Annette Heinisch / 25.04.2018 / 12:00 / Foto: Tim Maxeiner / 13 / Seite ausdrucken

Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los…

Kürzlich bekam ich von einem Mandaten das Buch „Die Herzlichkeit der Vernunft“ von Ferdinand von Schirach und Alexander Kluge geschenkt. Das war die humorvolle Antwort auf meinen – ebenfalls nicht ganz ernst gemeinten – Stoßseufzer: „Warum sind Männer bloß immer so emotional?“. Die oft hyperventilierende Emotionalität, die jede sachlich–rationale Debatte unterbindet, dürfte Kern unserer Unfähigkeit sein, Probleme zu lösen. Wer zum Beispiel als Tatsache feststellt „Das Fenster ist schmutzig“, ist

a) ein klarer Fall von Fensterhasser,

b) ein Konservativer (weil nur altmodische Leute saubere Fenster haben wollen),

c) wahrscheinlich sogar ein Neu-Rechter (weil Linke keine Fenster putzen),

d) ein Mensch, der charakterlich minderwertig ist, weil er die Realität der normativen Kraft des Denkens nicht unterordnet (denn was schmutzig ist, ist eine reine Frage der Wertung).

Was offenbar undenkbar ist: das Fenster einfach zu putzen! Dies wäre eine einfache Lösung, die umgehend zu mehr Durchblick verhelfen würde. Es wäre sogar schnell getan, würde man einfach mal die Ärmel hochkrempeln und die Arbeit erledigen. Aber die ist unangenehm, überhaupt nicht sexy und völlig ohne Wellness-Faktor. Also steckt man alle Energie in den Versuch, vor der Arbeit wegzulaufen.

Man erkennt diese Methode bei der andauernden illegalen Migration: Würde man die Grenzen schließen, hätte man ein heftiges Problem mit der Begründung des bisherigen Verhaltens und mit den Bürgern, die man in dem Irrglauben bestärkt hat, mit dem Gutheißen der Massenmigration qualifiziere man sich als moralisch höherstehend. Es ist der praktische Anwendungsfall von Goethes Zauberlehrling: „Die ich rief, die Geister, werd’ ich nun nicht los.“ Bei Wahlen käme das nicht gut an, also macht man weiter wie bisher.

Das selbe Spielchen beim Euro

Wer etwas dagegen sagt, ist – na klar – eine Ausländerhasser, außerdem zu 35 Prozent  im modernen Rechtsextremismus verhaftet und zu 20 Prozent im AfD-Pegida-Umfeld (was immer das auch sein mag), zumindest aber stark konservativ. Außerdem gäbe es gar keine illegale Masseneinwanderung, alles offenbar nur eine Illusion.

Dasselbe Spielchen gab es auch schon bei der Euro-Einführung und später bei der Euro-Rettung. Meldeten sich Fachleute zu Wort, die meinten, es sei zu früh für den Euro, waren sie böse Nationalisten. Als sich später bei der Euro-Rettung Volkswirte zu Worte meldeten mit dem Hinweis, dass diese so nicht funktionieren werde, gab es dasselbe Spielchen. Dass sich 90 Prozent der deutschen VWL-Professoren in seltener Einigkeit in einer Petition gegen die Vergrößerung des Euro-Rettungsschirms wandten, interessierte niemanden.

Es wurde die ganz große Keule herausgeholt: „Stirbt der Euro, stirbt Europa“, hieß es. Europa wurde als Friedensprojekt sakralisiert, mögliche Militäreinsätze bei einem Euro-Crash wegen der zu erwartenden innereuropäischen Flüchtlingsströme diskutiert.  

Angesichts dieses Schreckensszenarios blieb das Volk still und zahlte. Bizarr mutet an, dass wir heute Flüchtlingsströme haben, nur nicht innereuropäisch, sondern auf andere, deutlich problematischere Weise. Dabei ist die Euro-Krise immer noch nicht gelöst, die Euro-Staaten sind in Bezug auf Wachstum und Produktivitätsfortschritte sogar noch heterogener als vor Einführung des Euros.

Dass wir fast die Hälfte unseres Auslandsvermögens abschreiben müssen, ist  vielen bekannt, oft übersehen wird aber das Problem der Zombie-Unternehmen, die nicht wirklich konkurrenzfähig sind und nur aufgrund des billigen Geldes überleben können.

Je eher den Problemen stellen, desto besser

Bei der nächsten Rezession – sie wird kommen, sogar eher früher als später – wird die Wohlstandsillusion platzen. Und was dann? Wir haben einen Sozialstaat, der schon ohne zusätzliche Belastungen durch die Migration am Ende war, nun aber hoffnungslos überfordert ist. Wir haben enorme Schulden, unsere Innovationskraft ist durch die Droge des billigen Euros am Boden und die Verantwortlichen scheinen nichts anderes zu beherrschen als das Absondern inhaltsleerer Worthülsen auf Wohlfühlbasis.

