Vera Lengsfeld / 19.09.2016 / 18:00 / Foto: Marcel Urech / 5 / Seite ausdrucken

Die SPD und die unanständigen Berliner

Berlin hat gewählt und die wichtigste Botschaft dieser Wahl war die entschlossene Demonstration aller Politiker, dass sie sich nicht vom Wählerwillen beirren lassen. Die SPD hat ihr historisch schlechtestes Ergebnis eingefahren, darf aber weiter an der Macht bleiben, nur diesmal in einer Dreier-Koalition. Nur das zählt, alles andere interessiert nicht. Kein Wort darüber, dass nur die Piraten mehr Prozente verloren haben, als die „Wahlsieger“.

Siegmar Gabriel strahlt wie ein Honigkuchenpferd, überreicht der Frau des Regierenden Bürgermeisters rote Rosen und sagt tatsächlich, dass Berlin „anständig“ geblieben sei. Damit erklärt er alle Menschen die nicht Rot-Rot-Grün gewählt haben für unanständig und damit nicht wert, Mitglied des „Zusammenhalts“ zu sein, den die SPD im Falle ihres Sieges der Stadt versprochen hat.

Wenn es Müller und seiner Partei wirklich um Zusammenhalt ginge, müsste er die CDU und die FDP in seine Koalition einbinden, um den bürgerlichen Wählern eine Beteiligung an den Geschicken Berlins einzuräumen. Stattdessen werden die Weichen auf Rot-Rot-Grün gestellt und damit auf eine Vertiefung der Spaltung der Stadt. Was das für Andersdenkende bedeutet, konnte man am Vorabend der Wahl auf den Straßen der Stadt erleben.

Schon beinahe kabarettistisch sind die Versuche, die Schuld an den SPD-Wählerverlusten der CDU in die Schuhe zu schieben, wie es der Bundestagsfraktionsvorsitzende Thomas Oppermann im Deutschlandfunk getan hat. Er verstieg sich tatsächlich zu der Behauptung, die SPD werde von der permanenten Debatte innerhalb der Union "mitruntergezogen". Fehleranalyse? Fehlanzeige.

Mit der Kanzlerin hat das alles nichts zu tun

Das CDU-Ergebnis hat ebenfalls die schlimmsten Verlusterwartungen übertroffen. Sie fuhr zwar nicht, wie die SPD, das allerschlechteste, aber das zweitschlechteste Ergebnis bei einer Landtagswahl seit Gründung der Partei ein. Mit der Kanzlerin hätte das alles gar nichts zu tun, beieilten sich die Funktionäre, die am Wahlabend vor die Kamera mussten, zu versichern. Der Generalsekretär Tauber ging sogar so weit, dem SPD-Spitzenkandidaten Müller den Absturz der CDU in die Schuhe zu schieben. Das ist an Schamlosigkeit schwer zu überbieten.

Die einzige Stimme, die auf das wahre Dilemma der CDU hinwies, war der ehemalige Regierende Bürgermeister Diepgen, der sagte, die CDU müsse sich wieder rechts positionieren. Seine Mahnung , so richtig sie ist, wird wohl nicht gehört werden, denn rechts ist inzwischen ein vergifteter Begriff, weil die Union die demokratische Rechte nicht verteidigt, sondern ihre alten Positionen, mir denen sie nicht nur als Partei reüssierte, sondern auch die alte Bundesrepublik zum Erfolgsmodell machte, unter Merkel fast komplett aufgegeben hat.

Frank Henkels Versuche, als Spitzenkandidat  an Adenauer und Kohl anzuknüpfen, kamen zu spät und waren zu zögerlich. Wenn er fallen sollte, wird das Problem der Berliner CDU zum katastrophalen Dilemma, denn seine innerparteilichen Gegner, die schon die Messer wetzen, sind alle Merkelianer. Was die CDU dagegen braucht, ist ein einheimischer Sebastian Kurz. Merkel bedeutet Untergang. Wer das immer noch nicht begriffen hat, dem ist nicht zu helfen. Eine wirkliche Fehleranalyse bei der CDU? Unwahrscheinlich.

Die ehemalige Mauerschützenpartei gehört jetzt zum Club

Obwohl die Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern und in Berlin gezeigt haben, dass die AfD Wähler aus allen Parteien einfangen konnte, also weit davon entfernt ist, ein extremistisches Klientel zu bedienen, weigerten sich alle Redner am gestrigen Abend, sie als demokratische Partei anzuerkennen. Das zeugt von einem beunruhigend eingeschränkten Demokratieverständnis. Während die ehemalige Mauerschützenpartei nach viermaliger Umbenennung ohne Aufgabe ihrer programmatischer Positionen, die nach wie vor auf einen „Systemwechsel“ zielen, inzwischen problemlos zu den „demokratischen Kräften“ gezählt wird, werden die AfD-Wähler auf eine Weise ausgegrenzt, wie es bei den SED-PDS-Linkspartei-Linke-Wählern nie der Fall war.

Natürlich gibt es in der AfD zwielichtige Gestalten und zweifelhafte Positionen. Das war und ist aber in anderen Parteien auch so. Bei den Grünen waren es unter anderen die Pädophilen, deren Forderungen zeitweilig sogar zum Programm erhoben wurden. Die Linke hat nach wie vor zahllose Stasioffiziere in ihren Reihen, deren Interessen von der Partei immer noch hochgehalten werden. Bei der Union und gab es ehemalige Nazifunktionäre, bei der SPD Linksradikale, um nur wenige Beispiele zu nennen. Eine demokratische Partei wird früher oder später mit solchen Personen und Positionen fertig, auch wenn es, wie bei den Grünen, manchmal Jahrzehnte dauert. Diese Chance sollten Demokraten der AfD fairerweise auch einräumen. Dass die Partei stattdessen wie eine Aussätzige behandelt wird, zeugt nicht von demokratischer Reife.

