Von Armin H. Flesch.
Warum die Hildesheimer Hochschulpräsidentin Christiane Dienel Antisemitismus-Vorwürfe nicht rechtzeitig aufgeklärt, sondern lieber die Kritiker bekämpft hat.
Man soll Kalauer nicht überstrapazieren. Deshalb werde ich auch die jüngsten personellen Veränderungen an der Hildesheimer Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst (HAWK) – Abberufung des judenfeindlichen Lehrbeauftragten Rabi El-Dick und Rücktritt der Dekanin Christa Paulini – nicht wieder zu umfallenden Reissäcken im nordchinesischen Ürümqi in Beziehung setzen. Wenden wir uns lieber gleich den harten Fakten zu, denn die Realität ist viel absurder als der dümmste Witz.
Erinnern wir uns: Nach öffentlichem Druck hat die Arabischlehrerin der Hildesheimer Volkshochschule, Frau Ibtissam Köhler, ihren Lehrauftrag an der HAWK verloren, weil ihr Seminar zur „Sozialen Lage der Jugendlichen in Palästina (Gender)“ mit dem Thema nur insofern zu tun hatte, als man darin über die soziale Lage palästinensischer Jugendlicher und deren Ursachen nichts erfuhr.
Doch die israelfeindliche „Lehrveranstaltung“, die Köhler 15 Jahre lang halten durfte, wurde nicht etwa abgesetzt, weil man an der HAWK endlich dahintergekommen wäre, dass die „christliche Palästinenserin aus Bethlehem“ überhaupt nur deswegen an die Hochschule gelangt war, weil sie „was zu Israel raus liess“, oder weil man – spät aber doch – entdeckt hätte, dass es Köhler an einschlägiger Qualifikation ebenso mangelte wie an der Fähigkeit, das Thema mit ihren Studenten wissenschaftlich zu bearbeiten.
Alles längst bekannt
Weit gefehlt. Das alles herauszufinden hätte es weder des Protests von Rebecca Seidler bedurft, noch der Aufforderung seitens des Zentralratspräsidenten Josef Schuster, das Seminar wegen antisemitischer Inhalte einzustellen. Es bedurfte keines Gutachtens und ganz bestimmt keiner „Hass-Kampagne “, wie die HAWK-Präsidentin Christiane Dienel gemutmaßt hatte. Das alles war nämlich längst bekannt.
Als Ibtissam Köhler im Jahr 2000 zur Lehrbeauftragten an der HAWK berufen wurde, da hieß der zuständige Dekan der Fakultät Soziale Arbeit und Gesundheit (damals Fachbereich Sozialpädagogik) Prof. Dr. Ulrich Hammer. Hammer war Dekan von 1996 bis 2002, danach bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2006 Stellvertretender Dekan, also dicht am Fall und unmittelbar verantwortlich.
