Nie wieder! Dieser Ruf wird immer laut, wenn es für die Opfer zu spät ist. Zum letzten Mal war das so beim Völkermord in Ruanda 1994. Hunderttausende wurden abgeschlachtet - und die Welt sah tatenlos zu, allen voran Frankreich und die Vereinten Nationen. Danach sollte sich alles ändern. Doch knapp zehn Jahre später brach im Sudan der nächste Konflikt aus, der vor den Augen der Welt zum Genozid ausartete.
Bis heute haben 200 000 Menschen ihr Leben verloren, zehnmal so viele wurden vertrieben. Die meisten Opfer gehen auf das Konto arabischer Reitermilizen. Ihre Massaker an den Bewohnern nichtarabischer Dörfer werden von der Regierung des Sudan unterstützt. Der französische Philosoph Bernard-Henri Lévy sieht Islamisten auf der Täter- und gemäßigte Muslime auf der Opferseite. „Im Herzen Afrikas der erste Völkermord des 21. Jahrhunderts: ein weiterer Schauplatz für den einzigen Zusammenstoß der Kulturen, den es wirklich gibt, nämlich den zwischen den beiden Richtungen des Islams“, schreibt Lévy. Dieser innermuslimische Konflikt ist aber keine innere Angelegenheit des Sudan, sondern bedroht die ganze Region. Auch deshalb muss eine Lösung her.
Aber das Morden geht weiter, zur Schande für Afrika und die UN. Zehn Resolutionen hat der Sicherheitsrat gegen die Regierung in Khartum verabschiedet, eine Friedenstruppe der Afrikanischen Union (AU) wurde in Marsch gesetzt. Seitdem gebe es Soldaten im Land, die alle Überfälle in ihren Notizblöcken vermerken könnten, ätzen Mitarbeiter von Hilfsorganisationen. Die afrikanischen Regierungen sind jedenfalls unfähig, die Krisen auf dem eigenen Kontinent zu lösen.
Das allerdings dürfte niemanden überraschen, denn in der AU geben Despoten den Ton an. Das Schicksal der Menschen in Darfur ausgerechnet in die Hände dieser Organisation zu geben war ein Fehler. Je eher die UN ihn korrigieren und - auch gegen den Willen des Sudan - die längst beschlossene, kampffähige Friedenstruppe schicken, desto besser. Ex-Außenminister Joschka Fischer hat darauf hingewiesen, dass dies rechtlich möglich wäre - und notfalls auch nötig.
Doch schon Sanktionen könnten den Sudan zu Vernunft und Menschlichkeit zwingen - wenn sie endlich beschlossen würden. Bisher aber konnte sich etwa die US-Regierung, die unter dem Druck zahlreicher pro-Darfur-Initiativen von amerikanischen Organisationen steht, nicht gegen Bremser wie China durchsetzen.
Wie sehr all dies die Glaubwürdigkeit der UN untergräbt, hat der Ende 2006 aus dem Amt geschiedene UN-Generalsekretär Kofi Annan deutlich gemacht. Dem UN-Menschenrechtsrat warf er vor, sich zu wenig um Krisenherde wie Darfur zu kümmern und sich stattdessen notorisch mit dem israelisch-arabischen Konflikt zu beschäftigen. Doch selbst dieser Appell eines Afrikaners hat bisher wenig bewirkt.
Gerade Europa tut zu wenig. Den Anspruch, die Menschenrechte zu wahren, hat die EU in ihrer „Berliner Erklärung“ wortreich bekräftigt. Taten fehlen. Menschenrechte gelten auch für Afrikaner, auch für Muslime - und nicht nur auf dem Papier. Darfur könnte die letzte Chance der UN sein, zu beweisen, dass sie in der Lage ist, Menschen aus von Menschen gemachter Not zu retten. Momentan sieht es nicht danach aus. Eher droht „Darfur“ der nächste Anlass zu werden, „Nie wieder!“ zu rufen - rückwirkend und wirkungslos wie immer.
Leitartikel im Kölner Stadt-Anzeiger, 4.4.07