Gastautor / 09.01.2016 / 18:20 / 6 / Seite ausdrucken

Die Herrin der Binse und ihr futurologischer Kongress

Von Roger Letsch

Ich weiß leider nicht, wer das aktuelle Corporate Design der CDU geschaffen hat, aber es muss eine Agentur mit sublimem Humor gewesen sein. Die Kernaussagen der Partei, die auf den Titelblättern von Erklärungen und Beschlüssen prangen, stehen stets in einer fetten Sprechblase. In solche Sprechblasen schreibt die Kanzlerin ihre Binsenweisheiten, für die sie mittlerweile eine geradezu wikipedieske Quelle ist. Keine der Aussagen ist falsch, nicht einmal kontrovers. Es sind ausschließlich Binsen, Gemeinplätze, die mit Textbausteinen zusammengebunden sind. Versatzstücke aus der Was-jeder-weiß-Rubrik, mit denen uns Frau Merkel seit Jahren abspeist.

Deutschland stärken, Europa voranbringen, Chancen nutzen, Gesetze anwenden (jetzt aber konsequent, wirklich!), handlungsfähig bleiben, Wachstum stabilisieren, auf Steuererhöhungen verzichten, mit Schulden Schluss machen, Infrastruktur erneuern, Digitalisierung vorantreiben, Datenschutz verbessern, Wettbewerb stärken, … Wäsche waschen, Kinder machen, Plätzchen backen und einmal volltanken bitte.

Merkels Binsen deklamieren privatwirtschaftliche Selbstverständlichkeiten und Gesetzmäßigkeiten der Wirtschaft als Erfolge ihres Regierungshandelns, während staatliche Defizite und Regierungsversagen zu „Chancen der Allgemeinheit“ erklärt werden. Das ganze wird sprachlich so vermischt, dass es dem ungeübten Beobachter schwer fällt, das Phrasenknäul auf Substanz zu überprüfen. Man verliert den Faden ebenso leicht, wie man ihn in die Finger bekommt – und das soll auch so sein.

Heute, am 9. Januar 2016 ging die Klausurtagung des CDU-Bundesvorstandes in Mainz mit einer Pressekonferenz zu ende, bei der Gastgeberin Klöckner und Chefin Merkel gemeinsam vor die Presse traten. Klausurtagung, das klingt nach Krisensitzung und dringender Beschlusslage und nach Konklave. Ort und Zeitpunkt sehen wichtig und aktuell aus, waren es aber angesichts der bevorstehenden Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg nicht. Wie heiß die Nadel war, mit der die offiziellen Abschlussdokumente gestrickt wurden, zeigt sich in der unterschiedlichen Gewichtung, die die aktuelle Sicherheitslage in der Kurzfassung (nur Stichpunkte, für die Deppen) und der kompletten „Mainzer Erklärung“ (für das wahlkämpfende Personal) hinterlassen hat. In der Kurzfassung steht an prominenter erster Stelle der Wunsch, Flüchtlingszahlen zu reduzieren, in der Langfassung ist anfangs von der „guten Zukunft Deutschlands“ die Rede.

Oops, She Did It Again!

Aus der Mainzer Erklärung: „Wir wollen Flüchtlingszahlen reduzieren und die Zuwanderung nach Deutschland ordnen und steuern. Abgelehnte Asylbewerber sollen zügig in ihre Heimat zurückkehren. Wer bleibt, muss die Angebote zur Integration annehmen.“ „[Wir wollen]…die Migration ordnen, insbesondere die Außengrenzen schützen und den Schleusern das Handwerk legen“. „Wie bitte?“ wird der verdutze Leser ausrufen, „hat Frau Merkel nicht erst vor kurzem erklärt, dass weder das eine noch das andere möglich sei?“.

Wir habe heute wieder mal eine blitzsaubere „Merkel-Halse“ erlebt, bei der wie beim Segeln in voller Fahrt der Kurs gewechselt wird. Binnen Sekunden liegen die Segel in die andere Richtung. Der erfahrene Skipper kennt natürlich die Gefahren. Besonders Unaufmerksamkeit kann dazu führen, dass der Baum des Großsegels beim Umschlagen im Weg stehende Crew-Mitglieder von Bord kegelt. Da Frau Merkel aber selbst die letzte war, die dem Umschlagen des Baumes im Weg stand, besteht keine Gefahr. Unbeabsichtigt erklärte Frau Klöckner heute, wie ihre Parteichefin seit Jahren politisch Halse auf Halse fährt: Klöckner über die SPD-Landesregierung in Rheinland-Pfalz: „Die SPD-Regierung sperrt sich erst gegen Vorschläge der CDU um sie dann unter Druck doch umzusetzen und als die eigenen zu verkaufen.“ Man muss der Kanzlerin zu ihrer Selbstbeherrschung gratulieren! Ich an ihrer Stelle hätte nach diesem Satz laut losgelacht, angesichts des Regierungsstils der letzten Jahre, angesichts Atomausstieg, Energiewende, Klima- und Einwanderungspolitik. CDU-Politik ist für Merkel gleichbedeutend mit Rückenwind. Wer ganz genau hinschaute, konnte über Merkels Kopf aber die Sprechblase sehen in der stand ‚Halt die Klappe, Julia! Du redest mich um Kopf und Kragen!‘

Am Schluss der Mainzer Erklärung heißt es: „Die CDU arbeitet weiter für eine gute Zukunft unseres Landes; diesem Auftrag fühlen wir uns verpflichtet; hierfür wollen wir Verantwortung übernehmen.“ Wer so explizit Verantwortung für die Zukunft übernimmt, lehnt Verantwortung für die Gegenwart ab und weigert sich, Konsequenzen aus den eigenen Fehlern der Vergangenheit zu ziehen. Das kann man auch aus der Schlusserklärung herauslesen, wenn man nach der Häufigkeit einiger simpler Schlüsselworte sucht: „Zukunft“ elf mal, „Gegenwart“, „Vergangenheit“ oder gar „Fehler“ – Null mal.

