Gunter Weißgerber / 14.12.2016 / 06:00 / Foto: Thomas Bresson / 14 / Seite ausdrucken

Die Politik verliert das Volk

Wie sicher ist unsere Freiheit heute? 

Mit der Deutschen Einheit 1990 retteten die Ostdeutschen ihre neue Freiheit in die Sicherheit des Westens. Siebenundzwanzig Jahre später stellt sich die Frage, ob das lediglich eine Art Zeitkauf bedeutete und wir eine Generation später erneut um diese Freiheit kämpfen müssen. Mir scheint die Freiheit in der Bundesrepublik noch nie so gefährdet gewesen, wie sie es derzeit ist.

Rechtsaußen, Linksaußen, Querfront, Verschwörungstheoretiker, Islamismus, Putins Krieg gegen die Stabilität Europas, US-Amerikas Selbstschrumpfung vom Weltgendarmen zum Bettvorleger ohne rote Linien, allgemeine Orientierungslosigkeit infolge des zeitweiligen Totalausfalls von Bundesregierung und Bundestag im September 2015 – diese trostlose Kette wäre noch viel länger fortzusetzen.

 Die Bundestagsparteien ihrerseits tummeln sich wie auf einer Kinderspielplatzwippe sämtlich auf dem linken Hebel derselben und rutschen dadurch, der Erdanziehungskraft folgend, noch schneller und tiefer nach unten. Und sehen dies nicht – es müssen stolze Strauße sein, die den Kopf im Sand haben.

Die FDP fiel 2013 ihren eigenen Fehlern plus einem sternmedialverhetzten Altherrenwitz zum Opfer und fehlt seitdem empfindlich im bundespolitischen Repräsentanzangebot. 

Die SPD mit ihrem Linksaußenrutsch und die CDU mit ihrem grünen Antanzen im Sinne des Feuilletons, beide haben sie wissentlich die Statik der Bundesrepublik Deutschland gecrasht und müssen nun hoffen, 2017 nicht auf Reset gewählt zu werden. Zu meinem Leidwesen.



Schuld sind nicht die Wähler. Die sind nie schuld

Eindringliche Warnungen gab es zur Genüge. Seit Ferdinand Lassalle weiß allein die SPD, das Wahlvolk ist nicht sklavisch an sie gekettet. Wird der Riss zwischen der SPD und ihren Wählern zu groß, gehen diese ihrer Wege. Schuld sind nicht die Wähler. Die sind nie schuld. Das ist in einer Demokratie konstitutiv! 
Die Parteien haben sich um das Wahlvolk zu drehen. Überdrehen sie dabei, fliegen sie aus der Umlaufbahn, weil die Zentrifugalkräfte die Anziehungskräfte übersteigen. 



Die SPD hatte ihren Leipziger Bundesparteitag 2013 genutzt, um Linksaußen/Linksextremen nicht nur die Salontauglichkeit, sondern gleich die Fähigkeit zur Staatsverantwortung zu attestieren - und damit diese Bundesrepublik aus der Waage zu werfen, indem diese einseitig mit scharfem Blick nur nach Rechtsaußen austariert werden soll. Was dem Sicherheits- und Gerechtigkeitsgefühl der meisten Wählerinnen und Wähler auf jeden Fall zuwider läuft. 

Für mich als jemand, der 1989/90 für die Werte Freiheit und Demokratie sogar seine Stimme vor Hunderttausenden öffentlich erhob, ist dieser Absturz in den Schimmel der ideologischen Einseitigkeit schwer verdaulich.

Ich wollte die gegenüber Rechts- UND Linksaußen wehrhafte Bundesrepublik. Diese vertrete und verteidige ich seit 1989. Eine rechts oder linksaußenlastige Bundesrepublik würde mir am Hintern vorbei gehen, „meine“ Bundesrepublik wäre sie nicht mehr. 

Noch sind die Grenzen offen, noch haben wir keine SED-Innenminister oder -Staatssekretäre in einer Bundesregierung, noch kann ich also abhauen und muss nicht in einem Linksaußen-mitgeführten Staat in die innere Emigration gehen – so wie es bis 1989 Millionen Ostdeutsche taten. 



Aber ehe ich an diese letzte Möglichkeit herangehe, werde ich meine Stimme weiterhin für die Freiheit, für Demokratie ohne Attribut, für das grenzenlose Europa und für unsere Verankerung in der westlichen Verteidigungsgemeinschaft erheben. 


