der Berichterstattung über den Herausforderer Mitt Romney negativ, bei Obama ist es genau umgekehrt. Die Korruption der US- Presse geht so weit, dass sie die Strategie ihrer Attacken gegen Romney direkt aus dem Weißen Haus erhält. Das Vertrauen der US- Bürger in die Objektivität ihrer Presse hat gerade ein historisches Tief erreicht.

Die Subjektivität des Herrn Pitzke soll hier anhand eines Satzes dargestellt werden. Er stammt nicht aus einem dieser unfreiwillig komischen ‚wenn Romney die Wahl gewinnt, geht die Welt unter’- Artikel,  sondern aus unverdächtigem Zusammenhang: dass sein Präsident es nicht schafft, sich während der UNO-Woche in New York mit Israels Premierminister Benjamin Netanjahu zu treffen, beschreibt Herr Pitzke in einem SPIEGEL-Artikel vom Dienstag (25.09.) so:  Das Thema Iran mit Atomwaffen „dürfte auch Obama an diesem Dienstag vor der Vollversammlung betonen. “Es darf Iran nicht erlaubt werden, eine Atomwaffe zu entwickeln”, wiederholt sein Sprecher Jay Carney. Amerikas Verpflichtung zur Sicherheit Israels sei “so stark wie immer und von Natur aus unzerbrechlich”. Obama hat diesmal natürlich leider keine Zeit, den israelischen Premier Benjamin Netanjahu hier zu treffen.“

„Obama hat natürlich keine Zeit,“ das klingt zu hochnäsig, „Obama hat diesmal leider keine Zeit,“ zu unterwürfig, so wurde es halt: Diesmal natürlich- leider keine Zeit: Herr Pitzke reiht hier Worte aneinander, die sich widersprechen. Was er damit sagen will, ist: Obama ist kurz vor der Wahl so beschäftigt, also natürlich mit viel Wichtigerem beschäftigt, dass es ihm leid tut, Netanjahu nicht treffen zu können. Interessant ist der nahtlose Übergang vom Statement des Pressesprechers zu seiner eigenen, wertenden Erklärung: es reicht ihm nicht aus, mitzuteilen, dass das Treffen nicht stattfindet, durch die Hinzufügung von „natürlich“ und „leider“, die im Folgenden nicht erklärt werden, wirkt der Satz wie der Epilog des Pressesprechers. So bleibt es letztlich unklar, ob es für Obama oder für Herrn Pitzke naturlich ist, dass es keine Zeit für ein Treffen gibt. Und ob es Herrn Obama oder Herrn Pitzke leid tut. Sicher ist nur, dass Herr Pitzke so schreibt, dass es keinen Unterschied macht.

Da seine Worte recht treffend die offizielle Haltung der Regierung wiedergeben, ist es lohnenswert, sie etwas genauer zu betrachten: Was das ‚leid tun’ betrifft, hat sein Pressesprecher Carney sich wirklich alle Mühe gegeben, die ganze Sache als einen ganz bedauerlichen Zufall darzustellen. Obama selbst hat es aber gerade in einem Fernsehinterview geklärt. Gefragt, wie sehr er den Druck Netanjahus, mehr im Kampf gegen die iranische Atombombe zu tun, spüre, antwortete er: „Wenn es um Entscheidungen bezüglich unserer nationalen Sicherheit geht, ist aller Druck, den ich fühle, einzig das zu tun, was richtig für das Amerikanische Volk ist, und ich werde jedweden Lärm da draußen abblocken.“ Die nationalen Sicherheitsbedenken Israels, vorgetragen durch Netanjahu, sind für Obama Lärm, Krach.

Dieses Verhalten fügt sich nahtlos in eine lange Reihe von Herablassungen gegen Netanjahu ein, von denen die bekannteste seine Antwort auf Sarkozys Bemerkung war, er könne Netanjahu nicht ausstehen, weil er ein Lügner sei und Obama ihm beipflichtete. Die plumpeste ist in Deutschland weniger bekannt, sie fand bei Netanjahus Besuch im März 2009 statt: Nachdem es wegen dem ‚Siedlungsbau’ in Jerusalem zu einem offenen Zerwürfnis mit Hillary Clinton gekommen war, musste Netanjahu das Weiße Haus durch den Dienstboteneingang betreten, zwischen Müllsäcken hindurch. Obama legte Netanjahu seine Positionen zur Lösung des Palästinenserkonfliktes vor, als Bedingungen, die er zu akzeptieren habe. Als Netanjahu widersprach, sagte Obama, er müsse nun mit seiner Familie zu Abend essen, wenn Netanjahu sich entschieden hätte, könne er ja Bescheid sagen. Obama ließ seine Gäste, Netanjahu plus Entourage, für zwei Stunden in einem Nebenzimmer warten. Ohne Presseerklärung und Fototermin verließ Netanjahu das Weiße Haus, wie er es betreten hatte, durch die Hintertür.