„Das war mir zu wenig reflektiert, zu wenig differenziert,“ erinnert sich Hammer an Ibtissam Köhler. „Das war immer nur eine Nähe. […] Die Gespräche, die ich mit Frau Köhler geführt habe, die waren meiner Meinung nach nicht wissenschaftlich. […] Das war so – und Schluss.“
Es gab keinen Ersatz
Die Frage, ob man Köhler dann ihren Lehrauftrag nicht besser hätte entziehen sollen, bringt Ulrich Hammer zunächst ins Straucheln: „Das ist so … darüber lässt sich sehr … also ich will mal so sagen: Wenn wir einen guten Ersatz gehabt hätten: Ja! Das ist immer das Problem: Wir wollten ja beide Seiten haben.“ So war das also an der Hildesheimer Hochschule, man wollte beide Seiten haben – und weil sich niemand Besseres fand…
Ulrich Hammer bestätigt übrigens auch, dass es kritische Hinweise von studentischer Seite auf das Köhler-Seminar gegeben habe: „Nun muss man ja auch in Rechnung stellen, dass die Studierenden nicht ganz dumm sind. Wenn wir von irgendwas erfahren, dann erfahren wir das häufig durch die Studierenden.“
Wurde solchen Hinweisen seitens der Fakultät nachgegangen? „Nein, ich hab da nichts geprüft. Das war auch damals … die Regeln guten wissenschaftlichen Arbeitens sind erst später gekommen durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, als es gravierende Regelverstöße gab. Ich glaub, wir hatten noch nicht mal in unserem Lehrprogramm Methoden des wissenschaftlichen Arbeitens.“
Geht man allerdings auf die Website der Deutschen Forschungsgemeinschaft, dann findet sich dort folgender Hinweis: „Mit den Empfehlungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis aus dem Jahre 1998 hat die Wissenschaft eine Selbstkontrolle initiiert und formuliert, die einen allgemeinen Konsens gefunden hat. Aufgrund dieser Empfehlungen wurde ein flächendeckendes System der Selbstkontrolle in allen verfassten Institutionen der Wissenschaft eingerichtet.“
Die Gallier von der HAWK
So, so, 1998, und damit zwei Jahre vor der Berufung Ibtissam Köhlers zur Lehrbeauftragten. In allen verfassten Institutionen der Wissenschaft? Nein! Eine von unbeugsamen Akademikern geleitete Hochschule hört nicht auf, den Empfehlungen der Deutschen Forschungsgemeinschaft Widerstand zu leisten. Beim Teutates!
Sie hören und hören nicht auf, die Gallier von der HAWK, ihre Vorstellung von der „Freiheit der Lehre“ gegen eine Welt von Feinden zu verteidigen, selbst dann noch, als es nichts mehr zu verteidigen gibt. Christiane Dienel, die amtierende Präsidentin, ist dabei nur das letzte Glied einer langen Kette von Hochschulverantwortlichen, die genau dieser Verantwortung nicht gerecht wurden.
Statt auf sachliche Fragen vernünftig zu antworten, statt mit in- und externen Kritikern ein an den Inhalten ihrer Kritik orientiertes Gespräch zu führen und Aufklärung zu betreiben, wirft Dienel mit verbalen Hinkelsteinen um sich, was das Zeug hält. Selbst ihre Kinder, denen sie „jüdische Vornamen“ gegeben habe, müssen für die Abwehr des Antisemitismus-Vorwurfs herhalten. Dabei hatte sich der Vorwurf zunächst nur gegen das Köhler-Seminar, nicht gegen Dienel selbst gerichtet.
Die Causa Köhler nur geerbt
Man wolle die Hochschule mundtot machen, unbequeme Sichtweisen verhindern und die Freiheit der Lehre einschränken, beklagt die Heilige Johanna von Hildesheim. Über all das wurde in den Medien ausführlich berichtet und es ist es der Rede weiter nicht wert. Aber eine Frage sei noch gestellt: Warum reagiert Christiane Dienel so?
Dienel, die 2011 als Präsidentin an die HAWK kam, hat die Causa Köhler nur geerbt. So kann man ihr die Existenz des Seminars nicht vorwerfen, und niemand hat das getan. Auch dass sie angibt, von dieser randständigen Veranstaltung zunächst nichts gewusst und folglich weder Inhalte noch die Art der Durchführung gekannt zu haben, kann ihr weder zur Last gelegt noch bezweifelt werden.
Derlei ist nicht die Aufgabe einer Präsidentin. Sie leitet ihre Hochschule und vertritt sie nach außen. Umso bemerkenswerter ist deshalb die Art, in welcher Christiane Dienel mit dem Vorwurf des Antisemitismus umgegangen ist, nachdem sie damit konfrontiert wurde. Hat es sich dabei um Ausrutscher in einer unerwarteten und besonders bedrängenden Lage gehandelt, oder werden hier Strukturen ihrer Persönlichkeit erkennbar?
