Ramin Peymani, Gastautor / 26.06.2018 / 13:00 / Foto: R4BIA.com / 15 / Seite ausdrucken

Die Türkei auf dem Weg in Erdoğans Kalifat

Recep Tayyip Erdoğan hat sich endgültig der Demokratie entledigt. Mit seiner Wiederwahl und der nun vollendeten Verfassungsreform, die ihn als Staatspräsidenten auch zum Regierungschef macht, hat sich der Sultan vom Bosporus die uneingeschränkte Macht gesichert. Erdoğan hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er sich demokratischer Prinzipien nur so lange zu bedienen gedenkt, bis seine Allmacht zementiert ist. “Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind”, bekannte er als Oberbürgermeister von Istanbul schon vor 20 Jahren.

“Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten”, gab er die Marschrichtung vor, und jeder konnte erkennen, dass sich hier einer auf den Weg macht, das Land zu einem islamischen Gottesstaat umzubauen. Zu zehn Monaten Gefängnis verurteilte ein damals noch funktionierender Rechtsstaat den religiösen Einpeitscher wegen Aufstachelung der Bevölkerung zu Hass und Feindschaft, vier davon saß dieser tatsächlich ab.

Es war früh klar, dass hier ein Mann in höchste politische Ämter strebt, der nicht weniger plant, als die Errichtung einer Diktatur. Unverkennbar sind die Parallelen zum dunkelsten Kapitel des 20. Jahrhunderts. Dies gilt auch für Erdoğans Parteien. Schon die “Nationale Heilspartei” erinnerte dem Namen nach an historisches Unheil, und auch die später verbotene Nachfolgeorganisation “Wohlfahrtspartei” und deren ebenfalls verbotene Nachfolgerin, die “Tugendpartei”, waren nationalistische Gruppierungen mit islamistischer Grundausrichtung.

Erdoğan wird künftig über eine Türkei herrschen, die er systematisch zu einem Kalifat umgebaut hat. Nur noch Kulisse sind Regierung, Parlament und Gewaltenteilung. Ein weiteres Stück Land auf unserem Globus fällt damit dem fundamentalistischen Islam zum Opfer, wie dies im Nahen und Mittleren Osten seit einem halben Jahrhundert der Fall ist. Die Türkei verliert ihre “Brückenfunktion”, ihr Wert für den Westen sinkt rapide.

Seine Auslandsarmeen haben ihm den Sieg beschert 

Dennoch ist es vor allem Angela Merkel, die den Sultan auch weiterhin braucht, um ihren zwangsläufigen Abschied aus dem Kanzleramt hinauszuzögern. Zwar ist der “Flüchtlingsdeal” mit der Türkei das Papier nicht wert, auf dem er steht, doch reicht der medial zur Heldentat aufgemotzte Bückling der Kanzlerin nach wie vor, um Lieschen Müller Sand in die Augen zu streuen und einen Teil der Fluttore geschlossen zu halten.

Erdoğan hingegen braucht die türkeihörige Bundesregierung nun nicht mehr, um ihm Wahlkampfauftritte in Deutschland zu ermöglichen. Seine Auslandsarmeen haben ihm den Sieg beschert. Ob Deutschland, Frankreich, Belgien, die Niederlande oder Österreich – überall erfreut sich der türkische Machthaber überragender Zustimmungswerte. Man muss schon mit reichlich politischer Dummheit geschlagen sein, um die Millionen von Erdoğan-Wählern in Europa für integriert zu halten. Immer ausgeprägter ist die Ablehnung der säkularen Gesellschaft und des demokratischen Rechtsstaats, wie die regelmäßigen Befragungen türkischer Migranten zeigen. Für diese Einsicht braucht es nicht einmal Nationalspieler, die beharrlich ein Bekenntnis zu Deutschland verweigern.

Wirtschaftlich leidet die Türkei längst unter der fortschreitenden Islamisierung. Auf sagenhafte 17,75 Prozent hat die Zentralbank den Leitzins angesichts des rasanten Verfalls der Lira inzwischen angehoben. Die Inflation galoppiert und das Wachstum schwächelt bedenklich. Gift für das Ansehen des Sultans, der sich bald auch der Geldpolitik bemächtigen dürfte, um seine Wähler bei Laune zu halten – koste es, was es wolle. Die Türkei wäre beileibe nicht die erste Diktatur und schon gar nicht das erste islamische Land, in dem die Armut rasant wächst, sobald die demokratischen Reststrukturen abgeschafft sind.

