Eine Replik auf Richard Herzingers Beitrag.
„Das Kosovo gehört faktisch längst nicht mehr zu Serbien,“ schreibt Richard Herzinger, und das ist soweit auch richtig, sein Satz geht aber weiter und zwar so: „dessen völkerrechtlicher Anspruch steht seit langem nur noch auf dem Papier.“ Erstaunlich die Leichtfertigkeit mit der hier vom Völkerrecht gesprochen wird. Auf dem Völkerrecht gründet schließlich das gesamte Geflecht der internationalen Beziehungen, um nicht zu sagen, das Weltgleichgewicht…
Mit der einseitigen Unabhängigkeitserklärung, und vor allem mit ihrer Anerkennung, wurde das Völkerrecht gebrochen. Das hat Folgen, zumindest für den Balkan. Dass Serbien das Kosovo faktisch verloren hat, ist nicht zu bestreiten, mehr noch, es hat das Gebiet durch eigenes Verschulden seiner nationalistischen Politik in den neunziger Jahren eingebüßt.
Diese Politik hat eine lange Vorgeschichte, die ihre Wurzeln im zweifachen Versuch der Etablierung eines südslawischen Gesamtstaates hat, aber im Grunde noch viel weiter zurückgeht, bis ins neunzehnte Jahrhundert hinein, als man auf dem noch osmanischen Balkan eine moderne europäische Staatenordnung zu planen begann. Damals stellten die Serben die Speerspitze des antiosmanischen Widerstands, die Albaner aber waren in ihrer großen Mehrheit islamisiert und kollaborierten geschickt mit der Hohen Pforte. Ihnen standen damals de facto vier osmanische Verwaltungsbezirke zur Verfügung, die territorial das heutige Albanien, das Kosovo, das westliche Mazedonien und Teile des nördlichen Griechenlands umfassten. Es war historisch die bedeutendste albanische Verwaltungsstruktur, bis heute halten großalbanische Nationalisten diese Territorialvorstellung wach.
Mit der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo hat man einen ersten Schritt zur Widerherstellung dieser historischen Ausgangslage gemacht. Warum sollten nicht weitere Schritte folgen? Beispielsweise eine als Plan längst bestehende ethnische Administrationssaufteilung Mazedoniens?
Der Bruch des Völkerrechts in der Anerkennungsfrage kann tatsächlich zum Präzedenzfall für die gesamte Balkanregion werden. Bei allen bisherigen Staatenanerkennungen verfolgte man die Politik des Beibehaltens der ehemaligen Republikgrenzen der jugoslawischen Föderation. Das Kosovo hatte aufgrund der Titoverfassung von 1974 zwar einen Autonomiestatus, aber innerhalb der Republik Serbien.
Diese politische Linie verfügte beispielsweise den Verbleib der bosnischen Serben bei Sarajewo. Was aber jetzt? Woher wissen wir, dass diese bei ihrem Status bleiben werden? Nur, weil wir, die EU, die Gehälter ihrer politischen Führung zahlen?
Dass der Vorgang durchaus ein Präzedenzfall auch über Jugoslawien hinaus sein kann, beweist die prompte Begrüßung der Unabhängigkeitserklärung des Kosovo durch den sonst eher gemäßigten Sprecher des Ungarnverbands in Rumänien, Marko Bela. Er verspricht sich von der europäischen Anerkennungspolitik eine größere Aufmerksamkeit für die Minderheitenrechte. Die Ungarn in Rumänien fordern eine territoriale Autonomie im siebenbürgischen Szeklergebiet, die sie de facto längst haben. Markos Partei ist im übrigen Partner in einer Koalitionsregierung in Bukarest. Aber wer möchte nicht seine eigene Flagge, wenn’s geht?
Bleibt noch eine Kleinigkeit, die wirtschaftliche Situation im Lager der Unabhängigen. Selbst unter Berücksichtigung der Schattenwirtschaft liegt die Arbeitslosigkeit im Kosovo bei 50%. Es gibt faktisch keine funktionierende Ökonomie, die Energieversorgung und die Infrastruktur sind miserabel. Das Kosovo war immer schon das ärmste Gebiet Jugoslawiens. Eine Perspektive sieht die Weltbank bei Rohstoffen, Bergbau und Energie. Damit ist wohl eine längerfristige Perspektive gemeint.
Bis dahin bleibt dem Kosovo das amerikanische Camp Bondsteel bei Ferizaj/Krusevac, einer der größten amerikanischen Militärstützpunkte, benannt nach einem Vietnam-Veteranen. Es ist eine Stadt für sich, mit Burger Kind und Taco Bell und einem Laura Bush Education Center. Wahrscheinlich ist das Camp, neben den NGOs und EU-Vertretern, der größte Arbeitgeber im Land. Inflation gibt es übrigens im Kosovo nicht, es hat keine eigene Währung, es hat den Euro. Das ergibt immerhin den Vorteil, dass es der Wert der Hilfsgelder stabil bleibt.
Dafür hat das Land, dessen politische Führung in bewährter Kleinstaatentradition die Symbolik liebt, eine schicke neue Flagge, europablau und mit sechs Sternen, die angeblich für die sechs Ethnien stehen. Im heutigen Kosovo sind 90% der Bevölkerung Albaner, 5% Serben und die vier anderen ebenfalls 5%. Wir wissen es: Die Realität ist der Symbolik noch nie abträglich gewesen.