Die Rehabilitierung der Kohlenhydrate

Von Uwe Knop

Obgleich inzwischen ein wahrer „kulinarischer Heiligenschein“ über „Kohlenhydratverzicht als Schlank- und Gesundkost“ schwebt, bestätigen erneut sieben aktuelle Studien aus dem Zeitraum von Mai bis August 2017 die derzeitige wissenschaftliche Datenlage: Low-Carb verhilft weder zu besseren Abspeckerfolgen noch fördert die Tellerverbannung von Brot, Pasta & Co. die Gesundheit. Zwei Studien zufolge haben die extremen „LowCarber“ gar ein marginal höheres Diabetes-Typ-2-Risiko und Low-Carb-Ratten tendieren zur Entwicklung einer Fettleber.

Die neuen Publikationen haben im Einzelnen folgendes ergeben: Eine Drei-Gruppen-Studie, durchgeführt nach höchsten medizinischen Standards (als randomisierte klinische Studie), hat nach sechs Monaten gezeigt: Nicht nur der Gewichtsverlust war bei insgesamt 245 untersuchten gesunden Nicht-Fettleibigen in der „Wenig-Fett-Viele-Kohlenhydrate“-Gruppe (LFHC) sowohl stärker als in der moderaten Fett-Kohlenhydrat- als auch in der Low-Carb-Gruppe, auch die Reduktion des Taillenumfangs und diverser Blutparameter wie Gesamtcholesterin waren in der LFHC-Gruppe besser. In einem Kommentar zu diesem Paper loben die Autoren die Arbeit als „exzellente Studie im State-of-the-art-Design.“

Auch bei fettleibigen Diabetikern – wo Low-Carb (LC) bevorzugt zur Gewichtsreduktion eingesetzt wird –, bestätigt eine aktuelle Studie, was bereits in einigen Untersuchungen zuvor beobachtet wurde: Kein Vorteil von LC-Diäten. Es gebe keinen Beweis, dass LC die beste Diabetiker-Diät sei, sondern es komme allein auf Kalorienreduktion an und darauf, dass die Patienten die Diät durchhalten, so das Fazit der Studienleiter von der Universität Michigan. Ebenfalls keinen signifikanten Effekt von Low-Carb zur Langzeit-Gewichtsreduktion bei Diabetikern zeigte eine weitere neue Großstudie, die neun Einzelstudien (RCT) in einer Meta-Analyse untersuchte und eine zweite Auswertung von 32 Studien kam zu dem Ergebnis: „Der Fettverlust ist unter Low-Fat-Diäten besser.“

Das ökotrophologische Universalcredo

Eine aktuelle Analyse von weiteren vier Einzelstudien ergab gar ein „leicht erhöhtes Risiko von Typ-2-Diabetes bei extremer LC-Kost“. Und mit einer randomisierten Rattenfütterungsstudie, bei der die Tierchen nicht künstlich überfüttert worden waren, konnten die Wissenschaftler belegen, dass keine Gewichtsunterschiede zwischen LC-Nahrung und der „Normalkostgruppe“ bestanden – jedoch zeigten die LC-Ratten eine deutliche Leber-Verfettung, die den Autoren zufolge „durch die LC-Diät hervorgerufen wurde“ und die bei den Normalfutter-Nagern nicht zu beobachten war.

Bei negativen Ergebnissen der Ernährungsforschung, die einzelne Lebensmittel oder „Besser-Esser-Stile“ mit erhöhten Krankheitsrisiken in Zusammenhang bringen, ist jedoch stets erhöhte Vorsicht angebracht: Korrelationen sind keine Kausalitäten und Ratten keine Menschen. Des Weiteren stellt sich in der Regel die Gretchenfrage nach Henne und Ei: Macht das Essen krank oder essen Kranke anders (oder sind ganz andere Gründe für die beobachteten Korrelationen verantwortlich)? Die Antwort liefert das ökotrophologische Universalcredo: Nichts Genaues weiß man nicht …

Das ändert jedoch nichts daran: Auch diese neuen Studien bestätigen, was zahlreiche aktuelle wissenschaftliche Publikationen bereits zuvor gezeigt haben: LowCarb als Schlank- und Gesundkost zu glorifizieren, entbehrt jeglicher wissenschaftlichen Grundlage – und ist daher nicht mehr als heiße Luft. Es ist ein Mythos, mit dem viel Geld gemacht wird, insbesondere im Diätbusiness, denn „haben nicht schon Heidi Klum, Catherina Zeta-Zones und die Royal Sisters Kate und ‚Super-Knack-Popo‘ Pippa Middleton so schön toll mit LC abgespeckt?“ So werden Diäthypes geboren. Doch: Erstens weiß niemand, womit die Stars und Sternchen tatsächlich abspecken, zweitens ist es auch egal, denn es kommt bei allen Diäten stets auf die negative Energiebilanz an und drittens: Jo-Jo strikes back und das immer und auf jeden Fall.