Doch während in den sozialistischen Ländern Lateinamerikas die Bevölkerung auf die Barrikaden geht, kann Erdoğan darauf setzen, dass das rigide Regiment des Islams seinen Dienst tut. So verhasst der Erzfeind ist, bietet der iranische Nachbar Anschauungsunterricht dafür, wie die harte Hand der Religion Staat und Gesellschaft unter Kontrolle hält und die Macht der Islamisten absichert. Keine guten Aussichten also für die Türkei. Der Name von Erdogans AKP, die als “Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung” daherkommt, klingt da wie blanker Hohn. Es liegt nun an den europäischen Regierungen, einen Weg zu finden, mit der neu errichteten islamischen Diktatur Türkei umzugehen. Das vergangene Jahrhundert hat allerdings gezeigt, dass ein wohlwollendes Wegsehen den Weg für Katastrophen ebnen kann. Auch wenn es diesmal nicht die Nazis sind, die Europa bedrohen, ist Wachsamkeit geboten. Wir haben es mit einer Weltanschauung zu tun, die ihnen in wenig nachsteht.

Foto: R4BIA.com

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Jochen Hensel / 26.06.2018

Verheerend ist die Tatsache, dass die Türken etwa im Ruhrgebiet zu 75% Erdogan gewählt haben. Der Kabarettist Rolf Miller sagt dazu: “Die Freilandhühner wählen die Käfighaltung!” Allerdings wählen sie die nicht für sich, sondern für die Türken in der Türkei. Eine perfide Einstellung! Schon Grundschulkinder sagen, dass ihr Präsident Erdogan heißt (selbst erlebt). Damit kann man sagen, dass wir hier eine türkische Provinz “Alemanya” haben, die nur Rechte, aber keine Pflichten hat.

Matthias Thiermann / 26.06.2018

Das kann doch nur bedeuten: raus?

Michael Jansen / 26.06.2018

Was kommt als Nächstes? Man kennt ja die üblichen Techniken der Diktatoren: zunächst verlängerte Wahlperiode und keine Beschränkung bei der Wiederwahl, irgendwann Präsident auf Lebenszeit mit entsprechendem Personenkult. Presse und Justiz hat er ja schon auf Linie gebracht, fehlt jetzt nur noch die Todesstrafe, zunächst noch nur für “Terroristen”, dann irgendwann für normale Regimegegner. Wenn nötig wird eben mal wieder ein “Putsch” inszeniert oder ein Krieg angefangen, man weiß ja, dass sich das Volk dann wieder gern um den starken Mann schart, vor allem wenn er auch noch göttlichen Beistand für sich in Anspruch nimmt. Als Atheist sieht man sich wie so oft in der Ansicht bestätigt, dass die Religion primär eine Veranstaltung zum Machterhalt ist. Und das alles wird auch noch fleißig von der EU subventioniert, sei es über den unsäglichen Flüchtlingsdeal oder über die noch unsäglicheren Beitrittsverhandlungen mit den damit verbundenen Unterstützungszahlungen.

Jochen Selig / 26.06.2018

Deprimierend, das alles.

Andreas Rühlr / 26.06.2018

Für die Außenpolitik sollte zunächst entscheidend sein, ob sich Übergriffe auf fremdes Staatsgebiet wiederholen wie im Fall Syriens. Wenn dem so sollte, darf es keine Nachsicht geben. Eine expansive Türkei wäre genau das, was endgültig das Faß im Nahen Osten zur Explosion bringt; man mag sich das gar nicht ausmalen; zumal die Türkei - als Nato-Mitglied - gut gerüstet ist. Es könnte durchaus so sein, dass Ergogan agressive Expansionspläne nur deshalb umsetzt, weil seine Wirtschaftspolitik und seine Finanzpolitik krachend gescheitert ist. Das ist sie jetzt bereits, aber noch gibt das Volk ihm nicht die Schuld daran. Der Lebensstandart wird in den nächsten Jahren fallen, nicht steigen, nicht einmal stagnieren. Bald wird es nichts mehr nutzen, die angebliche Verantwortlichen im Inland auszumachen, denn die sitzen bald alle im Gefängnis, sind jedenfalls kaltgestellt. Dann geht der Blick automatisch nach außen und sei es, um durch die Aufstachelung nationaler Gefühle über die wirtschaftliche Katastrophe hinweg zu täuschen. Ich sehe da eine höchst besorgniserregende Entwicklung und vermisse jede strategische Ausrichtung oder auch nur Reaktion der westlichen Regierungen und Staaten auf diese Entwicklung, zumal der EU. Die Annäherung an die russische Föderation ist ebenfalls ein deutlichen Zeichen, dass sich Erdogan den Rücken freihalten will, um mehr Handlungsfreiheit zu haben - und ist zugleich ein Spaltpilz für die NATO. Es wäre fatal, wenn die Migrationskrise und das Erpressungspotential, das darinnen steckt, verhindern sollte, eine Politik zu machen, die Erdogan ganz deutlich Grenzen setzt. Aber genau danach sieht es aus.

