Roger Letsch / 05.01.2018 / 11:53 / Foto: Bildarchiv Pieterman / 13 / Seite ausdrucken

Die Problem-Söhnchen Mannheims und das Medien Darling

Der Oberbürgermeister von Mannheim hat einen Brief geschrieben. Einen Brief, der zur Kategorie „Notruf Rütli-Schule“ gezählt werden darf, spricht er darin doch von unhaltbaren Zuständen und sogar von Staatsversagen wegen Kriminalität in der kurpfälzischen Idylle. Der SWR berichtete mit Studiogast und Reportagen vom Mannheimer “Ground Zero” in der Sendung „Zur Sache! Baden-Württemberg“ am 7. Dezember 2017 über den Brief und das, was den Bürgermeister ans Schreiben brachte. Was war geschehen? Die Stadt hat ein „Großes Problem“ mit einer Gruppe minderjähriger unbegleiteter Flüchtlinge, welche die Stadt offenbar durch diverse gut eingeübte Techniken des Eigentums-Transfers bereichern. Die Stadt Mannheim wird um eine Kulturtechnik bereichert – sich selbst bereichern die Buben materiell durch das Klauen von Handtaschen, besonders gern aus Fahrradkörben, und andere lustige Streiche.

Nun ist es nicht so, dass es in Mannheim keine Polizei gäbe! Die tritt in Gestalt von Stefanie Bordt sogar vor die Kamera und erklärt, dass die Einsatzkräfte ihre Möglichkeiten sehr wohl ausschöpfen würden, und dennoch nicht zum erhofften Ziel kämen. Und das geht so: Die Langfinger sind nominell minderjährig und höchstens 14 oder 15 Jahre alt, also nicht mal bedingt strafmündig. Die Polizei dürfe, so die Beamtin, an den Angaben der aufgegriffenen Jugendlichen nicht zweifeln, was die Vermutung nahelegt, genau dies würde sie schon gern gelegentlich tun – besonders am Alter der Diebe. Außerdem seien die kleinen Langfinger „extrem gut vernetzt“, und es sei ihnen schlicht egal, ob Stehlen verboten sei. Spätestens an dieser Stelle überwiegt das Mitleid mit der Polizei meine Fassungslosigkeit, denn offenbar muss man sich Polizeiarbeit in Mannheim als Akt endloser sisyphoser Vergeblichkeit vorstellen.

Die O-Töne befragter Passanten zusammenfassend, sagte die Reporterin schließlich folgendes in die Kamera:

„…die Meinungen [der Bevölkerung] sind geteilt. Die einen haben sich mit der Sicherheitslage abgefunden und lassen sich nicht einschränken, die anderen haben Angst und gehen abends nicht mehr allein vor die Tür…“

Das klingt konziliant, ist aber Quatsch, weil die Meinungen zur Sicherheitslage keineswegs geteilt sind – die wird sehr wohl und gleichermaßen als kritisch wahrgenommen. Die Bürschchen sind schließlich polizei- und stadtbekannt. Was sich unterscheidet, sind lediglich die Schlussfolgerungen für das eigene Handeln. Die einen denken, ihnen wird schon nichts passieren. Die anderen haben Angst.

Werden in Mannheim 18 Millionen Handtaschen geklaut?

Zurück im Studio, wo das Gesehene und Gehörte der Einordnung und Bewertung harrt. Moderatorin Stephanie Haiber hat sich einen Experten eingeladen, den Migrations- und Flüchtlingsforscher Albert Scherr aus Freiburg. Immer wenn im öffentlich-rechtlichen Fernsehen Experten angekündigt werden, muss ich an Clementine aus der Waschmittelwerbung denken, die wusste auch immer genau Bescheid, denn sie war Expertin für dreckige Wäsche, die sie innerhalb weniger Minuten wieder sauber quasseln konnte. Eine Assoziation, die sich beim Auftritt des SWR-Migrations-Experten nur noch verfestigt. Scherrs Antwort auf die Frage nach dem Mannheimer Problem brachte bereits den ersten Fleck zum Verschwinden:

„Es gibt ein Problem, aber kein soooo großes! Es geht um 600 Fälle von Handtaschendiebstählen und zehn Jugendliche…im Vergleich mit dem übrigen Kriminalitätsaufkommen in einer Stadt wie Mannheim ist das gering.“

Es muss übel aussehen in dieser putzigen Stadt am Neckar, wenn 600 Taschendiebstähle durch zehn Diebe noch als „geringes Problem“ durchgehen – zumal alle Diebe weiter ungehindert ihrem Handwerk nachgehen können. Und das soll normal sein in Mannheim? Was ist da los? Bei etwas mehr als 300.000 Einwohnern werden in Mannheim doch wohl nicht 18 Millionen Handtaschen pro Jahr geklaut? Oder vergleicht der Migrationsforscher hier etwa Äpfel mit Birnen? Ist die Anzahl der Verstöße gegen die Regeln der Kehrwoche proportional so viel größer als die Zahl der Überfälle? Aber nein.

