Thomas Rietzschel / 04.11.2014 / 10:44 / 13 / Seite ausdrucken

Die letzte Instanz

Was hat er sich da nur wieder geleistet, unser Bundespräsident. Wie konnte er sich nur erlauben, an die blutbesudelte Vergangenheit einer Partei zu erinnern, mit der die kampferprobten Sozialdemokraten der Bundesrepublik Deutschland gerade anbandeln wollen, nicht irgendwo weit hinten in Vorpommern, sondern an der Spitze der thüringischen Landesregierung.

Weil ihn das zu der Frage veranlasste, ob man den Nachkommen von Ulbricht, Honecker und Mielke schon wieder über den Weg trauen kann, muss er sich nun nicht nur von politischen Knallköppen wie dem Linken-Chef Bernd Riexinger anpöbeln lassen. Allenthalben fühlt sich das politische Establishment berufen, den ersten Mann im Staate an seine „Neutralitätspflicht“ zu erinnern. Mit seinem Zweifel an der Demokratiefähigkeiten der Linken, heißt es, habe Joachim Gauck alle jene beleidigt, die dieser Partei als Wähler vertrauten. Von Millionen ist die Rede.

Nun bedarf es keiner ausgeprägten Phantasie oder vertiefter historischer Kenntnisse, um sich vorzustellen, dass es auch der NSDAP, hätte man sie nach 1945 unter verändertem Namen wieder antreten lassen, gelungen wäre, einen Teil der Wählerstimmen zu gewinnen. Die Achtsechziger halten sich bis heute zugute, noch 25 Jahre später gegen das unterschwellige Fortleben der braunen Gesinnung aufgestanden zu sein.

Außerdem, welche Mistkübel, welchen rhetorischen Unflat haben Linke, Grüne, Sozial- und Christdemokraten über die AfD ausgekippt? Wie haben sich der CDU-Rüpel Schäuble die SPD-Circe Fahimi im Duett über die neue Partei als „eine Schande für Deutschland“ ereifert, wie haben sie vom Leder gezogen, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, dass sie damit auch die Wähler einer verunglimpften Partei beleidigen könnten.

Wie kommt dieser Klüngel dazu, den Bundespräsidenten demokratisch belehren zu wollen, nur weil er sich die Freiheit nimmt, den SED-Erben zu misstrauen, da er fürchtet, der Wolf könne Kreide gefressen haben. Und weshalb, bitte schön, wollen das die anderen nicht wahrhaben, weshalb übt sich die Kanzlerin in beredtem Schweigen, weshalb ducken sich die CDU-Granden weg? Wollen sie die Linke nicht vor den Kopf stoßen, um sich die Option offen zu halten, irgendwann zum Erhalt der eigenen Macht auch mit den Schmuddelkindern der Demokratie zu koalieren?

Wo die politische Kultur derart zum Machtschacher verkommen ist, wird der Bundespräsident zur letzten Instanz der Demokratie. Er hat alles Recht, und es ist seine Pflicht, sich zu dem Parteiengeschacher zu äußern. Und im Fall von Joachim Gauch tut er zudem das aus einer historischen Erfahrung heraus, die er persönlich erleiden musste. Sein Vater wurde von dem kommunistischen Lumpenpack der SED, als deren geistiger Nachfolger sich die Linke weiterhin versteht, nach Sibirien verschleppt: laut internationalem Recht „ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit“. 

Solche Erlebnisse hinterlassen andere Spuren als die Erziehung in einem sozialistischen Pfarrhaus, wie sie Angela Merkel erlebte. Ihr Vater Horst Kasner war 1954, ein Jahr nach der blutigen Niederschlagung des Arbeiteraufstandes von 17. Juni, mit der Familie von Hamburg in die DDR übersiedelt, wo er dann als Verfechter der „Kirche im Sozialismus“ auffiel. Dem „roten Kasner“, wie man ihn scherzhaft nannte, lag die DDR durchaus am Herzen. Mit der SED kam er aus. Seine Tochter konnte -  anders als die meisten Pfarrerskinder - das Abitur ablegen, studieren und in der Akademie der Wissenschaften der DDR unterkommen. Auch ein solcher Weg hinterlässt Spuren. Vielleicht befähigt er sogar zu einem pragmatischeren Umgang mit der Erben der SED.

Umso mehr aber brauchen wir einen Präsidenten, der sich den Mund nicht mit dem Verweis auf das machtpolitische Gebotene verbieten lässt. Dass so etwas der Linken stinkt, liegt in der Natur der Sache. Niemand muss sich freuen, wenn man ihm vorhält, was er auf dem Kerbholz hat. Dass aber auch andere Parteiführer noch meinen, der Bundespräsident habe sich im Ton vergriffen, ihn zur Mäßigung auffordern, ist ein schlimmes Zeichen - ein Symptom der parteipolitisch ausgeplünderten Demokratie.

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Leserpost

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Regina Horn / 06.11.2014

Ach, Herr Rietzschel, “nicht irgendwo weit hinten in Vorpommern,” es ist nicht nett, dass Sie uns paar wenigen Vorpommern, so nolens volens einen LINKEN Ministerpräsidenten an die Backe tolerieren täten. Wenn schon ganz viele olle Pommern eigentlich noch immer wünschen, es wäre alles so “bien Ollen” geblieben wie vor 25 Jahren, so sind wir anderen mit unserem ebenfalls West-Import-Ministerpräsidenten Erwin “es-war-nicht-alles-schlecht” Sellering ja wohl gestraft genug. Zur Strafe habt ihr aber jetzt alle Frau Schwesig abgekriegt, damit ihr mal seht wie sowas ist.