In meinem Essay „Deutsche Einheit 1990. Rußland 2016. Und Trump..." kam ich auf einen weitere Überlegung hinsichtlich der Notwendigkeit der Deutschen Einheit 1990 zu sprechen:



„Die Deutsche Einheit brauchten wir auch aus einem zweiten Grund. 2,3 Millionen SED-Mitglieder, vierhunderttausend Blockparteiangehörige, hunderttausende haupt- und ehrenamtliche‹ Stasileute waren in der Gemeinschaft von 82 Millionen Mitbürgern einfach besser aufgehoben und auf ihren Minderheitsplatz gesetzt als unter nur 16 Millionen Deutschen, die nicht einmal die Kapazitäten zu wirtschaftlichem Aufstieg auf ihrer Seite vorweisen konnten.“ 



Die deutsche Einheit verdünnte die Spitzel-Konzentration

Was ich damit sagen will? Mit der Einheit retteten wir nicht nur unsere 1989/90 gewonnenen Freiheiten vor Rückabwicklung aus Moskau, wir verdünnten quasi die vielen Spitzel, Observierer, Zersetzer, MfS-Schreibtischtäter von SED-Gnaden in 82 Millionen, statt diese Leute weiterhin allein mit uns unter 16 Millionen zu wissen. Letzteres hätte zukünftige kommunistische Umstürze viel leichter gemacht. 
Die Kehrseite der Medaille war natürlich auch: In die Einheit nahmen wir diese ganze Bande mit. Wir konnten sie ja nicht weit weg, beispielsweise ins sowjetische Königsberg, schicken. Das wäre eine Vertreibung gewesen und sowas war für uns ausgeschlossen. Wir waren anständige Leute.



Und nun haben wir den verschimmelten Salat. Mit Hilfe von SPD und Grünen sind die Bannerträger sozialistischer Umgestaltung weit oben in der Bundesrepublik angekommen und sie sollen noch viel höher gelangen. Igitt igitt!

 Die Bundesrepublik wird damit zunehmend durch die patinierten Brillen Honeckers und Mielkes gesehen und in Gut und Böse eingeteilt. Staatlich zertifizierte Oberzensoren zahlten ihr Lehrgeld vor Jahrzehnten beim MfS und melden heute politisch inkorrekte Regelverstöße weiter. Einmal gelernt und für immer gelernt? 
Müssen diese Menschen tatsächlich ihre Brötchen auf so einem Gebiet verdienen? Können die das nicht mit ehrlicher Hände Arbeit tun?

Dagegen hätten die meisten 89er Demonstranten nichts, riefen sie doch damals „Stasi in die Produktion!“ und nicht etwa „Stasi in die Regierungsämter!“
 Für die SED war alles rechts, was nicht bei ihr am Linksaußenplatz kuschte und mittat.

 Nun stehen wir auch in der Bundesrepublik kurz davor, alles, was den Belehrern in den Medien nicht gefällt, in der rechten Ecke verortet zu sehen. 
Ich bin schon der Auffassung, dass Journalisten eine eigene politische Meinung haben sollten. Doch die will ich nur in deren Kommentaren lesen und hören und nicht mit Informationen vermischt als Nachricht serviert bekommen! 


Auch gegen diese Vermischung gingen wir 1989/90 auf die Straße. Genau diese vorsätzliche Vermischung heute lässt das üble und falsche Bild der sogenannten Lügenpresse erst entstehen. Eine Zeitung, die mich belehren, ein Fernsehkommentator, der mich erziehen will, dem gehe ich zuerst aus dem Wege. Hört er nicht auf, will ich ihn nie wieder auf mich loslassen. Ich wurde von meinen Eltern gut erzogen. Erzieht Ihr Euch selbst aber nicht mich!

 Wenn Ihr so weitermacht, wird Euch Eure Phantasie dazu treiben, aus 82 Millionen Deutschen über 81 Millionen "Rechte" zu malen, weil die alle nicht bei Euch auf dem Linksklo sitzen.

 Das war schon in der DDR so ähnlich: Die da oben waren die guten Linken und die doofe Bevölkerung ließ die SED vom MfS im Sinne von "fortschrittlich-gut" observieren und zersetzen.

