Gunnar Heinsohn / 20.12.2016 / 06:15 / 0 / Seite ausdrucken

Krieg gegen den “Islamischen Staat”: Die Schlacht um Mossul

Seit März 2016 bewegten sich irakische Regierungsverbände von knapp 40.000 Mann Richtung Mossul. Dort hatte seit Juni 2014 das Kalifat der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) sein irakisches Hauptquartier. Bis Juni wurden 1.300 IS-Leute bei ihrer Vertreibung aus kleineren Städten getötet. Doch erst am 16. Oktober erreichte man die Grenzen der Millionenstadt, die von rund 12.000 Jihadisten gehalten wird. Umgehend gab es Siegesmeldungen mit den Namen befreiter Ortschaften.

Neun Wochen später hört man sie fast gar nicht mehr. Die Welt weiß inzwischen, dass die Dörfer im Umfeld der nördlichen Metropole zwar oftmals vermint sind, aber nicht verteidigt werden. Entsprechend meldet UNAMI (United Nations Assistance Mission for Iraq) für die regulären und irregulären irakischen Streitkräfte für den Monat Oktober 2016 lediglich 670 Gefallene für das gesamte Land. Gleichzeitig kommen 600 Zivilisten ums Leben (alle Zahlen sind gerundet und nicht endgültig).

Zivilisten in der Falle

Im November wendete sich das Blatt. Blutige Kämpfe begannen in den Vierteln am Ostufer das Tigris, das erobert werden muss, bevor man das IS-Hauptquartier auf dem Westufer angreifen kann. Amerikanische Bomber zerstörten vier der fünf Brücken, um Gegenangriffe zu unterbinden. Dadurch steckten auch Zivilisten in der Falle. Mit 1.100 Toten im November gab es unter ihnen fast eine Verdopplung gegenüber dem Vormonat. Noch allerdings sterben in Mossul weniger Unbeteiligte als in Bagdad, weil der Kalif seine Selbstmordattentäter vor allem dort zum Einsatz bringt. Die Truppen und staatlich anerkannten Milizen des Irak allerdings haben allein im November fast 2.000 Mann verloren. Das sind fünfmal so viele wie im September vor der Offensive. Für den Löwenanteil unter den militärischen Ausfällen sorgen gut vorbereitete IS-Verbände, die Bagdads Leute im östlichen Mossul festhalten.

Zum 1. Januar 2017 werden die Opferzahlen für den Dezember erwartet. UNAMI will dann aber nur noch über Opfer aus der Zivilbevölkerung berichten. Am 2. November hatte sich nämlich das Iraqi Joint Operations Command bei der UNO-Behörde über die Meldung mit den 2.000 Gefallenen aus dem November heftig beschwert. UNAMI versprach daraufhin Schweigen und räumte zugleich ein, dass man in der Tat nur sehr schwer an genaue Zahlen über gefallene Soldaten herankomme. Offensichtlich ist das Militär mit der Veröffentlichung seiner Einbußen äußerst zurückhaltend, um Truppen und Einwohner nicht weiter zu demoralisieren.

Genügend junge Männer für jeden Kampf

Dabei dürfte die Entmutigung eher den Siegesprahlereien vom Oktober als den Verlusten geschuldet sein; denn die Rekrutierung neuer Verbände bereitet keine besonderen Schwierigkeiten. Irak imponiert immer noch mit einem Kriegsindex von 5,5, kann also hohe Verluste absorbieren. Auf 1.000 rentennahe Männer im Alter von 55 bis 59 Jahren folgen 5.500 – zumeist zornige – Jünglinge im Alter von 15 bis 19 Jahren. In der Schweiz oder Österreich sind es 800, in Deutschland sogar nur 660. Zwar hat die ölreiche Nation seit 1960 in Kriegen, Bürgerkriegen und Völkermorden rund 800.000 Menschen verloren, aber gleichzeitig konnte Irak seine Bevölkerung von 7 auf 35 Millionen Einwohner steigern. Auch 2015 gebären Iraks Frauen dreimal so viele Kinder wie ihre helvetischen, österreichischen oder deutschen Altersgenossinnen (4,2:1,4).

Bagdad kann aktuell auf knapp 3,3 Millionen Mann (nach 1,1 Millionen 1980) im besten Kampfalter von 20-29 Jahren zurückgreifen. Bis 2020 kommen noch einmal 500.000 potentielle Krieger hinzu. Auch wenn aus religiösen Rücksichten nur ein Teil davon gegen Mossuls Sunniten eingesetzt werden kann, werden die Chancen der Jihadisten keineswegs besser. Das dürfte ihre Niederlage oder gar Kapitulation allerdings nur dann beschleunigen, wenn sich Übergriffe gegen die Befreiten in Grenzen halten. Doch hat der Irak auch danach mindestens bis zum Jahr 2035, wenn die 2015 Geborenen 20 Jahre alt sind, fast beliebig viele Streiter für jedweden rebellischen Vorwand.

Gunnar Heinsohn (*1943) lehrt Militär-Demografie am NATO Defense College in Rom.

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