Drei- bis viertausend Fahrraddiebstähle im Jahr gäbe es ja auch, meint der Experte. Und andere schwere Kriminalität ebenfalls, über die sich keiner aufrege, so Scherr. Was wir nicht erfahren, ob jeder der Fahrraddiebe im Schnitt auch 60 Fahrräder klaut, oder ob sich das etwas gerechter unter den 300.000 schon länger die Stadt Mannheim unsicher Machenden verteilt. Wo Scherr aber mit Sicherheit irrt, ist die Frage der Diskussion. Eine im März 2016 vorgestellte Statistik spricht von einem „Zehn-Jahres-Hoch“ der Kriminalität in Mannheim. Falls die Songs von Xavier Naidoo noch nicht als Hörverbrechen gelten, kann ich mir diesen Anstieg beim besten Willen nicht erklären.

„Dezentrale Jugendliche"

„Sachlich nicht hilfreich“ sei der Brief des Bürgermeisters, denn nicht er, sondern die Bürger sprächen von „Staatsversagen“, meint der Experte. Der Brief vermische zwei Probleme: das Reale der Diebstähle und die Stimmungslage in der Bevölkerung – das kann ja nur falsch sein! Seit wann haben denn „reale Diebstähle“ irgendeinen Einfluss auf die Stimmungslage der Bevölkerung! Wo diese schlechte Stimmung herkommt, das müsse man schon noch mal genau besprechen! Womöglich steigen ja bei Dolce & Gabbana aufgrund der Nachfrage die Handtaschenpreise, was die Mannheimerinnen ganz kirre mache, während sie die Diebstähle ganz cool wegstecken würden? Der Experte bleibt hier doch sehr vage.

Drei mies gelaunte Bürgerinnen werden dann noch per Videoschalte ins Studio gelassen, wo sie unverblümt nach mehr Sicherheit verlangen und solche geradezu pegidaeske Forderungen stellen, wie „die Bande auseinandernehmen” oder „Alter feststellen“ – ich fürchte, es wurde sogar das Wort „Abschiebung“ ausgesprochen und nicht überpiepst! Der Experte weiß es aber besser und wendet ein, dass die Gruppe keine Bande sei, sondern aus „dezentralen Jugendlichen“ besteht. „Nur drei bis sechs leben in Mannheim, die anderen reisen von außen zu, es ist auch völlig unklar, ob das ’ne stabile Gruppe ist, oder ob die Täter wechseln.“

Vermutlich hat er diesbezüglich bereits Feldforschung betrieben und kennt nun Wanderwege, Nahrungsgewohnheiten und Balztänze seiner Forschungsobjekte besser als jeder Mannheimer, dem die putzigen Kleinen mal eben eine Tasche abgezogen haben. Da muss man wohl auf den Experten vertrauen und weitere Studien anstellen, vielleicht auch solche zur Gruppenstabilität, und wie man sie erhalten kann. Auch künftige Revierkämpfe, vielleicht mit „dezentralen Jugendgruppen” in Ludwigshafen, versprechen spannend zu werden!

Eine weitere „Clementine“ kommt zu Wort, diese arbeitet für den „Sozialen Dienst Karlsruhe“ und hat die Aufgabe, die Angaben der Neu-Mannheimer zur Erlangung eines Asyl-Status auf Plausibilität zu prüfen. Das sei nicht einfach, meint Kristina Jessen, „aber man bekommt mit der Zeit einfach ein Gespür dafür“. Und wie bei der Polizistin weiter oben schwankt man wieder zwischen Mitleid und Verzweiflung, wenn man außerdem hört:

„Viele lügen. Sie sind vorbereitet, sie kennen unsere Fragen, sie kennen ihre Rechte. Dafür bekommen die Schlepper sicher ihr Geld, dass diese Reise sich gelohnt hat.“

Das tut es sicher. Und sei es auch nur für die Tatsache, die Butter auf dem Brot von Migrationsforschern zu sein. Und bevor Sie, liebe Leserin und lieber Leser, jetzt einwenden, es gäbe doch objektive Methoden, um zum Beispiel das Alter eines Lügners sehr genau festzustellen, kommt aber gleich noch die warnende Stimme aus dem Off:

„Es ist teuer, und Ärzte warnen vor den Gesundheitsgefahren beim Röntgen.“

Ich bin mir aber nicht wirklich sicher, ob die Mannheimer, die ja keine Schwaben sind, den Hinweis auf die hohen Kosten des Verfahrens zur Altersfeststellung goutieren werden, oder dass die gesundheitlichen Risiken eines einmaligen Röntgens des Handgelenks angesichts der ungleich größeren Gefahr, in Deutschland – wie sich’s gehört – durch Feinstaub und Dieselabgase zu Tode zu kommen, wirklich ins Gewicht fällt. Aber ich bin ja keine Clementine, was weiß ich denn schon!

