Vince Ebert / 13.08.2014 / 20:17 / 6 / Seite ausdrucken

Die Kunst des unsachlichen Argumentierens

Ob Nahostkonflikt, Homöopathie-Debatte oder Energiewende – zahllose Blogs, Polit-Talkshows und Zeitungsartikel stellen Tag für Tag die verschiedensten Themen zur Diskussion. Soll die LKW-Maut auch für Bierbikes gelten? Ist „Gaucho“ ein Schimpfwort? Wie wäre es mit einer Frauenquote für Päpste?

In den meisten Fällen haben wir zwar eine klare Meinung, aber blöderweise kein gutes Argument zur Hand. Kein Problem. Mit den folgenden zwölf Tipps behalten Sie in sämtlichen Diskussionen die Oberhand und bringen darüber hinaus Ihre Diskutanten zur Weißglut:

1. Vermeiden Sie es, allzu viel über wirtschaftliche und wissenschaftliche Zusammenhänge zu wissen
Fakten verwirren nur. Unser Gehirn ist nicht primär an der Wahrheit interessiert, es will sich in erster Linie wohlfühlen. Außerdem zeigen Statistiken: Je weniger man von einer Sache wirklich versteht, desto klarer und eindeutiger ist die jeweilige Meinung dazu. Andererseits: Als erfahrener Diskutant haben Sie von Statistik wahrscheinlich eh‘ keine Ahnung. 

2. Zweifeln Sie die wissenschaftliche Methodik generell an
Zitieren Sie an dieser Stelle unbedingt Shakespeare: „Es gibt mehr Ding‘ zwischen Himmel und auf Erden, als Eure Schulweisheit sich träumt.“ Und hat sich nicht die Wissenschaft im Laufe der Geschichte sowieso oft genug geirrt ..? Genau!

3. Bezeichnen Sie unliebsame Fakten als „zynisch“
Wenn kleinkarierte Migrationsforscher mit diesen verwirrenden Balken- und Torten-Diagrammen ankommen, empfiehlt sich der Satz: „Aber es geht doch hier um Menschen und nicht um Zahlen!!! Das ist so unglaublich zynisch! Die Integration soll gescheitert sein??? Dass ich nicht lache! Und was ist dann mit Mesut Özil?“

4. Erzählen Sie Anekdoten
Persönliche Erfahrungen schlagen die robustesten Doppelblindstudien. Da kann Ihr Diskussionspartner noch so sehr randomisierte, doppeltverblindete, placebokontrollierte Metastudien anführen, sobald Sie sagen: „Isch hab‘ meim Hund letzte Woch‘ Annika D30 gegebbe und seitdem is sein Durchfall wie weggeblase …“ ernten Sie anerkennendes Kopfnicken.

5. Klappt allerdings nur, wenn Sie sympathisch und vertrauenserweckend sind
Als E.ON-Chef sollten Sie es auf jeden Fall vermeiden, bei Anne Will in die Runde zu rufen: „Also die Neurodermitis von unserem Jan-Niklas ist viel besser geworden, seit ich ihn einmal pro Woche ins Abklingbecken von Biblis tauche …“

6. Unterstellen Sie dem Diskussionsgegner unlautere Absichten
„Wie viel Geld bekommen Sie eigentlich für Ihre kruden Thesen von der Großindustrie / der Springer-Presse / der FDP / dem Mossad.

7. Googlen Sie Studien, deren Ergebnisse Ihrer persönlichen Meinung entsprechen
Sie werden sich wundern. Im Internet finden Sie zu jedem noch so durchgeknallten Statement top-recherchierte Untersuchungen von serbokroatischen Wissenschaftlern, die bewiesen haben, dass in Wahrheit George W. Bush und sein Vater die zwei Flugzeuge in die Twin Towers gesteuert haben.

8. Werden Sie ein moralisches Gewissen
Dauert, aber es lohnt sich. Als Peter Scholl-Latour, Helmut Schmidt oder Dalai Lama können Sie der staunenden Welt erklären, dass die Erde in Wirklichkeit ein Würfel ist. Nur wenige werden es daraufhin öffentlich wagen, Sie als senil, verrückt oder inkompetent zu bezeichnen.