Die Linke hat immer noch SED-Mitglieder in höchsten Positionen, die maßgeblich an der Verschiebung von geschätzten 24 Milliarden Westmark, also 12 Milliarden Euro DDR-Vermögen beteiligt waren und ihr Wissen dem Bundestagsuntersuchungsausschuss nicht preisgegeben haben. Dietmar Bartsch, Bundestagsfraktionschef, sei stellvertretend genannt. Aber auch der junge, unbelastete Spitzenkandidat Klaus Lederer ist nicht bereit, Licht in das Dunkel dieser Vermögensverschiebung zu bringen, wie ich auf einer öffentlichen Veranstaltung selbst erlebt habe.

Die Linke wird dennoch demnächst auch in Berlin wieder regieren, in einer Konstellation, die fatale Ähnlichkeiten mit der Nationalen Front der DDR aufweist. Als die SED die einzigen demokratischen Wahlen nicht gewinnen konnte, holte sie einfach die späteren Blockparteien ins Boot. Lederer hat bereits auf Grund der Zugewinne seiner  Partei, auch wenn es mehrheitlich zurückgekehrte Piratenstimmen sind, harte Verhandlungen angekündigt. Die SPD hat sich durch ihre voreilige Festlegung erpressbar gemacht. In der Koalition will die Linke der Koch und nicht der Kellner sein.

Für Berlin bedeutet das nichts Gutes.

Dieser Text erschien zuerst auf Freedom is not free

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Leserpost

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Manfred Wetzel / 20.09.2016

Eine Koalition aus der SPD, den Grünen und den Linken erinnert fatal an die Zwangsvereinigung der SPD mit der KPD unter Piek und Grotewohl.  Die SPD hat danach massiv gelitten. Ähnliches könnte der Berliner SPD erneut geschehen. Die Alternative dazu lautet, eine Koalition von SPD, CDU und FDP. Allerdings unter Duldung der AFD. Diese hat aber, historisch betrachtet, kein Blut an den Händen.

Henry Winter / 20.09.2016

Aha, die FDP. Und wieso? Mit 7,????

Jana Kleinert / 20.09.2016

Sehr geehrte Frau Lengsfeld, alles richtig - aber wieso ehemalige Mauerschützenpartei? Erstens ist in dieser Partei alles versammelt, was an Mauerschützen und Schützenhelfern in Deutschland noch aufzutreiben ist. Und dass auch die Damen und Herren jüngeren Alters in dieser Partei aus der Geschichte nix gelernt haben, machen sie in ihrem Umgang mit Andersdenkenden deutlich: Da ist nichts als blindwütiger Vernichtungswille, und es wird nicht mehr lange dauern, da wird die Rede von Feinden sein, die es zu auszumerzen gilt. Einstweilen genießt man in den einschlägigen Parteizentralen mit klammheimlicher Freude die Gewaltexzesse des intellektuell und sittlich völlig verwahrlosten linken Nachwuchses, der feige vermummt, randalierend und und nächtens im Schutze der Dunkelheit brandstiftend durch die Viertel der Großstädte zieht und sich bemüht, die sozialismustypische Friedhofsruhe an der Meinungsfront schon vor der Machtübernahme herzustellen. Bei mir löst vor allem die offenbare Vergesslichkeit meiner Mitbürger immer wieder fassungsloses Kopfschütteln aus. Wie kann die Mauerschützenpartei in Ostberlin aktuell noch ein Viertel der Wählerstimmen gewinnen - obwohl sie personell und intellektuell eine Zumutung darstellt? Wie können die Thüringer einen verlogenen Westkommunisten als Ministerpräsident zulassen? Und wieso gehen Bündnis90-Leute und Sozialdemokraten mit ihren vormaligen Peinigern ein Regierungsbündnis ein? In diesem Land läuft sehr vieles schief - da muss wohl an der Konstruktion gearbeitet werden, um eine Diktatur, der ich als ehemalige DDR-Bürgerin auf Lebenszeit mit der deutschen Einheit entkommen zu sein glaubte, nicht demnächst wiederkehren zu lassen. Das geht wohl nur mit klaren Grenzen für das Berufspolitikerunwesen und mehr direktem Einfluss des Souveräns auf aktuelle politische Entscheidungen. Die Schweiz lässt grüßen!

Arno Besendonk / 20.09.2016

“Für Berlin bedeutet das nichts Gutes.” Das sieht die TAZ ganz anders wie ich heute früh lesen musste.

Gerhard Sponsel Lemvig / 20.09.2016

Nach der Wahl zum regierenden Bürgermeister mit Hilfe der SED, die jetzt als “Die Linke” firmiert, wird der Genosse Müller sich bei den roten Steigbügelhalter so bedanken: ” Ich kann die MfS-Mitarbeiter jedermann aufs beste empfehlen.”  Hannah Arendts Satz aus dem jüdischen Kalender: ” Der Sinn von Politik ist die Freiheit” gilt für die Apparatschiks vom Berliner linken Lager nicht.  Berlin wird leiden.

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