Gastautor / 14.02.2016 / 16:00 / 0 / Seite ausdrucken

Die Königin und die Hexe - ein modernes Märchen

Von Oliver Zimski

Es war einmal eine herzensgute Königin, die regierte viele Jahre lang mit Weisheit und Geschick ein prächtiges und wohlhabendes Reich, so dass ihre Untertanen es hochzufrieden waren. Doch dieses Übermaß an Glück und Wohlstand erregte den Neid einer weit entfernt lebenden bösen Hexe, welche nur auf den eigenen Vorteil bedacht war, weshalb in ihrem Land stets Krieg, Hunger und Not herrschten. Da sie das weiche Herz der Königin kannte, lud sie sich unter dem Vorwand bei ihr ein, sie wolle sich über die Grundsätze guter Regierungsführung informieren, und als sie abends bei einem Umtrunk zusammen saßen, streute sie der Königin ein Gift in den Wein, das diese in eine todesähnliche Ohnmacht fallen ließ. Darauf schloss die Hexe sie in einer Abstellkammer ein und nahm ihre Gestalt an.

Anderntags wollten die Bewohner des Reiches ihren Augen nicht trauen. Obwohl der Krieg Tausende Kilometer entfernt stattfand, zogen plötzlich, wie von Zauberhand gelenkt, unüberschaubare Massen von Flüchtlingen auf das Gebiet des Reiches zu. Die Hexe gab Anweisung, die Grenzen zu öffnen und jeden hereinzulassen, der dies begehrte. Nun begannen etliche Untertanen zu murren und verwiesen darauf, dass gar nicht alle, die da jetzt über die Grenzen strömten, Kriegsflüchtlinge seien, sondern viele auch nur Wanderarbeiter, ja dass sich sogar etliche Diebe, Räuber und Mörder darunter gemischt hätten.

Allein, die Hexe ließ keinerlei Einwände gelten. „Meine Entscheidung ist alternativlos“, verfügte sie und drohte: „Wenn ihr mir nicht gehorcht, so ist dies nicht mehr mein Land!“ Obwohl die Untertanen die Königin nicht wiedererkannten, fügten sie sich ihrem Willen. Ohne die Königin konnten sie sich das Reich nicht vorstellen, und immer noch hofften sie, dass diese wusste, was sie tat. Die Hexe und ihre Gehilfen entwaffneten die Polizei und ließen Millionen Flüchtlinge aus den entferntesten Ecken der Welt herein. Binnen kürzester Zeit brachen alle staatlichen Strukturen zusammen, und bald herrschten in dem Reich ähnliche Zustände wie in den Ländern, aus denen die Flüchtlinge stammten. Die Hexe nutzte das von ihr angerichtete Chaos, um sich schamlos zu bereichern, während eine tiefe Düsternis die Gemüter der Untertanen befiel, die sich wohl oder übel in Armut und Elend fügen mussten.

Es begab sich aber eines Tages, dass einer Dienstmagd beim Reinigen der königlichen Gemächer der Besen entzwei ging und sie auf der Suche nach einem anderen Besen die Abstellkammer öffnete, in der immer noch auf einer alten Matratze die echte Königin lag. Nach einer Schrecksekunde sank die Magd weinend zu Boden, so dass eine ihrer Tränen das Antlitz der Königin benetzte. Da erwachte die Königin aus ihrem Todesschlaf und ließ sich von der Dienstmagd umgehend die Lage erklären. Obwohl oder gerade weil sie monatelang geschlafen hatte, hatte sich ein enormes Kraftfeld um sie herum aufgebaut, dem sich niemand widersetzen konnte.

Mit ihrem freundlichen Gesicht entwaffnete sie die Gehilfen der Hexe, und gegen die überströmende Güte ihres Herzens vermochten auch deren Zauberkräfte nichts auszurichten. Mehr noch, nachdem die Königin vor ihrem Hofstaat erklärt hatte, dass die Hexe nur aufgrund einer außergewöhnlich schweren Kindheit böse geworden war, waren alle, einschließlich der Hexe selbst, so gerührt, dass niemand mehr zu schlechten Gedanken fähig war und die Hexe von diesem Moment an ihre beste Freundin wurde. „Was machen wir mit den Millionen Flüchtlingen?“, fragte ein Minister. „Nun sind sie eben da“, erwiderte die Königin, die immer für ihren Pragmatismus bekannt gewesen war, und dann hielt sie eine aufrüttelnde Rede an ihre Untertanen.

Sie erinnerte die Bewohner des Reiches daran, dass viele von ihnen selbst einmal Flüchtlinge gewesen waren (was die meisten vergessen hatten) und erklärte ihnen die globalen Zusammenhänge: dass sie mit ihrem Wohlstand die Kriege in der Welt erst verursacht hätten und daher moralisch zur Aufnahme der Flüchtlinge verpflichtet seien, dass im Übrigen das Reich von den Neuankömmlingen nur profitieren könne.

Die Königin beschloss ihre Rede mit dem Satz, für den sie später berühmt werden sollte: „Wir schaffen das!“ Mit diesem Satz gab sie allen Menschen in ihrem Reich – alten wie neuen Untertanen – so viel Mut, dass sich eine nie gekannte Aufbruchsstimmung verbreitete. Und so schufen alle gemeinsam ein neues, kunterbuntes Reich des unbegrenzten Glücks und der vollkommenen Gleichheit, ohne Armut, Rassismus und Konflikte, das die Königin zusammen mit der Hexe regierte und das später zum Modellstaat für die ganze Welt werden sollte.

So lag die Königin auf einer alten Matratze in der Abstellkammer und träumte ihren Traum, aus dem es kein Erwachen gab. Und wenn alle anderen längst gestorben sind, dann träumt sie ihn immer noch.

Oliver Zimski ist Übersetzer, Sozialarbeiter und Autor. 2015 erschien sein Kriminalroman „Wiosna – tödlicher Frühling“.

 

 

 

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