Nachdem das deutsche Lieblingsgetränk Kaffee sein ungesundes Image inzwischen abgelegt hat, folgt nun die (längst überfällige) wissenschaftliche Rehabilitierung der Kohlenhydrate, des Energielieferanten Nummer eins. In meinem neuen Buch „Gute Carbs“  werden erstmals fundierte Argumente geliefert, warum niemand Angst vor Brot, Kartoffeln und Nudeln haben muss. Denn: Obgleich LowCarb gerne als heiliger Gral gesunder Ernährung gehyped wird, muss man klar konstatieren: Es liegen weder wissenschaftliche Beweise vor, dass Kohlenhydrate Krankheiten fördern oder gar verursachen, noch dass sie Dickmacher sind. „Sie haben zu viel Brot, Nudeln und Snickers gegessen – jetzt haben Sie Diabetes.“ Solche Aussagen sind nicht möglich, egal zu welcher Krankheit.

Der Pasta-Bashing-Hype

Die Hauptbotschaften des Buchs sind:

  • Gesunde Menschen brauchen keine Angst vor Nudeln, Brot und Pasta zu haben.
  • Es gibt keine EBM-Belege, dass der Verzicht auf oder die reine Reduktion von Kohlenhydraten Krankheitsrisiken senkt oder gar Krankheiten vorbeugt.
  • Bei den drei großen Krankheitsbildern Diabetes, Koronare Herzkrankheit und Krebs zeigen zahlreiche aktuelle Studien, dass eine Kohlenhydrat-Reduktion als „Ernährungstherapie“ nichts bringt.
  • LowCarb als „Abspeckdiät“ ist genauso ein Blender wie alle anderen Diäten.

Natürlich kann nach umfangreicher ärztlicher Anamnese und Diagnose eine Reduktion von Kohlenhydraten ein Baustein einer multimodalen Therapie sein, der mit zur Gesamtwirkung beiträgt. Aber: Eine generelle Verteufelung von Kohlenhydraten gleicht einer Ad-hoc-Ersatzbefriedung aller Ernährungsapostel, nachdem jüngst Fett, Eiern und Cholesterin aus Mangel an Beweisen die „kulinarische Absolution“ erteilt wurde.

Stattdessen gilt: Kohlenhydrate sind unser Hauptenergielieferant, unser Hirn „liebt“ Glukose als Einzelnahrung wie ein Koala seine Eukalyptusblätter. Ergo: Lassen Sie sich vom derzeitigen Pasta-Bashing-Hype nicht ihr leckeres Essen vermiesen – Nudeln, Brot und Kartoffeln machen weder dick noch krank, sie schmecken in der Regel einfach nur gut!

„Die Verfechter der Low Carb-Bewegung haben sich zu früh gefreut …“, so die Stellungnahme dreier Professoren der Universität Hohenheim anlässlich des aktuellen „Lebensverlängerungs-Hypes“ der derzeit medial omnipräsenten PURE-Studie. „Ein direkter kausaler Zusammenhang zwischen der Gesamtmenge an Kohlenhydraten und Fett in der Ernährung und der Sterblichkeit ist nicht gegeben.“ Die Schlussfolgerungen der PURE-Studie seien nicht haltbar. Mit den beobachteten Zusammenhängen, dass „eine geringere Sterblichkeit zwar mit höherem Fettkonsum bzw. niedrigerem Konsum an Kohlenhydraten verbunden ist, lassen sich mit dieser Methode keine kausalen Zusammenhänge zwischen diesen Beobachtungen feststellen.“ Diese klare Aussage gilt im Übrigen fundamental für alle Ernährungsbeobachtungsstudien. Daher erlauben diese Untersuchungen in toto keine Schlussfolgerungen zu Ursache und Wirkung, sondern lassen stets nur multipel interpretierbare Hypothesen in diverse Denkrichtungen zu.

Uwe Knop ist Diplom-Ökotrophologe (Ernährungswissenschaftler) und Initiator der Facebook-Gruppe Kulinarische Körperintelligenz. Dieser Beitrag ist zuerst in Novo erschienen.

Foto: Bildarchiv Pieterman

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Michael Lubk / 13.09.2017

Low-Carb wirkt trotzdem - aber eben nur, weil durch das Weglassen der Kohlenhydrate dem Körper weniger Energie geliefert wird (wenn man die Kohlenhydrate durch Salat, Gemüse und Obst ersetzt!) Abnehmen ist ganz einfach - weniger Energie zuführen als verbrauchen, also weniger essen und/oder mehr bewegen. Aber: Der Geist ist willig, doch das Fleisch ist schwach

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