Gastautor / 17.06.2016 / 18:49 / 12 / Seite ausdrucken

Die Tücken des Erblichkeitsbegriffs - Eine Antwort auf Thilo Sarrazin

Von Karl-Friedrich Fischbach und Martin Niggeschmidt. 

Was Thilo Sarrazin nicht versteht: Der genotypische Varianzanteil (die „Erblichkeit“) einer Eigenschaft ist keine Naturkonstante. Er hängt von der Umwelt ab. Deshalb kann es Konstellationen geben, in denen der genotypische Varianzanteil nahe null Prozent oder auch nahe hundert Prozent liegt.

Darauf zu beharren, dass es eine allgemeingültige Erblichkeitsspanne von 50 bis 80 Prozent für die Eigenschaft „Test-Intelligenz“ gebe (wie dies auch viele Intelligenzforscher tun), macht nur Sinn, wenn man „Erblichkeit“ nicht als „genotypischen Varianzanteil“ begreift -  sondern „erblich“ als Synonym für „angeboren“ verwendet. Was eine Fehlinterpretation des wissenschaftlichen Erblichkeitsbegriffs ist.

Nur wenn man dieser Fehlinterpretation aufsitzt, kann man die Verbindung zu Sachverhalten herstellen, die mit dem genotypischen Varianzanteil (der „Erblichkeit“) nichts zu tun haben: nämlich beispielsweise der „Formbarkeit“ einer Eigenschaft. Sarrazin spricht in seinem Achgut-Artikel davon, er habe publizistischen und politischen Zorn auf sich gezogen, weil er in Frage gestellt habe, dass der Mensch beliebig formbar sei. Diese Frage hat mit „Erblichkeit“ nichts zu tun.

Der Unterschied zwischen Korrelation und Mittelwert

Ähnliche Verwirrung gibt es bei den angeblich genetisch mitbedingten Intelligenz-Unterschieden zwischen Gruppen (Nationen, Völkern, sozialen Schichten, „Rassen“). Wir leugnen genetische Unterschiede zwischen Menschen keineswegs - doch genetische Unterschiede zwischen Gruppen lassen sich aus dem Erblichkeitsmodell nun mal nicht ableiten.

Verblüffend ist, dass ein Statistik-Liebhaber wie Sarrazin nicht den Unterschied zwischen Korrelation und Mittelwert kennt. Sarrazin kritisiert einen Zeitungsartikel von Karl-Friedrich Fischbach ("Warum Thilo Sarrazin die Genetik nicht versteht", FAS, 1.5.2016) und schreibt: „Fälschlich behauptet Fischbach, dass Adoptivkinder die Intelligenz ihrer Adoptiveltern annehmen. Für erwachsene Adoptivkinder ist das Gegenteil wahr. Ihr IQ weist keine statistisch signifikante Korrelation zum IQ ihrer Adoptiveltern auf, wohl aber zum IQ der ihnen unbekannten leiblichen Eltern. Unterschiede in der häuslichen Umgebung des Kindes produzieren keine Unterschiede bei der gemessenen Intelligenz der erwachsenen Kinder.“

Der IQ von Adoptivkindern weist eine etwas größere korrelative Ähnlichkeit zum IQ ihrer leiblichen Eltern auf als zum IQ ihrer Adoptiveltern. Das ist allerdings auch nicht erstaunlich. Denn die Korrelation zwischen dem IQ der adoptierten Kinder und dem IQ der Adoptiveltern beantwortet lediglich die Frage nach der Umweltwirkung des IQ der Adoptiveltern. Doch außer dem IQ der Adoptiveltern gibt es noch andere wichtige Umweltwirkungen auf die IQ-Entwicklung der Kinder - beispielsweise die von den Adoptiveltern bereitgestellte „Nestwärme“, der Zugang zu Bildungsgütern, das schulische Umfeld oder die Wertschätzung von Bildung in der jeweiligen Peergroup. Die Korrelation zwischen dem IQ der Adoptiveltern dem IQ der Adoptivkinder beschreibt nur einen Teilaspekt der Umweltwirkungen. Aus dem Vergleich zwischen den IQ-Korrelationen von Adoptivkindern/leiblichen Eltern und von Adoptivkindern/Adoptiveltern lässt sich deshalb nicht ableiten, wie „Anlage“ und „Umwelt“ zu gewichten sind.

