Auch zwanzig Jahre nach der Öffnung der Stasiakten liegen ganze Kapitel der DDR-Unterdrückungsgeschichte immer noch im Dunkeln. Während sich die Stasitäter , vom Rechtsstaat materiell wohlversorgt, revanchieren, indem sie die Geschichte verfälschen und die Demokratie verunglimpfen, hört man den ehemaligen Verfolgten viel zu wenig zu. Ihnen bleibt nur, ihre Geschichte selbst zu publizieren, so wie Edda Schönherz, die im Eigenverlag ihr bemerkenswertes Buch „Die Solistin“ herausgebracht hat. Der Titel weist auf den Namen hin, den die Staatssicherheit ihrer Akte gab.
Schönherz, eine bekannte und beliebte Ansagerin und Moderatorin des zweiten DDR-Fernsehens, hat die DDR scheinbar nur von ihrer Sonnenseite kennengelernt.
Als Artistin in der Hochseiltruppe ihres zweiten Ehemannes durfte sie nach dem Mauerbau sogar das kapitalistische Ausland bereisen, um dort die Überlegenheit der DDR-Artistik zu demonstrieren. Als Moderatorin ihrer Artistentruppe wurde sie für das Fernsehen entdeckt. Ein viel beneideter Beruf, ein schönes Haus in einem der besten Wohnbezirke Ostberlins, ein gutes Gehalt – man sollte meinen für so eine Frau gab es keinen Grund, die DDR zu verlassen.
Tatsächlich hat die schöne Frau schon viel Leid erfahren, bevor sie prominent wurde. Ihr erster Mann starb kurz nach Absolvierung seines Militärdienstes mit Anfang zwanzig an einem aggressiven Sarkom und ließ seine Frau mit zwei kleinen Kindern zurück. Verwunderlich war, dass der einfache Soldat ein Staatsbegräbnis bekam. Nach Öffnung der Stasiarchive erfuhr Schönherz, dass ihr Mann einen Gefahrguttransporter fahren musste, dessen Inhalt wahrscheinlich zu seiner tödlichen Erkrankung führte.
Besonders interessant sind die Abschnitte ihres Buches, wo sie den Alltag im DDR-Fernsehen beschreibt. Alle Texte wurden von der SED kontrolliert und frei gegeben. In Zeiten, wo es noch keine Teleprompter gab, musste noch alles auswendig gelernt werden. Einmal wurde ein längerer Text wenige Stunden vor der Aufnahme geändert. Schönherz schloss sich auf der Toilette, dem einzigen Ort, wo sie ungestört war, ein lernte den neuen Text in kürzester Zeit und sagte ihn fehlerfrei auf.
Als das Moderatorenteam für das zweite DDR-Fernsehen aufgestellt wurde, war anfangs auch ein junger Mann dabei, dem Schönherz überragende Fernsehqualitäten bescheinigt.Das half ihm nichts. Als er wegen eines DDR-Witzes, den er in seiner Armeezeit gemacht hatte, denunziert wurde, verschwand er über Nacht aus dem Team und bekam beim Fernsehen nie wieder eine Chance.
Dieses und ähnliche Erlebnisse in Adlershof ließen bei Schönherz den Entschluss reifen, die DDR mit ihren Kindern zu verlassen. An einen offiziellen Ausreiseantrag war nicht zu denken, also fuhr sie nach Ungarn, um sich dort in der Botschaft der BRD nach Möglichkeiten zu erkundigen, dem ungeliebten Staat zu entkommen. Man warnte sie, dass die Botschaft abgehört würde. Was das bedeutete, erfuhr sie kurz darauf. Eine Zufallsbekanntschaft, ein Dienstreisender aus der BRD nahm sie und die Kinder in seinem Wagen mit in die Nähe der Grenze. Sie wurden angehalten, vorübergehend festgenommen, aber nach 24 Stunden wieder auf freien Fuß gesetzt. Später, als sie schon im Westen war, erfuhr Schönherz, dass der freundliche Mann wegen „Fluchthilfe“ in der DDR zu neun Jahren Gefängnis verurteilt worden war.
Schönherz konnte vorerst in die DDR zurückkehren, wo sie aber kurz darauf aus dem Bett heraus verhaftete wurde. Es folgen Monate in der Stasi- Untersuchungshaftanstalt Hohenschönhausen, wo Schönherz zeitweise mit einem Zellenspitzel zusammengelegt wird. Die entwürdigende Aufnahmeprozedur , bei der sich die Häftlinge nackt ausziehen und sich in alle Körperöffnungen fassen lassen mussten, wurde, wurde damals noch von Männern exekutiert. Schließlich das Urteil: drei Jahre ohne Bewährung wegen versuchten Grenzübertritts im schweren Fall, weil in der „Gruppe“ begangen.
Über die Zwischenstation Keibelstraße, wo die Zellen und Sanitäreinrichtungen so verdreckt sind, dass Schönherz ihre Mitgefangenen zu einer gemeinsamen Putzaktion bewegt, mit den winzigen Seifenstücken, die jeder Frau bei der Einlieferung ausgehändigt wurden. Am Schluss ist mit der Sauberkeit auch ein Stück Würde zurückgewonnen.
Mit dem „Grotewohlexpress“, einem für den Gefangenentransport umgebauten Einsenbahnwaggon, der an normale Züge angehängt wurde, ist Schönherz tagelang unterwegs, ehe sie endlich am Ziel, dem berüchtigten Frauengefängnis Hoheneck anlangt. Hier muss sie mit Mörderinnen eine Zelle teilen, wird einem der schwersten Arbeitskommandos zugeteilt und darf kein einziges mal ihre Kinder sehen.
Die Schilderung des Alltags im schlimmsten Gefängnis der DDR hätte man sich ausführlicher gewünscht. Schönherz übersteht die Zeit ungebrochen, indem sie ihren Peinigern Spitznamen gibt. Manche werden von den anderen Gefangenen übernommen und auch noch benutzt, als Schönherz Hoheneck längst verlassen hat.
Als sich die Gefängnistore endlich öffnen, darf Schönherz immer noch nicht in den Westen, sondern muss in der DDR weiter um ihre Ausreise kämpfen. Am Ende setzt sie sich gegen alle Widerstände durch.
Innerhalb eines Jahres ist sie wieder auf dem Bildschirm zu sehen, nur diesmal in Bayern.