Gastautor / 12.10.2015 / 09:34 / 5 / Seite ausdrucken

Die Separatisten-Mafia

Von Marko Martin

Hinter vielen Unabhängigkeitsbewegungen stecken korrupte Strukturen. Die jeweilige Gesellschaft wird gespalten, die Wirtschaft ramponiert

Komödiantenmund tut Wahrheit kund: “Was, frage ich euch, haben die Römer je für uns getan?” Der Zeloten-Commander in Monty Pythons unsterblichem “Leben des Brian” versuchte, die Karte des Separatismus zu spielen, wurde jedoch von seinen eigenen Leuten übertrumpft: Ja, ja, ganz schrecklich, dieses römische Imperium, und getan, erbaut und gestaltet haben sie tatsächlich nichts für uns – außer eben das Aquädukt, die sanitären Einrichtungen, die Straßen, die medizinische Versorgung, das Schulwesen, die öffentlichen Bäder und ... na gut, den Frieden.

Es steht zu vermuten, dass – so wie Kataloniens Fetisch “Unabhängigkeit” die Gesellschaft spaltet und der Wirtschaft schadet – Ministerpräsident Artur Mas über derlei gewitzte Wahrheiten nicht lachen kann. Ganz zu schweigen von den grimmigen Warlords der “Volksrepubliken Donezk und Lugansk”, die weite Teile der Ostukraine unter ihre Kontrolle gebracht haben – mit Waffenhilfe aus Moskau. Gewiss, das demokratisch regierte, wirtschaftlich prosperierende Katalonien ist nicht mit jener bankrotten Industriebrache im Osten Europas vergleichbar. Im Fieberwahn des Separatismus aber gibt es mentale Annäherungen, die zu denken geben – gerade auch uns in Deutschland (Link: http://www.welt.de/themen/deutschland-reisen/) , wo eine Formel wie “Selbstbestimmungsrecht der Völker” Teil der politischen Folklore ist. Der emanzipatorische Sound aber täuscht und hat Anschlussmöglichkeiten nach ganz weit rechts, wo man seit jeher gern raunt von “organisch gewachsenen Kulturen und autochthonen Mentalitäten”.

Entlarvend jedoch, dass man sich auf die angeblich historisch bedingten Besonderheiten der mehrheitlich russischsprachigen Ukraine just in jenem Moment besann, als es in Kiew korrupt-autoritären Politikern und monopolistischen Oligarchen an den Kragen ging. Der Maidan-Aufstand vom Februar letzten Jahres war eine Revolte für die europäischen Werte von freier Meinungsäußerung plus freier Wirtschaft – höchste Gefahr also für die postsowjetischen Strukturen, die sich bislang im ganzen Land gehalten hatten. Gleich pervertierten Asterixen tauchten deshalb im Donezkbecken plötzlich krude Gestalten auf, um – im Auftrag lokaler Oligarchen und an der kurzen Leine Moskaus – wenigstens hier die alten Machtverhältnisse zu retten. Sogar als Hobbyhistoriker betätigten sich die Trunkenbolde in den von ihnen besetzten staatlichen Bürogebäuden: Seit je habe “unser Volk” unter denen aus Kiew gelitten, nun gelte es, russische Sprache und Sitte zu bewahren et cetera pp.

Verblüffend: Für eine Weile übertölpelten sie damit sogar westliche Leitartikler und Talkshow-Politiker, die plötzlich ebenfalls vom “künstlichen Staat Ukraine” schwadronierten und einer “historisch angemessenen” Trennung das Wort redeten. Der Kreml konnte sich derweil ins Fäustchen lachen: Der Konflikt, der als Kampf um demokratische Werte begonnen hatte, war erfolgreich ethnisiert worden, die Ausdifferenzierung einer pluralistischen Zivilgesellschaft zumindest im Osten der Ukraine auf brachiale Weise gestoppt.

Betrachten wir es als Menetekel. Denn auch die demokratischen Strukturen Westeuropas sind nicht davor gefeit, von Mythenproduzenten und deren Partikularinteressen gekidnappt zu werden. Kataloniens Ministerpräsident Mas etwa regierte die letzten Jahre mehr schlecht als recht – als einstiger Kronprinz des vorherigen Dauerpremiers Jordi Pujol steckt er zudem tief im Korruptionssumpf. Beträchtliche Geldsummen, die Kataloniens fleißige Steuerzahler der ungeliebten Madrider Zentralregierung zu entrichten glaubten – sie landeten in den Taschen der angeblich “eigenen Leute”. Um davon abzulenken, erwies sich auch hier der Separatismus als erfolgreiche Masche. Wo zuvor über Transparenz, über konservative, linke oder liberale Politikkonzepte gestritten wurde, sollte plötzlich nur noch eine einzige Frage gelten: Unabhängigkeit – ja oder nein?

