Wer mit der Sprache auf Kriegsfuß steht, der verhackstückt sie als Wörterliste. Wörterlisten sind im Augenblick die große Mode, vor allem nostalgisch umflorte oder gesellschaftskritisch gemeinte Wörterlisten. Da gibt es einen Wettbewerb sowie ein Lexikon der bedrohten Wörter, es gibt die auch aufs Vokabular gerichteten Schulmeistereien Bastian Sicks, und es gibt den alten Kulturkalender-Lückenfüller im Januar, nämlich die Bekanntgabe des Unworts.
Seit 16 Jahren wird nämlich nicht nur das Wort des Jahres, sondern fünf Wochen danach auch noch das Unwort gekürt. Und immer geht es zu wie beim literarischen Nobelpreis: die Wahl fällt stets so aus, wie es niemand erwartet hat, und Mißgriffe sind beinahe Prinzip. Während aber das Wort des Jahres nur eine harmlose öffentliche Unterstreichung darstellt, kommt das Unwort aus dem Geist der Kritik. Mit erhobenem Finger und vorwurfsvollem Kopfschütteln meldet sich der Frankfurter Sprachprofessor Horst Dieter Schlosser zu Unwort und prangert an. Er ist der Unkarl Unkraus unserer Zeit: unwitzig, uninformiert und stilistisch unbedarft. Mal geißelt er einen Begriff, der selber kritisch-satirischen Charakter hatte – wie einst das „sozialverträgliche Frühableben“, mal schreibt er ohne jede Quellenprüfung dem Bundesinnenminister ein Wort – nämlich „Begrüßungszentren“ – zu, das dieser nie gesagt hat, und mal ereifert er sich über eine Formulierung wie die „Ich-AG“, die zwar salopp, aber keineswegs „inhuman“ und „sachlich grob unangemessen“ war.
Schlosser verrichtet seine Abwehr- und Empörungsarbeit nicht allein, sondern ist von einer Jury aus so bedeutenden Sprachkünstlern und -wissenschaftlern wie Nina Janich, Margot Heinemann und Rudolf Hoberg umgeben. Sie alle haben bis jetzt nichts als ein paar schmalspurige Fachveröffentlichungen vorgelegt. Doch scheinen sie sich auch über das Fachliche hinaus gut zu verstehen. Denn die Unwort-Jury hat eine klar erkennbare politische Agenda: sie kämpft tapfer gegen die schlimmen wirtschaftlichen Zwänge unserer Zeit. Wenn schon Oskar Lafontaine die Globalisierung nicht stoppen kann, so können Professor Schlosser und Kollegen wenigstens gegen „Humankapital“ (vorletztes Jahr) und „Entlassungsproduktivität“ (letztes Jahr) zu Felde ziehen. Sprachwissenschaftler gegen Wirtschaftswissenschaftler: das ist freilich ein lustiges Ringen an der Iversität, pardon: der Un-iversität.
Überhaupt entsteht ja eine tolle Dialektik, wenn man mit der Vorsilbe „Un“ hineinfährt: da steht die Sprache Kopf, die Begriffe gehen sich selbst an die Gurgel, die Wörter vermehren sich um ihr Gegenteil und dann auch noch um ihr Ungegenteil. Die Medien funktionieren bei dieser Unwortklauberei wie Pawlowsche Hunde: wenn in Frankfurt geklingelt wird, dann drucken und senden sie wie verrückt. Sollen sie! Nur wer noch mal behauptet, das hätte irgend etwas mit Karl Kraus zu tun, der wird erschossen oder muß zur Strafe alle Jahrgänge der „Fackel“ abschreiben.