Interessanter noch ist das „natürlich keine Zeit“ des Herrn Pitzke. Es bezieht sich auf die Kollision der UNO- Vollversammlungswoche mit dem Endspurt im Wahlkampf. Netanjahu ist in New York von Donnerstagmittag bis Samstagnacht. Er hat auch angeboten, nach Washington zu kommen. Der Dienstplan von Herrn Obama ist noch nicht bekannt, schaut man sich aber die letzten zwei Wochen seiner Tätigkeit als Amerikanischer Präsident an, wird klar, was er ‚natürlich’ so tut: Der überwiegende Teil seiner Zeit wird von Kampagnenterminen eingenommen. Er bestreitet zwölf Wahlkampfreden und Wahlspendengalas, in neun Bundesstaaten. Von Colorado bis Virginia, von Ohio bis Florida. Dazu weitere fünf ‚große’ Wahlkampftermine, in landesweiten Fernsehsendungen, darunter zweimal ‚60 Minutes’ (CBS), ‚David Letterman’ (CBS) und ‚The View’(ABC).

Für ‚The View’, eine Vormittags-Frauen-Boulevard-Talkshow mit vielen Zuschauerinnen, kam Obama mit seiner Gattin Michelle und scherzte, er sei „hier ja bloß als Blickfang anwesend.“ Während des wichtigsten außenpolitischen Ereignisses des Jahres, während die muslimische Welt sich am Antiamerikanismus labt, kurz vor der iranischen Atombombe, verbrachte Präsident Blickfang zwei nette Plauderstunden auf der Couch neben ein paar gealterten Mädchen im New Yorker Studio von ABC. Natürlich. Seine Außenministerin traf sich währenddessen mit Staatsoberhäuptern.

Einer von Obamas Kampagnenberatern hat das so erklärt: dieses Jahr sei Kampagnenzeit wichtiger als Zeit mit Staatsoberhäuptern, denn „wenn er sich mit einem Staatsoberhaupt getroffen hätte, hätte er sich mit zehn treffen müssen.“ Daher wird Obama während seines gesamten Aufenthaltes in New York gar keine Staatsoberhäupter und Regierungsführer in Einzelgesprächen treffen, auch aus Angst vor unerwarteten Ereignissen, sprich: schlechten Schlagzeilen. Das geplante Treffen mit dem ägyptischen Präsidenten Morsi Dienstagabend wurde auch abgesagt.

Der öffentlich einsehbare Dienstplan Obamas spricht nicht von sehr viel Arbeitszeit, zumindest nicht in der Funktion als Präsident: Arbeitsbeginn des Präsidenten ist nie vor neun Uhr, meist erst ab 10:00 Uhr und später. An den Wochenenden hat der Präsident frei. Der 13. September, z.B., hat nur einen Programmpunkt, eine Wahlkampfrede in Colorado, plus Rückflug, Dauer: sechs Stunden. Der 17. September beginnt um 9:10 Uhr und endet um 20:05. Von den knapp elf Stunden beanspruchen Wahlkampveranstaltungen, inklusive Reisezeiten: 10 Stunden 20 Minuten, der Rest: das tägliche Briefing: 35 Minuten. Der 19. September beginnt um 10:30 Uhr mit dem täglichen Briefing, auf dem Rückflug von New York, dann ein Pressebriefing mit Pressesprecher Carney, Mittagessen mit Vizepräsident Joe Biden, Arbeitsende 14:00 Uhr. Ein Wahlkampfslogan von Mitt Romney lautet: „Obama isn’t working.“

In den zwei Wochen gibt es drei Termine der präsidialen Repräsentation, wie den Empfang der US- Parolympics- Mannschaft. Ganz wenige Termine haben vollkommen politischen Charakter. Konsultationen mit Vertretern von Kongress oder Senat zu aktuellen Themen: keine. Zwei Termine waren nicht eingeplant: der Empfang der Leichen des Botschafters und seiner Mitarbeiter aus Benghazi (14.09.), sowie zuvor das Statement zur Ermordung derselben im ‚Rose Garden’, mit einem anschließenden Lagegespräch im Außenministerium (12.09.).

Doch schon wenige Stunden danach war Obama wieder in seinem natürlichen Wahlkampfmodus und verglich seine Wahlkampfhelfer mit den Ermordeten in Libyen: „Offensichtlich (obviously) sind unsere Herzen gebrochen für die Familien (der Getöteten), aber ich wollte jene Leute im State Department ermutigen, weil sie viel bewegt haben. (…) Die Opfer, die unsere Truppen und unsere Diplomaten erbringen, sind offensichtlich ganz verschieden von den Herausforderungen, vor denen wir hier im Lande stehen, aber wie jene, seid Ihr (Wahlkampfhelfer) solche Amerikaner, die spüren, dass wir noch mehr tun können, als jetzt. (...) Ich bin sehr stolz auf Euch.“

Am gleichen Tag, als Obama diesen Vergleich machte, kam heraus, dass er im vergangenen Jahr nur an 38% seiner täglichen Sicherheitsbriefings teilnahm. Das letzte Briefing vor der Attacke besuchte er am 5. September. Das Weiße Haus erhielt Hinweise auf die Attacke am 8. oder 9. September, inklusive Ort und Datum. Es war der 11. September in Benghazi. Auch das Briefing am Tag nach der Attacke besuchte Obama nicht. Er musste ganz schnell, offensichtlich, zu zwei Wahlkampfveranstaltungen nach Las Vegas. Oder, wie es Herr Pitzke sagen würde: Diesmal war natürlich leider keine Zeit.

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