Die Politik ist vor den Problemen davongelaufen. Sie zu lösen, hätte von den Bürgern einen Preis gefordert, der sich in schlechten Umfragewerten und verlorenen Wahlen niedergeschlagen hätte. Das aber wollte keine Partei, so dass die Zukunft Deutschlands den Wahlergebnissen geopfert wurde. Dieses Vorgehen hätte nur dann keinen Erfolg gehabt, wenn es eine Kultur im Land gäbe, nicht vor Problemen wegzulaufen, sondern sich ihnen zu stellen und zwar je eher, desto besser. Daher ist es verfehlt, nur auf die Politik zu schimpfen, den Bürgern war der bequeme Weg ja auch viel lieber.

Fatal wirkt sich aber die Emotionalisierung auf die gesamte politische Landschaft aus. Nur derjenige wird wahrgenommen, der für Aufreger sorgt. Es muss alles hochgehypt werden, um Aufmerksamkeit und Klick-Zahlen zu bekommen. Die AfD ist als rechter Rüpel in aller Munde, als aber Lucke & Co. eine neue Partei gründeten, die nicht „igitt“ ist, hat man von dieser nichts mehr gehört. Welch selektive Berichterstattung, die sich über das Phänomen der „Wutbürger“ und „Abgehängten“ aufregt, aber ihrerseits nicht wahrnimmt, was man nicht hypen kann.

Für die ernsthaften Probleme in der Realität wird es nur Lösungen geben, wenn wir zurückfinden zu sachlichen, rationalen Debatten ohne Beschimpfungen, Unterstellungen und Etikettierungen. Professor Hans-Werner Sinn sagte in einem Interview, dass die Politik beratungsresistent sei. Daher habe er sich bisher nicht parteipolitisch engagiert. Das einzige, was ihn interessieren könnte, wäre eine „Wissenschaftspartei“.    

Damit wird er kaum gemeint haben, dass nur Wissenschaftler in die Politik sollten, sondern dass es eines vernünftigen und sachlichen Diskurses bedarf, um die Probleme unserer Zeit zu lösen.

In der Realität erleben wir das Gegenteil. Das Volk wird aufgehetzt und gespalten, nicht nur, um Leser oder Wählerstimmen abzugreifen, sondern auch damit es bloß nicht anfängt zu denken. „Die ich rief, die Geister...“ – dem Zauberlehrling kam der Meister zu Hilfe. Und uns?

Foto: Tim Maxeiner

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Leserpost

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Heiko Stadler / 25.04.2018

Es gibt einen Untersichied zwischen schmutzigen Scheiben und der Rückkehr zur Rechtsstaatlichkeit: Das sind die vielen Milliarden, die die Asylindustrie am Gesetzesbruch verdient und wenn’s um Geld geht, wird es nun mal emotional. Nichts ist “humaner” als schnell verdiente Milliarden und wer den Umsatz gefährdet, ist ein “Rechtsextremist”.

Karla Kuhn / 25.04.2018

Danke Frau Heinisch, daß Sie den Zauberlehrling richtig zitieren :”...die ich rief die Geister….”  Die REGIERUNG und sämtliche Politiker in Deutschland und die GESAMTE Presse haben die Pflicht, uns, das Volk über ALLE Themen, besonders die unangenehmen , zu informieren. Da das nicht geschieht, machen wir , bzw. viele von uns, ein eigenes Bild von der politischen Lage.  Zurückgehaltene oder/und falsche Informationen, Beschimpfungen, zum Teil unter der Gürtellinie, Teile einer Justiz, die so in einem Rechtsstaat nicht urteilen dürfte, große Ungerechtigkeiten gegenüber der eigenen Bevölkerung im sozialen Sektor etc.pp. lassen wahrscheinlich viele Menschen an einer Rechtsstaatlichkeit zweifeln. Dazu kommt noch das “alternativlose” Handeln von Frau Merkel und ihre ( so scheint es jedenfalls) BERATUNGSRESISTENZ. Nein unter diesen Umständen würde jeder Mediator verzweifeln. Die Politiker und die Presse haben die Pflicht die Situation zu entspannen, erst dann wird das Volk für einen Dialog bereit sein. Aber vielleicht ist es dafür auch schon zu spät. Glaubwürdigkeit und Vertrauen muß erarbeitet werden !!

Herbert Müller / 25.04.2018

“Professor Hans-Werner Sinn sagte in einem Interview, dass die Politik beratungsresistent sei. Daher habe er sich bisher nicht parteipolitisch engagiert.”  Professor Sinn redet Klartext was ökonomische Probleme angeht, ob das einem nun passt oder nicht und vertritt dann auch seine Positionen (auch eurokritische). Damit würde er in allen Parteien anecken, die den Mainstream auf ihre Fahnen geschrieben haben. Dort will man die Realität und ökonomische Fakten nicht zur Kenntnis nehmen.