9. Bügeln Sie Vergleiche mit dem Satz nieder: Das kann man doch nicht vergleichen!
„Der Kommunismus hat mehr Todesopfer gefordert als der Nationalsozialismus? – Aber das kann man doch nicht vergleichen!!!“

10. Ignorieren Sie Verhältnismäßigkeiten
Eine Impfung, die Zehntausenden das Leben rettet? Drauf geschissen, solange es bei einer Handvoll Kindern eine Gluten-Intoleranz auslöst.

11. Spielen Sie die „David gegen Goliath“-Karte
Grundregel: Wer mächtiger, reicher oder stärker ist, hat immer Unrecht. Ohne Ausnahme. Ölindustrie gegen Greenpeace, Israel gegen Palästina, Monsanto gegen Biobauern. Zeigen Sie dabei sichtbar Entrüstung und bauen Sie in Ihre Argumentation möglichst viele Kampfbegriffe ein, wie z.B.: neoliberaler Turbokapitalismus, rücksichtslose Pharmalobby,  amerikanische Kriegstreiber, etc…
 
12. Verlassen Sie nie die Gefühlsebene
Orientieren Sie sich in Ihrer Wortwahl an Margot Käßmann und werfen Sie ab und an folgende Sätze in den Raum: „Geld kann man nicht essen“, „Krieg ist nie eine Lösung“, „Wir haben die Erde nur von unseren Enkeln geborgt“.
Wenn das nicht hilft, werden Sie notfalls persönlich: „Wie können Sie es wagen zu lächeln, während der Panda-Bär ausstirbt?“
Auch Foren-Einträge und Facebook-Posts wie „Dümmlicher Artikel“ oder auch „So einen Quatsch habe ich selten gelesen …“ fallen angenehm ins Auge und sind universell einsetzbar. In Einzelfällen kann auch ein simples „ARSCHLOCH!!!!“ Wunder wirken.

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Leserpost

netiquette:

Vladimira Martin / 16.08.2014

Punkt 7: Serbokroatische Wissenschaftler! Dann doch lieber mit Zarathustra argumentieren.

Hans Strasburger / 15.08.2014

@Peter Merbt: “linksgrünes Gerede” = “rechtsschwarzes Gerede” = Diffamierung des Gegners. Passt zu Punkt 6.

Bernd Hafer / 14.08.2014

Punkt 13: Wenn wasserdichtes Zahlenmaterial inklusive geschlossenen Korrelation und Kausalitätsketten aufgefahren werden hilft der pauschale Vorwurf “Lügen mit Zahlen” garniert mit “das zeigt den wahren Rassisten”. Das jedenfalls bekam ich letztens als finalen Schlag entgegengeworfen. Weiterdiskutieren will nach sowas glaub ich niemand.

George Urbanski / 14.08.2014

Glückwunsch, Herr Ebert, Sie haben nahezu perfekt die Masche der meisten Achse-Autoren und -Kommentatoren analysiert. Solch eine Selbstkritik hätte ich hier nicht für möglich gehalten. Beste Grüße George Urbanski

Peter Merbt / 14.08.2014

Schöne Satire, Herr Ebert, und nun bitte: Lassen Sie die Satire sein und lehren Sie uns die Kunst des rechten Argumentierens. Daran fehlt es uns nämlich. Nicht am Spott über das linksgrüne Gerede. Zurücklehnen, die Reden des Plebs mit vollem Bewusstsein unserer intellektuellen Überlegenheit und ironisch hochgezogener Augenbraue goutieren - das können wir. Actio, Herr Ebert, daran fehlt es uns. Wir sind hilflos. Wir brauchen Waffen, denn der Feind steht schon vor der Tür oder sitzt bereits in unserem Wohnzimmer. Mit freundlichem Gruß

Dieter Schilling / 13.08.2014

Bei Punkt 12 :  Verlassen sie nie die Gefühlsebene !  habe ich für den Topf : Wir haben die Welt nur von unsern Enkeln geborgt !  den Deckel : Dann sollen die sie auch bezahlen! Oder, um mit Groucho Marx zu sprechen:“Was kümmert mich die Nachwelt?Kümmert sich die Nachwelt etwa um mich?”

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