Deutsche Politikerin (SPD)
In ihrem Wikipedia-Eintrag nennt sich Christiane Dienel eine „deutsche Politikerin (SPD) und Hochschulmanagerin“. Politische Ämter bekleidet sie nach Auskunft ihrer Hochschule zwar augenblicklich keine, was die Bezeichnung Politikerin einigermaßen gewagt erscheinen lässt. Aber in den Sphären der Politik hat sie sich bereits getummelt.
„Nach der Landtagswahl 2006 kam es in Sachsen-Anhalt zur Bildung einer Großen Koalition“, heißt es bei Wikipedia. „Dienel wurde daraufhin zur Staatssekretärin in dem von Gerlinde Kuppe geführten Ministerium für Gesundheit und Soziales ernannt. Am 28. September 2009 wurde ihre Abberufung bekannt.“ Also verlor Christiane Dienel ihr damaliges Amt, in dem ihr die Leitung der Verwaltung eines Ministeriums oblag, noch vor dem Ende der Legislaturperiode.
Liest man nach, was Dienel seinerzeit selbst dazu verlautete, dann war es ein Mangel an Vertrauen seitens der Ministerin, der ihr eine weitere erfolgreiche Arbeit unmöglich gemacht habe. Aber ist sie deshalb zurückgetreten, was unter solchen Umständen zu erwarten wäre? Nein, Christiane Dienel wurde als Staatssekretärin gefeuert. Warum?
Weder die Pressemeldung 111/09 des sachsen-anhaltinischen Ministeriums für Gesundheit und Soziales, in der die Abberufung Dienels 2009 mit dürren Worten mitgeteilt wurde, noch dessen heutiger Pressesprecher geben darüber Auskunft. So lohnten sich einige Telefonate, um schließlich jemanden befragen zu können, der seinerzeit unmittelbar in Dienels Entlassung eingebunden gewesen war.
Fleißig außerhalb des Dienstes
Diese Person sieht die Gründe dafür ganz anders: „Frau Dienel hat durchaus ihre eigenen Ziele verfolgt. Sie hat Vorträge gehalten und Veranstaltungen besucht, die nichts mit der Regierungsarbeit zu tun hatten. Sie hat relativ viel Zeit für sich in Anspruch genommen, die ihrem Amt und der Amtsführung verloren gegangen ist. Sie war dann auch Argumenten nicht zugängig, die vielleicht eine bessere Konzentration auf ihre Aufgaben als Staatssekretärin bewirkt hätten. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sie recht behalten will.“
Kurz und knapp: Christiane Dienel vernachlässigte ihr Amt um eigener Interessen willen, war kritikunfähig und rechthaberisch. Ist diese Darstellung glaubhaft und passt sie zu ihrem Verhalten als Hochschulpräsidentin in der Köhler-Affäre? Hat sie auch hier Zeit für eigene Belange genutzt statt für ihr Amt?
Seit ihrem Antritt als Präsidentin hat Christiane Dienel eine Wohnung in Hildesheim, doch zu ihrem Lebensmittelpunkt konnte das beschauliche Städtchen in Niedersachsen nicht werden. Ihr Mann Hans-Luidger Dienel ist Professor an der Technischen Universität Berlin, das Haus der Dienels steht in Berlin-Steglitz. Also ist Christiane Dienel eine Berufspendlerin, die ihre Familie in der Regel nur am Wochenende sieht.
Verlässt Dienel die HAWK?
Der Wunsch, diesem Zustand ein Ende zu machen, ist nur zu verständlich. Und wirklich, am 12. November 2015 stellt die Hildesheimer Allgemeine Zeitung die Frage: „Verlässt Dienel die HAWK?“ Weiter heißt es dort: „Die amtierende HAWK-Präsidentin Christiane Dienel hat sich darum beworben, im nächsten Jahr Präsidentin der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) in Berlin zu werden.“
Aus dem Wechsel an die Spree wird zwar nichts, den Posten bekommt ein Mitbewerber. Aber die Bewerbung und die Beantwortung von Presseanfragen beanspruchen Christiane Dienel just zu dem Zeitpunkt, wo sie ihre ganze Aufmerksamkeit der HAWK hätte widmen sollen: am Beginn der Köhler-Affäre.