Absurde Konsequenz der Wahlen von letzter Woche: Mas’ wirtschaftsliberale CDC müsste nun eine Koalition mit der ebenfalls separatistischen, jedoch linksradikalen CUP eingehen, deren Chef schon einmal vorsorglich von einem “Sieg des Volkes und des Antikapitalismus” lärmt. Sähe so die Zukunft eines “Staates” aus, dem angeblich im spanischen Verbund die Luft zum Atmen abgeschnürt wird? Immerhin: Nur 47,8 Prozent aller wahlberechtigten Katalanen haben für das Hasardeursprojekt gestimmt, im Großraum Barcelona waren es sogar noch zehn Prozent weniger. Doch ähnlich wie in der Ostukraine scheint auch hier die ungute Saat aufgegangen zu sein: ein bewusst simplifizierter politischer Diskurs, dazu eine geradezu aberwitzige Zwangshomogenisierung der katalonischen Bürger, die in all ihrer Komplexität plötzlich auf ein pures Ja/Nein reduziert werden.

Dennoch: Die demokratischen Institutionen – in den Jahren nach Francos Tod übrigens zusammen mit der Madrider Zentralregierung eingesetzt – werden sich wohl als robust genug erweisen. Hinzu kommt, dass in seltener Einmütigkeit katalanische Unternehmer, Banken und Gewerkschaftsverbände vor dem Separatismus warnen. Ähnliches war vor in der Provinz Quebec in Kanada geschehen: Ein Ja für den Verbleib im Staat, wobei viele der loyalen Stimme von eingebürgerten Immigranten kamen. Gerade sie votierten gegen ein Konzept tribalistisch-provinzieller Engstirnigkeit und für die Realität eines erfolgreichen Verfassungsstaates, der multiple Identitäten geradezu braucht für sein tägliches Gelingen.

Als die unterlegenen Québec-Nationalisten diese Neubürger dann als “fünfte Kolonne Ottawas” beschimpften, wandten sich selbst Unabhängigkeitssympathisanten ab: Nein, in einem von derlei “unkanadischen” Ressentiments geprägten “Staat” wollten sie nicht leben – weder jetzt noch in Zukunft. Die Liste ließe sich fortführen – und würde wohl immer verstörender. Weshalb etwa wussten die Indigenen Lateinamerikas instinktiv, dass mit dem Abzug der Spanier und dem Beginn der nationalen Unabhängigkeiten die Unterdrückung weitergehen würde, jedoch nun um endlose Bürgerkriege erweitert? Weshalb konnten die burischen Rassisten Südafrikas das britische Commonwealth gar nicht schnell genug verlassen, um sich nun desto ungestörter an die Unterdrückung der schwarzen Bevölkerungsmehrheit zu machen? Weshalb erstanden aus den Ruinen des zu Unrecht als “Völkergefängnis” geschmähten, in Wirklichkeit jedoch toleranten und multireligiösen K.-u.-k.-Reichs vor allem autoritäre Nationalstaaten, die nun ihre eigenen Minderheiten unterdrückten und den Keim des Scheiterns bereits in sich trugen?

Fragen, die sich ein jeder stellen sollte, der die ostukrainischen und katalanischen Falschspieler womöglich als sympathische Kontrahenten des “Brüsseler Einheitsstaates” wahrnimmt. In Wirklichkeit sind es nämlich Separatisten, die “ihre” Bevölkerung auf ein Einheitsdenken bürsten. Der Weg in politische Gleichschaltung und ökonomisches Desaster – er ist mit Sicherheit keine rational gepflasterte Römerstraße, sondern eine Sackgasse der Regression.

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Leserpost

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Hubert Cumberdale / 13.10.2015

Ist zwar nur eine Vermutung, aber ich glaube, dass sich die Meinung des Autors zu Seperationsbewegungen schlagartig ändern würde, wenn sich in Sachsen durch Pegida, in Bayern durch die CSU und in Baden-Württemberg durch die Gegner des liberaleren grün-roten Bildungsplans Sezessionsbewegungen bilden würden, die die Bundesrepublik verlassen wollen. Dann wären das natürlich aufrechte Widerstandskämpfer gegen die verhasster Berliner Republik und die EU. Aber es ist halt immer eine Frage des politischen Blickwinkels, nicht wahr?

Matthias Elger / 12.10.2015

Bevor wir mit Separatisten-Mafia u. a. losschimpfen, sollten wir einmal bedenken, was derzeit geschieht. Faktisch wurde ganz Ostdeutschland als “Dunkeldeutschland”, als “Pack” beschimpft, denn mit diesen Bezeichnungen waren nicht nur die Demonstranten in Tröglitz gemeint, sondern auch die Pegida-Demonstranten und Sympathisanten. Für Bürgernähe und Demokratie spricht dies nicht unbedingt, wenn zuvor die Probleme nicht einmal diskutiert wurden. Deutschland wird unstrittig immer mehr zu einem starren und undemokratischen Zentralstaat, siehe auch die Lasten die den Kommunen aufgehalst werden. Und faktisch werden derzeit einige osteuropäische Länder über die EU zu etwas gezwungen, was sie absolut nicht wollen. Ist dies demokratisch? Oder schauen wir zu dem faktisch unregierbar gewordenen Belgien. Bevor man alle separatistischen Bewegungen per se als korrupt und schlecht einstuft, sollte man sich auch die Korruption in zentralistischen Staaten/Institutionen klarmachen, wie in der EU, in Russland, in China und auch in Frankreich. Ganz abgesehen von einem ausufernden Beamtenstaat, fehlender Flexibilität und Bürgernähe, teils undemokratischen Strukturen gibt es also durchaus auch Nachteile starker Zentralstaaten. Oft stehen hinter Abspaltungen und Vereinigungen handfeste Argumente der Bevölkerung, denn sonst bekommt man deren Zustimmung kaum und diese sollte berücksichtigt werden. Die Schotten entschieden sich ja auch bewusst gegen die Abspaltung. Und die Österreicher wissen auch warum sie unabhängig bleiben.