Gunter Weißgerber ist ehemaliger Bundestagsabgeordneter der SPD (1990 - 2009) und gehörte in der DDR zu den Leipziger Gründungsmitgliedern der Partei

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Volker Grunewald / 14.12.2016

Lieber Gunter Weißgerber, Ich bin auch skeptisch ob ein mögliches rotrotgrünes Bündnis die Probleme in Deutschland, Europa und Welt vernünftig lösen wird. Es gibt Alternativen,  nicht die AfD, der Souverän wird es entscheiden und dann wird sich zeigen ob eine große Koalition wieder mit der Bildung beauftragt wird. Viele Entscheidungen und Gesetze in der Kroko sind vernünftig.  Ich wäre für eine Fortsetzung. Experimente sind immer ein Wagnis. Mal sehen wofür sich die Wähler entscheiden. Kröten muss man im Leben immer schlucken,  so oder so. Ich sehe die BRD nicht auf dem Weg in eine linke oder rechte Republik.

Hjalmar Kreutzer / 14.12.2016

Verehrter Herr Weißgerber, danke für die wunderbare Analyse. Gibt es in Ihrer Partei nicht genug Mitglieder/Funktionäre, die dies ähnlich sehen und zusammen mit Buschkowski und Sarrazin gegen solche Kaliber, wie Maaß und Schwesig mit ihrer Verschwendung von Steuergeldern für Linksextremisten und nichtstaatliche Zensurbestrebungen ein Verfahren wegen parteischädigenden Verhaltens anstrengen können? Ob Sie hier dagegen anschreiben, geht diesen selbstgewissen Herrschaften doch am Glutäus vorbei.

toni rudolf / 14.12.2016

Lieber Herr Weißgerber, ja, so ist es. Sie schreiben sicher Millionen Ostdeutschen aus der Seele, zumindest denen, die das schon einmal erlebt haben. Ich habe vor etwa 1,5 Jahren erstmals wieder das mulmige Gefühl im Bauch gehabt, dass ich erzogen werden soll, mich um den richtigen Klassenstandpunkt bemühen muss, die Gespräche im Kollegenkreis wieder mit Schulterblick begannen.Ich hätte es unseren westdeutschen Landsleuten gerne erspart, aber jetzt machen diese (leider) die gleichen Erfahrungen wie wir in der DDR. Wann ist das nur gekippt?  Ja, zum Glück sind die Grenzen noch offen und das bleiben sie auch, denn man kann sie ja laut unserer Kanzlerin nicht schützen - puuh, Gott sei Dank.  Herr Weißgerber, diesmal können jeder Zeit abhauen, ich komme mit. t. rudolf

Peter Schmidt / 14.12.2016

Wie kommen Sie auf die Zahl von 82 Millionen “Deutschen”? Realistisch sollten es wohl eher nur noch knapp 60 Millionen sein; oder wen zählen Sie sonst noch alles zu dieser Kohorte hinzu?

Dr. Marku Müller / 14.12.2016

Puh. Starker Tobak. Aber schön, es als Westkind der Generation Golf einmal so von einem zu hören, der damals in der DDR dabei gewesen ist. Es kommt einem schon länger so vor, als sei der “Kampf gegen Rechts” etwas aus dem Ruder gelaufen, und stellt sich deshalb eher als Kampf gegen das Recht heraus. “Rechts” ist demnach jeder, der nicht am linken Ende der Wippe sitzt. Das dürften in der Tat sehr viele sein. Früher sagte man wohl “Klassenfeind” dazu. Wenn wir Bürgerlichen heute in diese Kategorie bei den Regierenden fallen, dann ist das wohl eher als Auszeichnung zu sehen.

B.Roger / 14.12.2016

Und was dürfen wir noch erwarten in den nächsten 9 Monaten bis zum historischen Wahltag des 17. September 2017? Schon jetzt nähert sich der politisch-gesellschaftliche status quo finstersten DDR-Zeiten. Wir brauchen keinen Schnüffelstaat, sondern einen offenen gesellschaftlichen Diskurs über das, was sich wie eine zähe Masse über unserem Land ausbreitet.

Boris Goldberg / 14.12.2016

Meine Befürchtung: Zum 2. Mal in meinem Leben werde ich Zeitzeuge, wie es eine “Ostzone” hinwegfegt. Ich bin gespannt, was diese Abwicklung dann für Unleckeres zu Tage bringt. Wir Westler sind zu weich. Die Revolutions-Spezialisten im Osten sind meine Hoffnung.

Wieland Schmied / 14.12.2016

Werter Herr Weißgerber, sehr schön geschrieben und inhaltlich d’accord. Aber die 82 Millionen Deutschen, woher nehmen Sie die denn?

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