Offenkundig fehlten ihr von allem Anfang an die Zeit und das Interesse, ihre Briefe und E-Mails gründlich samt Anhang zu lesen. Wie sie selbst inzwischen eingeräumt hat, entging ihr bereits am 7. Juni 2011 eine E-Mail mit angehängtem Brief der „Akademiker für Frieden im Nahen Osten“ an Dekanin Christa Paulini, die in Kopie auch an Dienel gegangen war.
Das Schreiben weist auf „völlig einseitige, weltverschwörerische, antisemitische und antiamerikanische Stellungnahmen“ im Köhler-Seminar hin – aber Dienel hat es nicht gelesen. Stattdessen findet sie Zeit, sich kurz darauf mit ihrem damals vierjährigen Sohn vor die Kamera eines Reporters der Hildesheimer Allgemeinen Zeitung zu setzen. Für Werbung in eigener Sache.
Jüdische Namen für die Kinder
Wie glaubwürdig ist der Vorwurf der Kritikunfähigkeit und Rechthaberei? Diesen Punkt vermag vielleicht ein Blick auf ihren Umgang mit sachlichen Fragen im Rahmen meiner Recherche zu erhellen. Gegenüber einem Journalisten hatte Dienel für sich selbst jeden Anschein des Antisemitismus kategorisch ausgeschlossen, da sie ihren Kindern „jüdische Namen“ gegeben habe. Mit Datum vom 23. August 2016 fragte ich an, in welcher Beziehung diese Namensgebung zur sachlichen Kritik am Köhler-Seminar stehe.
Dienels Antwort darauf ist geradezu beispielhaft: Zunächst schiebt sie den Schwarzen Peter weiter: „Der Verweis bezüglich der Namen meiner Kinder war in einer Weise aus dem Zusammenhang gerissen, dass die Lesart gravierend sinnentstellend wurde.“ Die Chance, diesen Zusammenhang, nach dem ich gefragt hatte, nun wieder herzustellen und die angebliche Sinnentstellung zu korrigieren, nutzt sie freilich nicht.
Vielmehr geht Christiane Dienel direkt zum Angriff über: „Ich möchte und werde mich zu diesem sehr persönlichen Thema nicht mehr äußern und verbitte mir jede Einbeziehung meiner Familie und meines Privatlebens in diese Angelegenheit.“ Als ob nicht sie selbst diese „Einbeziehung“ betrieben hätte. Und das nicht zum ersten Mal.
Mutter und Sohn
Wie oben erwähnt, erschien bereits am 11. Juli 2011 in der Hildesheimer Allgemeinen Zeitung (HAZ) ein Artikel mit der Überschrift: „Hochschulpräsidentin fühlt sich wohl.“ Darunter prangte ein großes Farbfoto. Es zeigt eine lächelnde Christiane Dienel mit ihrem Sohn, dem, wie die Bildunterschrift verrät, „vierjährigen Raban Dienel.“ Wer bezieht hier die eigene Familie ins Berufliche ein?
Woher ich das mit dem Artikel von 2011 weiß? Ganz einfach, von Christiane Dienel selbst. Die stellt ihn nämlich bis auf den heutigen Tag als Titelfoto auf ihrer Facebook-Seite öffentlich aus. Was übrigens die angeblich „jüdischen Namen“ ihrer Kinder betrifft: Fragen danach beantwortet Dienel nicht. Raban jedenfalls leitet sich nicht vom hebräischen Wort Rabbiner ab, sondern vom althochdeutschen Hraban. Das bedeutet schlicht Rabe und nimmt auf das Haustier des germanischen Göttervaters Wodan bezug. Dumm gelaufen.
Gibt es jüdischen Antisemitismus?