Karla Kuhn / 26.06.2018

“Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten”, gab er die Marschrichtung vor, und jeder konnte erkennen, dass sich hier einer auf den Weg macht, das Land zu einem islamischen Gottesstaat umzubauen.”  Zwei Drittel der Deutsch-Türken (Doppelpaß abschaffen !!) haben Erdogan gewählt. Mit dieser Gesinnung leben sie in Deutschland. Glaubt da wirklich jemand an gelungene Integration ??  “Dennoch ist es vor allem Angela Merkel, die den Sultan auch weiterhin braucht, um ihren zwangsläufigen Abschied aus dem Kanzleramt hinauszuzögern. Zwar ist der “Flüchtlingsdeal” mit der Türkei das Papier nicht wert, auf dem er steht, doch reicht der medial zur Heldentat aufgemotzte Bückling der Kanzlerin nach wie vor, um Lieschen Müller Sand in die Augen zu streuen und einen Teil der Fluttore geschlossen zu halten.”  Das ist an ABSURDITÄT nicht mehr zu überbieten und wir (viele !!) schauen zu. Diese Frau hat uns das ganze Dilemma eingebrockt und anstatt sie ENDLICH die Konsequenzen zieht, schließt sie mit diesem Diktator auch noch einen Pakt, der den Steuerzahler wie viel Milliarden kostet ?? Daß diejenigen, die schon länger hier leben, jedenfalls viele davon, diese Frau noch ertragen müssen ist abnormal. Aber dafür hat Roth doch ein kluges Statement abgegeben: “Die Türkei ist nicht Erdogan und Erdogan ist nicht die Türkei” (heute t-online). Wow, welche Erkenntnis. daß  Erdogan sich die Türkei untertan gemacht hat und weiter kräftig daran arbeitet ist der Frau offensichtlich noch nicht aufgefallen. Das ist schon fast alles gar nicht mehr zu ertragen. Wie heiß es im Zauberlehrling ? “Meister. Meister, die ich rief die Geister, krieg ich nun nicht los.”

María José Blumen / 26.06.2018

Die Machtergreifung Erdogans war kein heimlicher Akt, keine Verschwörung die niemand mitbekommen hat können. Es geschah über Jahre hinweg ganz öffentlich: Die Presse wurde zensiert, Journalist für Journalist wurde ins Gefängnis geworfen unter fadenscheinigen Vorwürfen. Das Militär wurde auf Linie gebracht, alle Erdogangegner in den Streitkräften verfolgt und entfernt. Die Justiz wurde sich unterworfen, Staatsanwälte und Richter ausgetauscht, Erdogangetreue eingesetzt. Dann die “Verfassungsreform” - eigentlich ein Ermächtigungsgesetz. Das türkische Volk verhält sich dabei so wie das deutsche Volk beim Aufstieg der NSDAP: Nibelungentreue zum Führer. Der Rest der Welt schaute zu. Appeasement wie zu Chamberlains Zeiten. Wir sind eigentlich auch nicht besser als die Türken die diesem Diktator die Macht ermöglichten. Europa schweigt. Deutschland schweigt. Albert Einstein: “ Die Welt wird nicht bedroht von den Menschen, die böse sind, sondern von denen, die das Böse zulassen.”

w.schmid / 26.06.2018

Nicht unerwähnt sei, dass die Türkei ihre Flotte mit Transportschiffen aufgerüstet hat, die Truppen incl. Panzern anlanden können. Die griechischen Inseln direkt vor der türkischen Küste sind seit langem rhetorisches Kriegsziel von Erdogan. Die türkische Zeitbombe tickt…

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