Adoptionen in besser situierte Schichten

In dem Zeitungsartikel von Karl-Friedrich Fischbach ist nicht von der Korrelation die Rede, sondern von Durchschnittsniveau: Studien haben gezeigt, dass Adoptionen in besser situierte soziale Schichten die Durchschnitts-„Test-Intelligenz“ von Adoptivkindern auf das durchschnittliche Niveau der Adoptiveltern heben. Und so ist es. (Den Unterschied zwischen Korrelation und Mittelwert erläutern wir in unserem Buch „Erblichkeit der Intelligenz. Eine Klarstellung aus biologischer Sicht“, S. 27)

Vielleicht noch eine Anmerkung zu Sarrazins Behauptung, er lasse die Intelligenzdebatte neuerdings links liegen und konzentriere sich auf den Begriff der "kognitiven Kompetenz", wie er jedem Pisa-Test zugrunde liege.

Der Psychologe Heiner Rindermann hat bereits 2006 versucht, Pisa als großen „Intelligenztest“ zu interpretieren – was von den Pisa-Wissenschaftlern Manfred Prenzel und Jürgen Baumert entschieden zurückgewiesen wurde: Pisa messe keine Eigenschaft (Test-Intelligenz), sondern Schulleistungen – also auch die Leistung des Bildungssystems und der Schulen. Hinter dem Versuch, Pisa mit Intelligenztests gleichzusetzen, steht der Versuch, auch die Pisa-Ergebnisse der verschiedenen Länder als „überwiegend erblich“ darzustellen. Sarrazin hat die Gleichsetzung von Pisa- und IQ-Tests in seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ unter Bezugnahme auf Rindermann selbst beschrieben. Nun benutzt Sarrazin statt „Intelligenz“ den etwas unverfänglicheren Begriff „kongnitive Kompetenz“? Ein Taschenspielertrick. Er meint das Gleiche. 

Prof. Dr. Karl-Friedrich Fischbach und Martin Niggeschmidt  sind Autoren des Buches „Erblichkeit der Intelligenz. Eine Klarstellung aus biologischer Sicht“.

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Leserpost

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Andreas Arndt / 17.06.2016

Was auch immer Sie damit beweisen wollen. Es ist nicht verständlich dargestellt. Natürlich sind Umstände denkbar, daß jemand mit hohen ererbten Intelligenzanlagen diese nicht ausbilden kann z.B.  bei aufwachsen ohne menschliche Kontakte. Ein debiles Kind wird jedoch in dieser Welt kein Einstein.  Und doch ist Intelligenz zu einem erheblichen Teil erblich und gibt damit einen Rahmen der Bildungsfähigkeit vor. Daß es dabei statistische Schwankungen gibt ist unstrittig, ändert aber über große Gruppen nichts an der Tebdez. Wenn man Herrn Sarrazins Argumentation analysiert so wird man sehen, daß Vererbung von Intelligenz nur ein kleiner Stein von vielen ist, der das Boot unserer Gesellschaft in die Gefahr des Untergangs bringt. Selbst wenn also Intelligenz nie vererbt würde, was jeder Erfahrung wiederspricht, so ändert das nichts daran, daß er insgesamt recht hat.

Stefan Fischer / 17.06.2016

Gut. Jetzt ist mir aber noch immer nicht klar was im Fall der Einwanderer aus den “verdächtigen” Regionen diesbezüglich zu tun ist. Wenn ich mir die Bildungsleistung der Migranten in Verbindung mit den Aussagen hier zur “besser situierten Schicht” ansehe komme ich zum Schluß, dass es kaum eine paktische Rolle spielt ob Intelligenz vererbt wird oder nicht. In der Praxis bekommen wir die Migranten nicht massenhaft in die besser situierte Schicht ehoben, zumindest nicht über das Sozialsystem. Da aber eine hohe Bildungsleistung regelmäßig gleichzeitig eine Voraussetzung ist um der Unterschicht zu entkommen und die Bedingung für die hohe Bildungsleistung die Zugehörigkeit zur besser situierten Schicht ist, beißt sich hier die Katze in den Schwanz. Die Migranten werden in dem Fall noch einige Generationen lang von der Gesellschaft versorgt werden müssen. In dem Fall hatte Sarrazin dann am Ende doch wieder Recht, diese Leute werden über Generationen eine Last für den Sozialstaat sein, er hatte es dann nur (bedingt) falsch hergeleitet. Es dürfte unsere Enkel wohl wenig interessieren ob sie nun, auf Grund biologischer oder soziologischer Weitergabe von Eigenschaften an die nächste Generation, für die Willkommenskultur ihrer Großeltern zahlen müssen. Die Autoren der obigen Gegenrede versuchen Sarazzins Beitrag zur Debatte zu delegitimieren ohne seine Kernthesen praxisrelevant zu widerlegen. Mir stellt sich hier sofort wieder die Frage wieso sie das tun. Geht es hier wirklich nur um akademische Wortklauberei oder ist es ein Beitrag zur gesinnungsethischen Gesellschaftstransformation?

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