Wäre die Sache besser, wenn der Junge Moses oder Aaron hieße? Und wäre mit solcher Namenswahl bewiesen, dass Frau Dienel über jede Form des Antisemitismus erhaben ist? Oder ist der Vorwurf des Antisemitismus, der gegen das Köhler-Seminar erhoben wurde, damit ausgeräumt, dass in der Literaturliste auch jüdische Autoren vorkommen, weil es einen jüdischen Antisemitismus nicht geben kann? Keineswegs.
Diese Frage hätte übrigens auch Ex-Dekanin Christa Paulini beantworten können. Die hatte ihre Antrittsvorlesung als Professorin der HAWK am 20. April 2005 unter den schönen Titel gestellt: „Nichts ist praktischer als eine gute Theorie,“ – eine Übersetzung des Satzes: „There is nothing so practical as a good theory,“ von Kurt Lewin.
Gehen wir davon aus, Paulini habe vom Begründer der modernen Sozialpsychologie mehr gelesen als diesen einen Satz, dann dürfen wir vermuten, dass ihr auch Lewins Auseinandersetzung mit dem Phänomen des jüdischen Selbsthasses bekannt ist (Kurt Lewin, „Self-hatred among Jews“, 1941). Lewin macht überzeugend deutlich, dass der Hass auf die eigene gesellschaftliche Gruppe keine Seltenheit darstellt, besonders wenn die Zugehörigkeit mit der persönlichen Erfahrung der Ausgrenzung einhergeht.
Klar gibt es den!
Gibt es jüdischen Antisemitismus? Klar gibt es den, wie es Schwulenhass von homosexuellen Männern gibt oder die Ablehnung von Ausländern durch gerade erst naturalisierte Inländer. Die Literaturliste der Ibtissam Köhler enthält einige der bekanntesten Beispiele für jüdischen Antisemitismus.
Und was ist mit Christiane Dienel selbst? Ist sie, dank der Namensgebung ihrer Kinder, gefeit gegen antisemitische Stereotype? Natürlich nicht, denn das ist niemand. Und wenn es dazu eines Beweises bedürfte, so sind es ihre Äußerungen von der angeblichen „Hass-Kampagne“ und den „ziemlich einflussreichen Kreisen“.
Kampagnen gehen definitorisch immer von Gruppen aus. Welches aber wäre die im Hass gegen die HAWK vereinte Gruppe, von der Dienel spricht? Und welches sind die nach Dienels Ansicht ziemlich einflussreichen Kreise, die den Vorwurf des Antisemitismus erhoben haben?
Der schlimmste Vorwurf
Ihren brüsken Umgang mit den Kritikern in Sachen Köhler-Seminar begründet Christiane Dienel am 15. September 2016 während einer Podiumsveranstaltung in Hannover mit der Behauptung, in Deutschland gebe es keinen schlimmeren und rufschädigenderen Vorwurf als den des Antisemitismus. Dagegen habe sie ihre Hochschule in Schutz nehmen müssen.
Zunächst darf Dienels Grundannahme bezweifelt werden; man frage nur Herrn Kachelmann. Dessen Ruf wurde trotz richterlich bestätigter Unschuld durch den Vorwurf der Vergewaltigung nachhaltig geschädigt, während der Historiker Ernst Nolte ungeachtet massiver Antisemitismus-Vorwürfe seine Professur an der FU Berlin bis zur Emeritierung hatte behalten dürfen und nach seinem Tod mit freundlichen Nachrufen bedacht wurde.
Vor allem aber: Was bedeutet es denn, wenn man die These Dienels, der Vorwurf des Antisemitismus sei in Deutschland der rufschädigendste, in einfaches Deutsch übersetzt? Dann heißt sie: Leg dich bloß nicht mit den Juden an. Warum nicht? Etwa, weil einen dann „ziemlich einflussreiche Kreise“ mit einer „Hass-Kampagne“ überziehen?
Nein, in seinem Kern macht Dienels Satz nur eines deutlich: Kein Mensch, der in einer Gesellschaft aufgewachsen ist, in der Antisemitismus zum kulturellen Beipack gehört, ist gegen antisemitische Klischees gefeit. Ganz gleich, zu wem er betet oder wie er seine Kinder nennt.