Wolfgang Behr / 05.11.2014

Herr Schneider, der Wähler bildet aber keine Koalition.

Matthias Lausch / 05.11.2014

Bei den Wellen, die der Kommentar des Bundespräsidenten schlägt, könnte man meinen, man hätte ihn in seiner Stammkneipe gefilmt, wie er nach dem achten Weizen, mit der Faust auf den Tisch eindreschend, über linke Zecken herzog. Tatsächlich waren es doch m.E. nach vorsichtig formulierte Worte und seine persönliche Meinung, dass er bestimmten Teilen in der Linken nicht vertraue. Und das kann man auch nicht erwarten, wenn sich dort bekennende Stalinisten, Hardcore-Kommunisten und linksextreme Antifa-Straftäter tummeln. Der krampfhafte Versuch des Herrn Ramelow, seine Karte des beleidigten “Mit-Christen” auszuspielen, wirkt da einfach nur total lächerlich. Welche Rolle spielt es, ob im Hintergrund ein Altar oder eine Currywurstbude zu sehen ist?

Thomas Schlosser / 04.11.2014

Die etablierten Parteien haben sich diesen Staat bekanntlich längst zur Beute gemacht, zum Erhalt ihrer (wie sie wahrscheinlich glauben) gottgegebenen Macht sind sie bereit, auch mit der Ex-SED in Thüringen ins Bett zu gehen. Und in einem Punkt sind sich diese sauberen ‘Demokraten’ sowieso einig: Mit der AfD koalieren sie auf gar keinen Fall….! Dann lieber mit den ehemaligen Stasi-Mitarbeitern in Erfurt. Da soll einem nicht speiübel werden…..

Reiner Schöne / 04.11.2014

Herr Gauck hat vollkommen recht mit seiner Aussage. Auch er hat das Recht und auch die Pflicht seine Meinung zu äußern und wenn sie noch so weh tut. Wer kann schon den Linken trauen, es sind die Ewiggestrigen wie man so schon sagt, deren Überzeugung sich nicht unterscheidet von denen der ehemaligen SED genauso wie ihre Partei"Die Linke” sich nicht unterscheidet. Allein die Tatsache, dass eine Altpartei liebäugelt mit so Etwas, ist eine Missachtung der Mauertoten und den Menschen die aus Überzeugung ins Gefängsnis und/oder viele Nachteile hatten. Die"künstlerisch” abgebauten Gedenkkreuze, Ich nenne es Diebstahl und Missachtung der Personen, wovon nur eine Randnotiz in den Zeitungen steht, weist den Weg, den wir gehen werden.

Matthias Strickling / 04.11.2014

Der Mangel an Respekt vor dem Amt des Bundespräsidenten ist schon bemerkenswert. Erst Herr Köhler, welcher meines Erachtens zu Recht, gesagt hat , daß Deutsche Interessen auch Wirtschaftsinteressen im Ausland sein können. Dafür musste er sich in übelster Weise, insbesondere von den Gutmenschen, welche zum Teil eine kommunistische Vergangenheit haben, keulen lassen. Jetzt Herr Gauck, welcher den Mundstuhl, derjenigen über sich ergehen lassen muss, welche offensichtlich mit einem cerebroanalen shunt ausgestattet sind.

Aaron Gal / 04.11.2014

Guter Artikel, Herr Rietzschel! Der Bundespräsident ist zwar zu politischer Neutralität verpflichtet, trotzdem hat er nach außen eine repräsentative und nach innen eine integrative Funktion inne. Letztgenannte betrifft die historische Verantwortung der Bundesrepublik und das Lenken der öffentlichen Aufmerksamkeit auf eine krisenhafte Entwicklung. Gauck hat in einem Fernsehinterview sinngemäß Bedenken geäußert, ob sich tatsächlich alle PDS Akteure vom alten SED- Weltbild gelöst haben. Es könne nämlich sonst zur unschönen Situation kommen, dass SED Regimeopfer in Thüringen wieder von alten Peinigern regiert werden. In Christian Wulff hatte man vielleicht den machtlosesten Bundespräsidenten aller Zeiten, aber bei Gauck verhält es sich anders. Er weiß sehr wohl um den Oppportunismus in der Parteienlandschaft und sagt das Richtige an geeigneter Stelle. Dadurch vergrößert sich seine Autorität enorm. Er ist aufmerksam und streitlustig genug, um eher seinen Kompetenzrahmen zu überschreiten, als selbstgefällig Standardphrasen zu dreschen. Wenn Demokratie dazu führt, dass ein problematischer Personenkreis wichtige politische Ämter bekleiden kann, dann muss der Bundespräsident die Problematik dieser Umstände offen ansprechen dürfen. Die Linkspartei kann ja eine Verfassungsklage dagegen anstreben, wenn sie sich traut. Dann hätten Gaucks Worte anschließend noch mehr Gewicht, denn eine solche Klage würde sicher zu seinen Gunsten entschieden.

Wolfgang Behr / 04.11.2014

Wenn ich mir erlauben darf,ein äußerst zutreffender Kommentar,Herr Rietzschel. Was ist nur aus der SPD geworden.Keine großen Persönlichkeiten sind mehr zu erkennen. Nun, sie können später zumindest einmal stolz erzählen,daß sie die erste Partei war, die unter einem linken Ministerpräsidenten und z.T. ehemaligen Informellen Mitarbeitern der STASI der DDR ,mitregieren durften. Es ist einfach nur beschämend.

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