Günter H. Probst / 25.04.2018

Wenn Sie in einem Auto sitzen, dessen durchgeknallter Fahrer mit Bleifuß auf den Abgrund zusteuert, wird keine noch so rationale Erwägung diesen von seinem Tun abhalten. Und die Mitfahrer auf dem Rücksitz, die trinkend und singend von dem Abgrund nichts mitbekommen, werden diesen nicht von seinem Tun abhalten. Wie der Volks-Mund sagt: Erst durch Schaden wird man klug. Wenn die sozialen Sicherungssysteme ihr burn-out haben, und der Euro und die EZB ihren Abgang vermelden, werden die verarmten Hinterbliebenen merken, daß irgend etwas nicht gut gelaufen ist.

Siering Christian / 25.04.2018

“Den Bürgern war der bequeme Weg ja auch viel lieber” ist mir zu einfach. Denn einerseits hat der Bürger seinen eigenen Alltag und muss notgedrungen auf die Fachkompetenz der Politik vertrauen. Empört sich der Bürger jedoch gegen das missbrauchte Vertrauen, ist er nicht ad hoc in der Lage, die Sprache der etablierten Profis zu sprechen und gilt deshalb, sie sagen es, als “Igitt”. Die AfD ist neben den bürgerlichen Demonstrationen die einzige Kraft im Lande, über die sich der Bürger Ausdruck verschaffen kann. Angesichts der massiven Gegenwehr durch Politik, Medien und Kultur, sollte man davor mal eher den Hut ziehen. Schließlich passiert das auch noch neben der normalen Arbeit, während sich die Gegner der Bürgerbewegungen vollzeitlich in Stellung bringen können.

Helmut Driesel / 25.04.2018

Ich war zwar keiner der vielen Fans von Prof. Sinn, aber offenbar hat der nun sehr viel mehr Zeit, vernünftig nachzudenken. Was die Geister betrifft, hilft es als ersten Schritt, nachzuprüfen, ob es wirklich Geister sind. also aufhören zu kreischen und mit dem Zeigefinger vorneweg geradewegs drauf zu gehen. Und dabei immer schon rundum hören, ob da irgendwer in der Kulisse anfängt zu lachen. Und eventuell geht auch mal jemand der Frage nach, wofür wir Deutschen 85 Jagdbomber brauchen. Mal angenommen, es funktionieren welche davon - würde sich irgend ein Land auf dieser Erde ungestraft von Deutschen bombardieren lassen? Oder sollen die im Bedarfsfalle Schecks abwerfen?

Judith Hirsch / 25.04.2018

Danke für das passende Beispiel mit dem Fenster. Ich erlebte ähnliches tatsächlich einmal. Kolleginnen entschieden sich dafür in unserer Kita eine Glastür einzusetzen, deren Scheibe aus Fensterglas war. Ich warnte monatelang vergeblich immer wieder vor der Gefahr für die Kinder. Mit dem Ergebnis, dass ich Spott, Beleidigungen und Ausgrenzung erlebte. Man warf mir vor mich inszenieren zu wollen, Unfrieden zu stiften und dass ich mit meiner “Angst” ein schlechtes Vorbild für die Kinder sei. Natürlich kam es so, wie es zu erwarten war: Ein 5jähriger Junge rannte in die Glastür und zog sich schwerste Schnittverletzungen zu, inklusive der Durchtrennung einer Sehne. Meiner damaligen Chefin war es ca. 30 Minuten nach dem Unglück am wichtigsten mich zu bedrängen auf keinen Fall über die Vermeidbarkeit dieses Unfalls zu sprechen. Ich entschied mich dafür die Eltern über die Fahrlässigkeit zu informieren und kündigte.

Gabriele Nilsen / 25.04.2018

Wow. Genau den Gedanken mit einer Wissenschaftpartei habe ich seit einiger Zeit. Nur sachliche, Heransgehensweise kann wirklich helfen. Für den Übergang bis dahin, wäre es schon mal gut, wenn Autoren, insbesondere die, die sich als Alternative zum momentan ideologisch durchseuchten und damit völlig unsachlichen mainstream sehen, mehr Denkarbeit verrichten könnten und auf Eitelkeit verzichteten. Einfach mal sich sachlich den Problemen widmen. Oder auch andere mal etwas äussern lassen, auch wenn es nicht so nett verpackt ist, zum Beispiel hier. Sachverhalte und Gedanken, die irgendwie nicht so in die Schublade passen, von der aus man als Opportunist heute “zum Denken anregt”. Ich suche nach einer Alternative seit einiger Zeit, aber was ich gefunden habe, ist unsachlich wie der mainstream, gleichgeschaltet in diversen Ländern, bloss mit teilweise anderem Vorzeichen. Die Interessen sind möglicherweise auch finanziell und man rettet sich als sogenannter Publizist mit hinüber. Als Leserin geht es mir wie bei Hase und Igel.

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