Berufung verschoben
Inzwischen ist Christiane Dienel in die Rolle der Aufklärerin geschlüpft. Nicht, weil sie begriffen hätte, dass es dafür höchste Zeit ist, sondern weil ihr selbst das Wasser bis zum Hals steht. Ihre erneute Berufung zur Präsidentin der HAWK, die eigentlich im Oktober anstand, wurde vom niedersächsischen Wissenschaftsministerium auf die Zeit nach dem 15. November verschoben. Dann soll das Gutachten des Berliner Zentrums für Antisemitismusforschung über das Köhler-Seminar vorliegen.
Um Tatkraft und Entschlossenheit unter Beweis zu stellen, entlässt Dienel zunächst den Lehrbauftragten Rabih El-Dick. Ihn hatte Dekanin Paulini damit beauftragt, an Rebecca Seidlers Stelle die ergänzende Lehrveranstaltung zum Köhler-Seminar zu halten. Eine exzellente Wahl: Antisemitische und antiisraelische Postings der primitivsten Sorte, die sich auf El-Dicks Facebook-Seite fanden, waren die perfekte Ergänzung zu Ibtissam Köhlers Literaturliste.
Als nächsten Schritt beruft Dienel für den 28. September den Fakultätsrat der Fakultät Soziale Arbeit und Gesundheit zu einer Sitzung ein, an deren Ende der zu erwartende „Rücktritt“ Christa Paulinis als Dekanin steht. In der am nächsten Tag verbreiteten Pressemitteilung erklärt Dienel diesen Rücktritt mit markigen Worten:
Rücktritt unvermeidbar
„Der Rücktritt von Frau Paulini war richtig und unvermeidbar, angesichts des unverantwortlich nachlässigen Umgangs mit der dringend gebotenen Aufarbeitung der Umstände, unter denen das Seminar von Frau Köhler angeboten und durchgeführt wurde. […] Aufgabe und Pflicht der Fakultätsleitung [sind es], die aufgekommenen Fragen und die öffentliche Debatte ernst zu nehmen und alles dafür zu tun, dass Aufklärung erfolgen kann, eventuelle Fehler und Versäumnisse korrigiert werden können und weiterer Schaden von der Hochschule abgewendet wird.“
Fragen ernstnehmen, Fehler korrigieren, aufklären und weiteren Schaden abwenden – ganz recht. Man mag sich vorstellen, dass Gabriele Heinen-Kljajić, die Wissenschaftsministerin des Landes Niedersachsen, Dienels Erklärung auf ihrem Computer abgespeichert hat. Als Formulierungshilfe für den Tag, an dem das Gutachten des Zentrums für Antisemitismusforschung vorliegen und die nähere Zukunft der amtierenden HAWK-Präsidentin sich entscheiden wird.
PS: Im Laufe der Auseinandersetzung um die "Hassfabrik" HAWK hatte Präsidentin Dienel eine E-Mail-Korrespondenz mit dem Betreiber einer antisemitisch-antizionistischen Seite, der sich mit ihr solidarisiert hatte. Auf die Anfrage, ob ihr niemals der Gedanke gekommen sei, dass es sich um einen Antisemiten handeln könnte und ob sie etwas gegen die Veröffentlichung dieser Korrespondenz hätte, antwortete Christiane Dienel folgendermaßen:
Das in die Antisemitismuskritik geratene Seminar ist gestoppt und wir warten das Gutachten des Zentrums für Antisemitismusforschung darüber ab. Sollte das Seminar als antisemitisch eingestuft werden, akzeptieren wir dies selbstverständlich. Schon jetzt entwickeln wir Instrumente für ein Frühwarnsystem. Ansonsten werde ich mich nicht zu externen Akteuren in dieser Debatte äußern. Der von Ihnen genannte E-Mail-Verkehr ist nicht öffentlich und infolge dessen autorisiere ich eine Veröffentlichung auch nicht.