Jeder achte Deutsche sei arm, jeder vierte werde nur noch vom Sozialstaat davor bewahrt, teilt uns Bundesarbeitsminister Scholz mit. Natürlich wollte ich nach der Lektüre dieses Satzes wissen, ob ich nun als arm gelte oder nicht. Wer weniger als 781 Euro verdient, ist arm. Zumindest offiziell. Da konnte ich mich beruhigt zurücklehnen, verdiene ich als freier Schriftsteller doch mehr als die genannte Summe.
Aber damit geht es erst los: Die Schere zwischen Arm und Reich habe sich weiter geöffnet. So der Bundesarbeitsminister. Die Einkünfte der Reichen seien gewachsen, die Einkommen im unteren Bereich würden dagegen leicht sinken. Aha! Ich stelle mir also eine Waage vor, mit Gewichten auf beiden Seiten. Man nimmt Gewichte von der einen Seite und stellt sie auf die andere Seite und so weiter. Was wiegt man aber damit? Nichts. Man verteilt Gewichte.
Es ist ein weiteres Beispiel für die Verwandlung von Politik in leeres Gerede. Die Reichen sollen höher besteuert werden, den Armen soll der Mindestlohn zugute kommen. Wer aber soll den Mindestlohn zahlen? Das eigentliche Problem ist doch der Flächentarif. So lange die Arbeitsleistung branchenweit aufgrund von Gewerkschaftsforderungen vereinbart wird, reflektiert die Lohnsumme weder die Leistung am Arbeitsplatz noch die Kapitaldecke des jeweiligen Betriebs. Jede Zahlung, die nicht von der Auftragslage ausgeht, ist, betriebswirtschaftlich gesehen, absurd. Es ist eine Abkoppelung der Zahlung von der Leistung.
Das aber ist das wirkliche Problem, und es ist nicht durch Umverteilung zu lösen. „Reichtum“ ist schließlich nicht Diebstahl, auch wenn das manche Leute aus Denkfaulheit so zu betrachten pflegen. Wäre es Diebstahl, würde ja die klammheimlich geforderte Enteignung hilfreich sein. Nichts aber hat mehr Geld vernichtet als der Sozialismus, indem er die große Umverteilung durchgeführt hat. Die Umverteilung macht nicht die Armen reich, sie füttert vielmehr den Sozialstaat. Diese Regierung der einfallslosen Mitte hat schließlich die größte Mehrwertsteuererhöhung aller Zeiten zu verantworten. Und was ist das Ergebnis?
Das zweite Zauberwort in der Frage der Einkommen ist das Wort Arbeit. Aber: Je perfekter der Sozialstaat ist, desto weniger Arbeitsmöglichkeiten bleiben. Durch die diffizile Arbeitsgesetzgebung wird der Arbeitsplatz immer attraktiver und dafür immer seltener. Es ist wie mit einem Zug, der nur Erste-Klasse-Wagen mit sich führt und auch an allen Bahnhöfen hält, aber die Waggons bleiben leer. Die potentiellen Reisenden haben allesamt Tickets für die zweite Klasse, doch dafür gibt es keinen Zug. .
Kommen wir zum Anfang zurück, zur Armut. Was ist eigentlich Armut? Und wieso meinen so viele Deutsche plötzlich arm zu sein? Haben sie vor einem Jahr oder vor zwei Jahren noch mehr zur Verfügung gehabt? Wohl kaum. Oder geht es auch in dieser Frage, wie in den meisten, die die Erlebnisgesellschaft hervorbringt, um die Temperatur, also um die gefühlte Armut. Oder wie Scholz sagt: „Es tut weh, wenn man auf jeden Cent achten muss“. Er wird es wissen. Lassen sich Gefühle doch nachempfinden, so wie Gewichte sich verteilen lassen und Politik sich in Hülsen versenken lässt, in Worthülsen.