Sie wissen nicht, was ein Nicap ist? Hätten Sie halt bei Anne Will zugeschaut – da stellte sich eine Schweizerin im Nicap vor – die totale Verschleierung der Frau, die nur einen Augenschlitz zulässt. Bei der islamischen Variante der Wahhabiten sind auch diese noch mit einem Netz verhangen. Üblich vor allem in Saudi-Arabien, wo der Wahhabismus seinen Ursprung hat. Wegen Ihrer Freude an dieser Verkleidung schafft die Schweizerin es öfter in Talkshows, wo sie als Frauenbeauftragte des islamischen Zentralrates der Schweiz agiert.
Sie ahnen es: Bei Anne Will ging es um die Frage: Allahs Krieger im Westen - wie gefährlich sind radikale Muslims? Am Ende der Sendung war die Erkenntnis heraus gearbeitet worden: Radikale aller Schattierungen sind gefährlich! Was für eine Überraschung. Dazwischen wurden die teuren Sendeminuten mit Wahlkampf und verwirrenden Erklärungen über den Islam im Allgemeinen und den Salafisten im Besonderen gefüllt.
Beginnen wir mit den Salafisten. Sie gelten als radikal und gewaltbereit. Auf Ihr Konto gehen fast alle Attentate und Attentatsversuche in Europa. Aber mehr hat der Zuschauer in der Sendung auch nicht erfahren. Die Schweizer Kostümdame Nora Illi durfte ihre romantische Verklärung des Islam vorstellen, der friedlich und absolut gewaltfrei sei. Ihr outfit, das in Belgien und Frankreich verboten ist, demonstrierte aber das Gegenteil. So wurde nicht erwähnt, dass der Salafismus eine Glaubensinterpretation des strengen Wahhabismus ist, der nicht die geringste Toleranz zu Andersgläubigen zulässt – auch nicht zu anderen Mohammedanern, wie den Schiiten oder gemäßigten Sunniten. Und deshalb konnte in der Sendung auch nicht über die Finanziers des Safismus geredet werden, den Regierungen und Ölscheichs in Saudi-Arabien, Qatar und den Emiraten. Unter den Diskutanten befand sich Asiem El Difraoui, der immer mal durchblicken ließ, dass die anderen in der Runde keine Ahnung hätten. Er war der Besserwisser – und er wusste auch besser über die vielen Strömungen und Sekten innerhalb des Islams Bescheid. Aber für Aufklärung ist so eine Runde nicht geeignet. Da wäre es viel besser gewesen, die ARD hätte den Politikwissenschaftler und Dokumentarist die Sendezeit für eine Reportage über den Wahhabismus-Salfismus und seine Finanzierung des Terrors machen lassen. Also: Journalismus statt Geschwätz.
Ach ja: Dann nahmen auch zwei Politiker an der Runde teil: Joachim Herrmann, CSU, der bayerische Innenminister und Thomas Oppermann, SPD, innenpolitischer Sprecher in Peer Steinbrücks Kompetenzteam. Es dauerte genau 6:30 Minuten und die beiden waren im Wahlkampfclinch. Dabei eignet sich nichts so wenig zum Parteienstreit, wie das Thema: Islam in Deutschland. Hermann will eine Verschärfung der Gesetzeslage um Hassprediger schneller ausweisen zu können und Oppermann sieht dafür keine Notwendigkeit, weil das ja nur Wahlkampf sei. Ganz schnell waren die beiden weg von den Radikalen und stritten sich über die mangelnde Integration der Muslime in Deutschland. Dabei wurden alle Plattitüden benutzt, die im Umlauf sind. Oppermann forderte zum Beispiel mehr islamischen Religionsunterricht, weil dies den jungen Immigranten Selbstbewusstsein und Akzeptanz in unserer Gesellschaft biete. Kann ja sein, denke ich. Aber warum wurde dann von der SPD der christliche Religionsunterricht in Berlin abgeschafft?