Der Ruf nach einer Fachkonferenz

Wovon Migrationsforscher Scherr hingegen sicher weiß, sind „strukturelle Probleme”! Und zwar bei den fehlenden Angeboten, nicht etwa bei Art und Umfang der Migration, und so muss er natürlich auch reden! Sonst könnte man ihm ja die Frage stellen, was er eigentlich all die Jahre gemacht und erforscht hat, warum es immer noch keine Lösungen für die Probleme der Städte gibt, oder was das eigentlich für Angebote sein sollen, die überall fehlen, und warum davon keiner weiß. Ich habe da ja einen Verdacht. Clementine ist hier nicht ganz uneigennützig, und deshalb lassen wir den Experten Scherr nochmal mit einem geschmeidigen Schlusssatz zu der Frage zu Wort kommen, was denn nun geschehen müsse, in Mannheim:

„Es gibt einen ganz dringenden Bedarf, in Mannheim eine Fachkonferenz zu veranstalten, wo Experten aus dem Bundesgebiet – und die gibt’s – sich zusammensetzen, mal genau anschauen, was ist jetzt wirklich das Mannheimer Problem, und auf der Grundlage vernünftige Handlungsperspektiven entwickeln.“

Besser hätte ich es auch nicht sagen können – Fachkonferenz, Zusammensetzen, mal schauen und dann mal gucken! Und wie gern würde ich von dieser Fachkonferenz berichten, wenn ich eingeladen würde! Einen Arbeitstitel für die Konferenz hätte ich auch schon, entlehnt dem letzten Satz des Migrationsforschers Albert Scherr:

„Man kann sich über vieles ärgern“ – das stimmt ganz sicher! Mir würden da auf Anhieb einige der Ratschläge von sogenannten Migrationsexperten einfallen, wenn es um die Bekämpfung der Kriminalität ihrer Forschungsobjekte geht. Von der sie zwar nur wenig verstehen, die ihnen jedoch Lehrstühle und Beraterverträge sichert.

Dieser Beitrag erschien zuerst in Roger Letschs Blog Unbesorgt hier.

Foto: Bildarchiv Pieterman

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Leserpost

netiquette:

Wilfried Cremer / 05.01.2018

Und wer sich mit einem Kantholz wehrt, dessen Reichweite das von Messern übertrifft, der landet vor Gericht. Und wer den Messereinsatz nachhaltig, also entsprechend robust, unterbindet, der landet im Knast. Unser Rechtswesen funktioniert schließlich.

R. Bunkus / 05.01.2018

“Es ist teuer, und Ärzte warnen vor den Gesundheitsgefahren beim Röntgen.” Da ja nie irgendwelche Zahlen genannt werden, kann man erkennen, dass der Zuschauer für dumm verkauft werden soll. Wieviel kostet denn nun einmal Röntgen? Wie hoch sind der Preis, den die Behörde dem Arzt zahlen müsste, wie hoch die Durchschnittskosten, wie hoch die variablen Stückkosten? Mit ein bisschen Recherche im Netz kann man das wertvolle Geheimnis schnell lüften: Nach meiner persönlichen konservativen Schätzung: 66 € pro Röntgenvorgang (zusammengesetzt aus jährlich 400.000 € für den Radiologen, 124.000 € fix für die Praxis, jeweils 2900 € mtl. brutto für 3 MTA +60% für AG-Anteil, Urlaub, Krankheit, Feiertage, und natürlich 6000 € für das günstige digitale Röntgensystem inkl. Servicepolice [beinhaltet Leasing, Wartung, Bilderzeugung] bei 44 Röntgenvorgängen an 239 Arbeitstagen. Google hilft.

Michael Lorenz / 05.01.2018

Man könnte auf die Idee kommen, dass diese Paradiesvögel von ” XYZ-Forschern” - egal, was XYZ im Detail ist - von den zu Millionen illegal ins Land Gelassenen prima leben. Aber das wäre ein Riesenirrtum! Denn selbst ohne jegliche Einwanderer würde es diesen Damen und Herren prächtig gehen, sie wären dann Fahrrad-, Gender-, Nachteilsausgleich- Frauen-, Queer- oder halt XYZ-Beauftragte, in dessen Folge sie ebenfalls wie die Maden im Speck gedeihen könnten. Man mache sich bewusst, dass all diese Pflänzchen primär nur von einer einzigen Nahrungsquelle leben: von unseren CDU/SPD/Grünen - Kreuzchen auf Wahlzetteln!

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