Die Energiewende, man kann es gar nicht oft genug schreiben, ist eine Frage des Bewusstseins und der so genannten großen Erzählung. Eigentlich sind es mehrere große Erzählungen: Diejenige vom billigen erneuerbaren Strom und der Sonne, die freundlicherweise keine Rechnung schickt, stand ganz am Anfang, sie leistete gute Dienste, als es darum ging, die nötigen politischen Mehrheiten für eine milliardenschwere Umverteilungsmaschinerie zusammenzubekommen. Gewiefte Dialektiker würden sagen: es handelte sich um eine historisch notwendige Zwischenstufe.
Mittlerweile weiß allerdings auch der letzte Bürger, dass die Ökoenergieumlage ab Januar 2013 von 3,59 auf rund 5,3 Cent pro Kilowattstunde steigen wird, und in den nächsten Jahren auf gute 10 Cent klettern dürfte. Schon der Kostensprung des nächsten Jahres befördert den deutschen Stromtarif höchstwahrscheinlich vom zweitteuersten zum teuersten in Europa. Es wird also Zeit, eine ganz neue Argumentationskette aufzulegen, oder, wie es in einschlägigen Berliner Thinktanks heißt, die große Erzählung ganz neu zu denken. Nämlich so, wie es die taz, in dieser Hinsicht immer Avantgarde, schon einmal vormacht:
„Nun bibbert die gesamte Ökogemeinde vor der Kostenkeule und sucht nach halbgaren Auswegen. Sozialtarife, Steuererleichterungen, weniger Privilegien für die Industrie…Anstatt laut zu sagen: ‚Ja, wir wollen, das der verdammte Strompreis steigt! Damit ihr endlich aufhört, mit dem alten Elektroherd eure Dreizimmerwohnung zu heizen!’...Also: ja zu eng begrenzten Sozialtarifen mit Energieberatung, ja zur Abwrackprämie für alte Kühlschränke. Dann aber deutlich und langfristig an der Preisschraube drehen, bis es quietscht – und bis die Kunden endlich wissen, wie hoch ihre Stromrechnung ist…Das brauchen wir auch beim Strom – ein Schild über jeder Steckdose: ‚Strom ist teuer und wertvoll – solange nicht die ganze Welt 100 Prozent Ökostrom hat, müssen wir sparen.’“ (taz vom 16. 10. 2012)
In der Tat, unvernünftige Kleinrentnerinnen, die auf die bevorstehende hundertprozentige Ökostromversorgung Chinas pfeifen, ihre Wohnung mit einem AEG-Elektroherd wärmen und dazu alle Fenster aufreißen, damit auch der taz-Redakteur etwas davon hat, sehen wir in Berlin und anderswo praktisch jeden Tag.
Je teurer der Strom wird, desto mehr beruhigt der Bundesumweltminister die Bürger mit dem Hinweis, sie könnten doch im gleichen Maß Strom sparen, wie die Kosten steigen. Private Haushalte in Deutschland verbrauchen ungefähr 12 Prozent des Stroms. Würden sie schlagartig alle ihre Elektrogeräte abwracken und durch die energieeffizientesten Modelle der Kategorie A +++ ersetzen, dann könnte das den deutschen Stromverbrauch nach einer Untersuchung von Bosch Siemens Hausgeräte um rund drei Prozent drücken. Da die Zahl der Singlehaushalte demographiebedingt weiter wächst, und damit auch der private Stromverbrauch, wäre selbst dieser theoretische Spareffekt in wenigen Jahren wieder verschwunden. Jenseits von A+++ erwarten die Experten übrigens keine nennenswerte Ersparnis mehr. Wer also schon die höchste Effizienzklasse zu Hause stehen hat, kann unmöglich Preise ausgleichen, die bis 2020, alles in allem, mit höherer Netzgebühr und Extrakosten für den Speicherbau und nötigen Kraftwerkssubventionen, um gute 50 Prozent steigen werden.
Das eigentliche Problem allerdings spielt sich im Souterrain der Gesellschaft ab, bei denjenigen, die in der Typologie von Marketingexperten als „die Bescheidenen“ gelten: Geringverdiener, meist aber alleinstehende Rentner mit einem schmalen Budget, das knapp über Hartz-IV-Niveau liegt. Sie leisten sich ohnehin wenig, ihre Wohnungen sind klein wie ihr CO2-Fußabdruck, die Zahl ihrer Elektrogeräte auf das Nötigste beschränkt. Selbst mit einer staatlichen Verschrottungsprämie besäßen sie nicht das Geld, um Kühlschrank, Waschmaschine und Fernseher neu anzuschaffen. Und nebenbei würden die meisten Angehörigen der Nachkriegsgeneration von sich aus auch kaum einsehen, warum sie noch tadellos funktionierende Geräte auf den Müll werfen sollten.
Da der teure und vor allem volkspädagogisch wertvolle Strompreis ihnen jetzt aber endlich das Sparen einbläuen soll, bleibt ihnen nur ein Weg: Verzichten. Entweder auf den Kuchen im Café, oder beim Verbrauch von Strom. Kerzen spenden ein entschieden romantischeres Licht als Energiesparleuchten, Wäsche wurde früher auch ohne Waschmaschine sauber, und für nächtliche Toilettengänge reicht genaugenommen auch eine Stirnlampe. Und falls die Seniorin sich irgendwann doch die Mittel für einen effizienteren und mit Steuergeld abwrackprämierten Kühlschrank abgezwackt haben sollte, wacht der staatliche Energiebewährungshelfer darüber, dass sie den gesparten Strom nicht gleich wieder mit einer neuen Heizdecke verdaddelt. Denn die nächste Erhöhung der EEG-Umlage lässt ja nicht lange auf sich warten.
Mit dem Loblied auf die quietschende Preisschraube erledigt sich gleichsam zwingend eine andere Frage: Könnte man angesichts der Tatsache, dass die Pachtkosten pro Windradstandort und Jahr mittlerweile bei 15 000 Euro liegen und Windkraftbetreiber trotz dieser Flächenpreise noch prächtige Renditen kassieren, Solarkraftwerksbesitzer erst recht, könnte man also dem ökologisch-industriellen Komplex also eventuell zumuten, etwas weniger Gewinn mit staatlich garantierten Höchstpreisen einzufahren?
Könnte man nicht, da eben diese Höchstpreise eigentlich nur dazu dienen, das Volk zum Energiesparen erziehen und nebenbei die Welt von Alaska bis Tasmanien zu retten. Bei dem Zweitporsche, der in der Scheune manches Windbauern und Solarparkbesitzens steht, handelt es sich folglich um einen Kollateralnutzen, der für das gute Werk blutenden Herzens in Kauf genommen wird. Allen Agenten des Guten, von taz bis ARD, denen sonst schon die Erhöhung der Schwimmbadpreise um fünfzig Cent als Menetekel für die auseinanderbrechende Gesellschaft gelten, umgehen in der Energiepolitik das Thema der sozialen Ungleichheit auffallend großzügig. Bestenfalls trösten sie sich und andere mit kommenden Sozialtarifen, die aus Leuten, die bis eben noch ohne Hilfe ausgekommen waren, Stützeempfänger machen würden.
Nach Warnungen der Sozialverbände dürfte demnächst die Zahl der Haushalte drastisch steigen, denen der Saft abgedreht wird, weil sie die Stromrechnung nicht mehr zahlen können. Das wäre unangenehm für die Betroffenen. Aber es senkt endlich mal den Energieverbrauch.