Abschließend ein Literaturtipp, gewissermaßen als Basislektüre zur Politik Angela Merkels: Stanislav Lem, „Der futurologische Kongress“.

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Fabian Stein / 10.01.2016

Mit “Aussengrenzen schützen” meint diese Merkel doch wie immer die EU-Aussengrenzen (1) und somit gab es natürlich keine “Merkel-Halse”, noch nicht. Es wurde auch wieder gesagt, dass man die “Fluchtursachen” beseitigen wolle (2), um das Flüchtlingsproblem nach Europa zu verringern (wobei man auf der anderen Seite ja immer wieder argumentiert, dass man die Flüchtlinge unbedingt brauche!). Dann wird weiter die “gerechte” Verteilung der Flüchtlinge (3) in Europa propagiert. Also alles alter Kaffee, der so lange gegurgelt wird, bis die Deutschen es dann endlich verstanden haben (sollen). Allein schon die Punkte 2 und 3 lassen erkennen, dass die Person Merkel und die sie tragende CDU nur irre sein können.

Andreas Stadler / 10.01.2016

Stimme zu! Leider finden sich diese Phrasen aber in allen Parteien, bei jeder Pressekonferenz. Das ist Diplomatie. Man will keine Erwartungen wecken, die später nicht erfüllt werden können. Wenn man sagt “Wir wollen die Migration ordnen” und man schafft es nicht, dann ist man hinterher dennoch in der Lage zu sagen, man sei noch nicht am Ziel, aber auf einem guten Weg. Wenn man dann abgewählt wird, kann man sich aus der Misere zurückziehen oder in der Opposition behaupten, die neue Regierung kriegt es auch nich besser hin. Genau das hören wir auch oft von Frau Merkel, man sei auf einem guten Weg. Eine Ausnahme von dieser Diplomatie bildet wirklich der Satz “Wir schaffen das”. Hier gibt es kein Modalverb “wollen” oder “können”, sondern den Indikativ “schaffen”. Diplomatischer und sogar ehrlicher wäre es gewesen, wenn sie gesagt hätte: “Wir können es schaffen.” Aber das klingt widerum schwächer, vermittelt keine starke Kanzlerin, sondern eine, die es auch nicht so recht weiß, auf Hilfe angewiesen ist. Also war sie gezwungen es so auszudrücken. Dieser ständige Blick in die Zukunft bei Politikern stört mich auch und deprimiert mich. Das Leben findet jetzt statt, nicht in 10 Jahren. Ich bin gespannt, wie der Merkel-Thriller weitergeht, Hochspannung ist garantiert.

Axel Wahlder / 10.01.2016

@Wer so explizit Verantwortung für die Zukunft übernimmt, lehnt Verantwortung für die Gegenwart ab: Bravo! Das war brilliant.

Hans Meier / 09.01.2016

Die Klausurtagungen der Parteien dienen z. Z. offensichtlich dem Ziel, Strategien zu entwickeln, um weiter im Rennen zu bleiben. Es hat etwas stattgefunden, was es zuvor noch nie gab und den etablierten Parteien einen Angst-Schock versetzte. Sie hatten den Konkurrenten AfD mit einem speziellen Gesetz in den Bankrott treiben wollen und das innerhalb von ein par Wochen noch hurtig vor Weihnachten durchgezogen. Die Etablierten rieben sich schon die Hände und glaubten die AfD erlegt zu haben. Aber der Coup misslang, weil eine erstaunlich große Zahl von engagierten Bürgern mit ihren privaten Spenden, innerhalb von 3 Wochen 2,1 Millionen Euro für die AfD aufbrachten und die Alternative für Deutschland als Partei somit vorm Untergang durch Bürger gerettet wurde, die Demokratie mögen. Dieser Vorgang ist einmalig. Ohne Groß-Spender aus Industrie oder von Verbänden, bringen Privatleute in 3 Wochen 2,1 Millionen auf, die eine demokratische und eine andere Politik wollen. Laut Abgeordnetet-Watch lag die Summe der gesamten Parteispenden 2012 bei 40,8 Millionen, rechnet man aus Spaß die 2,1 Millionen durch 3, dann sind das 0,7 Millionen pro Woche und mal 52 kämen theoretisch 36,4 Millionen zusammen. Diese Relationen veranschaulichen, welche Gefahren der AfD und der Bevölkerung von denen drohen, die den Einzug der AfD in weitere Parlamente mit allen Mitteln verhindern wollen.

Thomas Klingelhöfer / 09.01.2016

Danke Herr Letzsch für die Analyse, die die Beliebigkeit und Inhaltsleere der KanzlerIn-Worte in ihrer ganzen intellektuellen Dürftigkeit offenlegt. Schaut man sich die Ergebnisse ihrer Politik an, könnte man fast befürchten, dass sie wirklich so “denkt”.

Christian Speicher / 09.01.2016

“Gesetze anwenden” ist für mich keine leere Worthülse. Nichts anderes als die Einhaltung und Umsetzung bestehender Gesetze und zwischenstaatlicher Vereinbarungen versprechen die bürgerlich konservativen Protestparteien AfD et al. und fordern die bürgerlich konservativen Protestbewegungen wie PEGIDA hinsichtlich der Immigrationspolitik. Würde Frau Merkel diesem Anspruch selbst gerecht, wäre Deutschland ein völlig anderes Land mit einer völlig anderen Zukunftsperspektive.

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