Walter Schell / 12.10.2015

In Katalonien sind komischerweise Islamische Verbände die grössten Unterstützer der Separatisten.

Fritz Blumer / 12.10.2015

Eigentlich hatte ich es mir zur Gewohnheit gemacht, Herrn Martins Beiträge zu überspringen. Beim Thema “Separatisten-Mafia” machte ich aber eine Ausnahme, weil ich die Katalanische Separatisten-Bewegung seit 30 Jahren von innen kenne. Er nimmt Bezug auf Verschiedene Unabhängigkeitsbewegungen, von welchen ich zum Teil sehr wenig weiss, und auch nicht beurteilen kann, ob sie vergleichbar sind. Seine Beurteilung der katalanischen Separatisten ist aber so voller Unterstellungen, Vorurteilen und schlichten Falschmeldungen, dass ich nicht den Eindruck bekomme, ich könnte hier irgend etwas nützliches über die Ostukraine oder den Separatismus im Allgemeinen erfahren. Das ganze liest sich wie ein Artikel über den IDF, von jemandem, der sich ausschliesslich bei Haaretz informiert. Herrn Martins Argumente sind so schwach oder falsch, dass ich nicht weiss, wo anfangen. Schon die Behauptung, CDC müsse sich mit der CUP zusammenraufen, zeigt, wie wenig Ahnung er hat. Die CDC ist gar nicht als eigenständige Partei angetreten, sondern in einem Listen-Verband, der vom rechten Zentrum bis weit nach links reicht. Diese müssen nun alle mit der linksextremen CUP einig werden. Die Situation ist also noch viel komplizierter, als der Autor meint. Was daran aber “abstrus” sein soll, dass in einer repräsentativen Demokratie Kompromisse geschlossen werden müssen, wird dem Leser vorenthalten. Vielmehr zeigt das vorliegende Abstimmungsergebnis wie falsch Martin liegt, wenn er den Wunsch nach Selbstbestimmung generell rechts verortet (und ihm so im Vorbeigehen mit Hilfe der Buren noch rassistische Tendenzen unterstellt). Die Liste von Martins Fehlern und/oder Unstimmigkeiten liesse sich noch fortsetzen, hier in Katalonien wird heute aber (noch!) der spanische Nationalfeiertag begangen, und ich habe andere Pläne. Fehlerhafte, schlecht recherchierte Argumente führen zwangsläufig auch zu falschen Schlussfolgerungen. Genau das passiert Martin hier zum wiederholten Male, weshalb ich wohl zu meiner alten Gewohneit zurückkehren werde (siehe oben).

Wolfgang Schmid / 12.10.2015

Jaja - träumen Sie weiter: Auch Stalins UdSSR war viel schöner, wohlhabender und gerechter als die heutigen russischen Pseudorepubliken. Und im Großdeutschen Reich gab es auch weder Korruption noch Amtsmissbrauch noch Bereicherung - das alles gab es erst mit der Aufspaltung in BRD und DDR… Im Ernst: Wir haben in der Bundesrepublik seit Jahren kaum Reallohnzuwachs, wir sind wirtschaftlich auf dem Stand der späten 80er Jahre. Unser Geld ist nicht weg, das haben nur andere in der EU. Diese EU muss schon sehr am Ende sein, wenn man jetzt schon mit bösen Separatisten drohen muss! Zur bundesdeutschen Praxis: Ganz Deutschland ist geteilt in zwei Teile: ALDI Nord und ALDI Süd. Wobei ALDI Nord immer etwas schäbiger, ärmlicher ist als ALDI Süd. Das färbt auch auf die ihm zugrunde liegenden Bundesstaaten ab. Als gebürtiger Bayer in Berlin kann ich deshalb nur wünschen, dass man den Norddeutschen Pleitestaaten-Bund im Dreieck Bremen-Berlin-Saarland vom Länderfinanzausgleich abkoppeln und sich selbst überlassen sollte. Baden-Württemberg und Bayern wären besser Bundesstaaten der Bundesrepublik Österreich. (In Wien liegt ja noch die deutsche Kaiserkrone!). Und ALDI Süd sollte mit “Hofer” fusionieren!

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