In Rheinland-Pfalz wurde von rotgrün ernsthaft empfohlen auf muslimische Schüler in der Fastenzeit Ramadan mehr Rücksicht zu nehmen und Klassenarbeiten zu verschieben. Ich stelle mir das Echo auf eine Forderung der Bischöfe vor, die das gleiche in der Fastenzeit vor Ostern fordern würden? Ist die Diskussion um die Integration und das Nachgeben auf muslimische Forderungen nichts anderes als ein Werben um ihre Stimmen bei Wahlen. In einigen Wahlkreisen sind sie ausschlaggebend für Sieg oder Niederlage.
Die meiste Zeit stritten sich die Diskutanten eh um die Rolle der Muslime in Deutschland und nicht um die radikalen Salafisten. Auf die Formel, das Gewalt nicht akzeptabel ist, konnten sie sich schnell einigen. Aber als Necla Kelek, die islamkritische Muslima immer wieder versuchte, die Widersprüche aufzuzeichnen, die zwischen einer Romantisierung des Islam und der Wirklichkeit besteht, wurden ihre Einwände übergangen.
Während Thomas Oppermann gern die Rolle der Opfer des Rassismus in Deutschland thematisierte – so war er zum Beispiel schnell bei den NSU-Morden als Gegenbeispiel der Salafistengewalt angekommen – wies Kelek daraufhin, dass es in Deutschland pro Jahr immer noch zwischen zehn und zwölf Ehrenmorde an jungen Frauen gibt, um die sich niemand kümmert und die nicht thematisiert werden. Dabei lies sie es offen, ob diese Morde aus religiösen oder kulturellen Gründen geschehen. Sie werden von Muslimen verübt und entschuldigt.
Auch die Bemerkung von der Schweizerin Nora Illi ging unter, als sie sagte, Gewaltanwendung die nicht von der Obrigkeit angeordnet wird, ist für Muslime verboten. Herrmann wollte wissen, wer denn die Obrigkeit sei: zum Beispiel Osama Bin Laden, der für alle Amerikaner den Tod fordert oder die iranischen Ayatollahs, die zur Fathwa aufrufen, also den Tötungsaufforderungen für Schriftsteller und Karikaturisten, die in ihren Augen Gotteslästerung betreiben. Aber das wurde nicht diskutiert.
Irgendwie hinterließ die Sendung einen faden Geschmack. Wenn Oppermann forderte, wir Deutsche müssten uns mehr um den Islam kümmern, um ihn zu verstehen, damit sich Jugendliche nicht ausgegrenzt fühlen und zum Salafismus überlaufen, dann ist das wieder einmal die alte Leier: Wir, die Gesellschaft sind Schuld. Aber glaubt er wirklich, dass der Islam mehr Sympathien erweckt, wenn die Menschen in Deutschland mehr über die islamischen Gesellschaften von Marokko, über Mauretanien, Libyen, Ägypten, der Türkei, Irak, Iran, Saudi-Arabien, Pakistan, Malaysia und Indonesien erfahren, um eine gemischte Auswahl quer über den Globus aufzuzählen. Ich habe in vielen dieser Länder gearbeitet. In keinem dieser Staaten, in der es eine islamische Mehrheitsgesellschaft lebt, gibt es eine Religionsfreiheit, die auch gelebt wird, in keiner gibt es Toleranz und Gleichberechtigung gegenüber Andersgläubigen.
Weil ich so oft in Staaten wie dem Iran, Saudi-Arabien, der Türkei und Indonesien arbeitete, um nur einige zu nennen, habe ich den Koran gelesen und dabei eines durch die Schrift und die Realität begriffen: Der Koran verlangt die Scharia als einzig gültige Rechtsordnung und an die muss sich jeder Muslim halten, will er Allah gehorchen. Die Scharia aber widerspricht der westlichen liberalen Gesellschaftsordnung. Diesen Konflikt muss jeder Muslim mit sich ausmachen, wenn er in Westeuropa lebt. Das was auch in dieser Sendung wieder durchschimmerte, war die Vorstellung, gläubige Muslime könnten sich auch in Sittenfragen und der zivilen Gesetzesordnung integrieren. Nein, es gibt keinen Islam ohne Scharia, denn ein Islam ohne Scharia ist Folklore.
Fazit: Mehr Sendungen aus der islamischen Welt wären hilfreich, Dokumentationen und Reportagen von fachkundigen Journalisten. Eine Plapperrunde mit einer quotenträchtigen Nicap-Trägerin ist da verschwendete Sendezeit.