Das Berliner Wahlergebnis hinterlässt zwei kleine Sensationen: Die FDP als Splitterpartei und die Piraten als Hoffnungsträger der Facebook-Jugend. Die FDP hat zwar eine große Vergangenheit, aber war sie in ihrer Struktur jemals mehr als nur eine Splitterpartei?
In Deutschland hat der Liberalismus angelsächsischer Prägung niemals richtig Fuß fassen können. Unsere Tradition ist unverkennbar eine nationalliberale. Und das ist etwas anderes. Wenn es in dem einen Fall um die individuelle Freiheit und ihre Geltung geht, geht es im anderen um die freiheitliche Verfasstheit der Gesellschaft und ihres Ordnungsrahmens. So hatten ein Walther Rathenau und ein Ralf Dahrendorf recht wenig gemeinsam.
Die Bedeutung der FDP in der Geschichte der Bundesrepublik bestand auch nie in ihrer liberalen Ideologie, sondern in ihrer Rolle als Instrument der Politik im Drei-Parteien-System, als sie das Zünglein an der Waage war. Wer die FDP auf seiner Seite hatte, konnte die Regierung bilden. Von diesem Leitsatz der deutschen Nachkriegspolitik profitierten abwechselnd die beiden großen Volksparteien: CDU-CSU und SPD.
Beide waren am Bestand der FDP interessiert, und so kam es, dass existenzerhaltende Maßnahmen als selbstverständlich angesehen wurden. Es war der stillschweigende Zweitstimmenbonus, den man der FDP gewährte. Ohne diese Zweitstimmenregelung im Wahlgesetz Deutschlands gebe es die FDP schon lange nicht mehr.
Sie lebte von dieser Regelung und die anderen profitierten davon. Die freien Demokraten waren zunächst Mehrheitsbeschaffer der Konservativen, dann der Sozialdemokraten und schließlich wieder der Konservativen. Die FDP stellte kompetente Minister, vor allem aber den Supermann der deutschen Außenpolitik der Nachkriegszeit, Genscher. Ohne sie hätte es keine sozial liberale Koalition gegeben, und damit keinen Kanzler Willy Brandt. Ein Jahrzehnt später aber auch keinen Kanzler Kohl.
Schein und Sein waren selbst in der Politik selten so nahe bei einander wie im Fall FDP. Die Erweiterung des Parteienspektrums brachte die große Krise. Sie hatte plötzlich nicht mehr die Lizenz zur Mehrheitsbeschaffung. Und die urbane, die Großstadt-Partei, die sie gern gewesen wäre, wurde sie auch nicht. Ihr Image war das einer Lobby, und das konnte in Deutschland nicht gut gehen. Die Deutschen benötigen die moralische Ausrede um den Kapitalismus zu akzeptieren. Man verschweigt seine Einkünfte verschämt.
Zur urbanen Partei wurden stattdessen die Grünen, die Erben von Herbert Gruhl, Baldur Springmann und Petra Kelly wurden zu Rotweinkennern. Sie, die FDP, hingegen stand bald unter Generalverdacht, und wenn noch ein Beweis dafür nötig gewesen wäre, dass dieser Partei ihr Sinn abhanden gekommen ist, dann ist dieser Beweis durch die jetzige Regierungskoalition endgültig zur Vorlage gebracht.
Die Freiheit ist bekanntlich keine Angelegenheit des Augenmaßes, sie ist, vor allem in ihren Anfängen, anarchistisch. Seit der Etablierung der Grünen hat sich eine Lücke für dieses Potenzial ergeben. In diese Lücke sind nun die Piraten getreten. Sie haben ein bedeutendes Thema politisiert, die Freiheit in den Zeiten des Internets. Ob sie daraus eine Plattform für sich als Partei schaffen können, lässt sich noch nicht einschätzen. Das Thema jedenfalls ist eines, an dem in Zukunft die Politik nicht vorbeikommen wird.