Wolfram Weimer / 15.05.2009 / 19:07 / 0 / Seite ausdrucken

Die Stasi wählt mit

Gesine Schwan attackiert, die Parteistrategen sind nervös, Berlin fiebert: Die Wahl des Bundespräsidenten entwickelt sich zu einem politischen Krimi erster Güte, denn die Mehrheiten in der Bundesversammlung sind so knapp wie der Punktestand im Bundesliga-Finale. In der Hauptstadt kursieren wilde Gerüchte über Umfaller, Geheimabsprachen und Intrigen. Die Stunde der Strippenzieher ist da. Am Ende könnten ausgerechnet die Stimmen der Stasi alles entscheiden. Denn mindestens sieben Vertreter der Linken in der Bundesversammlung sind ehemalige Stasi-Leute.
Der 23. Mai eröffnet nicht nur den Superwahlsommer. Er könnte ihn auch bestimmen. Sollte Horst Köhler klar gewinnen, dann bekäme das Projekt „schwarz-gelber Wechsel“ kräftigen Rückenwind. Sollte dagegen Gesine Schwan gewählt werden, bräche über Deutschland eine rot-rot-grüne Stimmung herein, die auch von den Moderaten in der SPD kaum mehr zu bändigen wäre. Denn wenn man das höchste Amt im Staate mit rot-rot-grünen Mehrheiten besetzt, warum nicht auch eine neue Regierung?
Seit Monaten wächst Gesine Schwan zur Hoffnungsträgerin rot-rot-grüner Sehnsüchte und einer „linken Wende“ in Deutschland heran. Sie hat in ihrem Wahlkampf ein linkes Reformkonzept formuliert, das Deutschland verändern soll. Und sie kennt keine Berührungsängste mit der Linkspartei, Lafontaine oder den alten SED-Genossen. Unter den roten Flügeln Schwans versammeln sie sich derzeit alle gerne.
Allerdings haften dem Schwan-Coup drei moralische Makel an: Erstens will sie einen extrem beliebten und erfolgreichen Bundespräsidenten (mehr als 70 Prozent der Deutschen wollen Horst Köhler behalten und würden ihn in einer Direktwahl haushoch bestätigen) aus dem Amt jagen. Sie tut das mit einem legitimen, aber bislang völlig unüblichen, lautstarken Wahlkampf um das Amt, obwohl sich der Amtsinhaber schon aus Respekt vor der Überparteilichkeit des Präsidenten ihren aggressiven Angriffen gar nicht erwehren kann. Das wirkt unfair und unfein zugleich.
Das zweite moralische Problem besteht darin, dass Gesine Schwan ein fratzenhaftes Deutschlandbild zeichnen muss, um den angestrebten „Grundlagenwechsel“ zu rechtfertigen. Deswegen sieht sie das Land nicht nur in der Krise, sondern in Schieflage; sie beschwört „soziale Unruhen“ herauf und spaltet eher, als dass sie versöhnt. Die soziale Marktwirtschaft und den deutschen Sozialstaat beschreibt sie so wie Oskar Lafontaine: „Zusammengefasst lautet meine Diagnose: Wir haben in unserem Land über Jahre hinweg einer Kultur der entfesselten Konkurrenz und der daraus folgenden Verantwortungslosigkeit die Herrschaft überlassen. Marktradikalität, Deregulierung und Entstaatlichung sind nur andere Worte für eine unverantwortliche Laissez-faire-Politik.“
Das dritte Dilemma der Schwan-Kandidatur liegt in der Handreichung zur Linkspartei und ihren Kadern. Wie einst Andrea Ypsilanti ist ihr das machtpolitische Bündnis mit den SED-Nachfolgern wichtiger als ein Projekt der demokratischen Mitte. Ohne Not bekommen dadurch die Diktatoren von einst den ganz großen Teppich vor Schloss Bellevue ausgerollt.
Denn Gesine Schwan braucht nicht nur die normalen Parteifunktionäre der Linken, sie braucht auch deren Ultras: die Stasi-Kader. Denn Union und FDP bringen es auf 604 Stimmen, genau wie das rot-rot-grüne Lager sich auf 604 Vertreter addiert. Die zehn Freien Wähler neigen zwar eher zu Köhler, doch schon beim letzten Mal wählten 18 Abgeordnete aus dem bürgerlichen Lager anders als gedacht. Am Ende sind vielleicht die sieben Stasi-Stimmen genau das historische Zünglein an der Waage. Die Bürgerrechtler und Stasi-Opfer aus dem Osten warnen schon: Das wäre ein später Triumph der DDR, wie er zum Jahrestag des Mauerfalls bitterer kaum ausfallen könnte.

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