Henryk M. Broder / 26.01.2016 / 19:20 / 17 / Seite ausdrucken

Die Hamas ist “fast” antisemitisch. Und beim Deutschlandfunk arbeiten fast nur Deppen

 Am 25. Januar 2016 sendete der Deutschlandfunk den Bericht “Zehn Jahre Hamas in Palästina” von Peter Philipp. Der Bericht wird auf der Internetseite des Deutschlandfunks mit diesen Worten angekündigt:

Am 25. Januar 2006 gewann die islamistische Hamas die Wahlen in Palästina. Die Bewegung ist Sprössling der konservativ-religiösen Muslimbrüder. Sie vertritt eine fast antisemitische Ideologie und entwickelte sich schnell zum gefährlichsten Gegner Israels. Seit Beginn ihrer Herrschaft verstärkten sich die Raketenangriffe aus dem Gazastreifen auf israelische Orte – und Israel schlug immer härter zurück.

Die Hamas ist also fast antisemitisch. Aber nicht wirklich! Hier geht es weiter.

Dem Shitstorm, der daraufhin über den Deutschlandfunk niederging, begegnete die Redaktion mit dieser Klarstellung:

 Liebe Hörer, die Formulierung "fast antisemitisch" hat zu Protesten geführt, die wir verstehen können. In der geläufigen Verwendung des Wortes "antisemitisch" im deutschen Sprachraum wird darunter "judenfeindlich" verstanden. Dies entspricht aber nicht der ursprünglichen Bedeutung. Die Araber sind nämlich selbst Semiten, daher können sie schwerlich antisemitisch sein. Das gilt auch für die Hamas. Wie sehr viele Araber sprechen aber auch die Hamas-Anhänger meist nicht von "den Israelis", sondern von "den Juden" (Al Yehud), denn es waren ja Juden, die als Zionisten nach Palästina kamen, dort siedelten und einen Staat gründeten. Dadurch wird die arabische Ablehnung und Feindseligkeit gegenüber den Israelis sprachlich "fast" identisch mit dem Antisemitismus der Nazis. Aber eben nur "fast". Wir bedauern, dass das zu Missverständnissen geführt hat.

Ja, ihr Knalltüten beim DLF, so kann man aus einem Furz einen Fackelzug machen oder, wie man in Wien sagen würde, eine Sache verschlimmbessern. Deswegen wurde nachgelegt und die Klarstellung klargestellt:

Bei dem Wort "fast" bei "fast antisemitische Ideologie" war unser Autor auf einer wissenschaftlich-etymologischen Ebene, die Anlass zu Missverständnissen gegeben hat. Wir möchten daher klarstellen, dass auch der Deutschlandfunk keinen Zweifel daran hat, dass die Ideologie der Hamas gegen Juden gerichtet ist und insofern auch eindeutig antisemitisch ist.

Möglicherweise war der Autor nicht nur auf einer wissenschaftlich-etymologischen Ebene, was in Köln etwa so viel bedeutet wie in den USA "driving under the influence", es kann sein, dass er wirklich gemeint hat, ein Semit könnte kein Anti-Semit sein, weswegen beim DLF gelegentlich auch bekloppte Semiten zu Wort kommen, die sich antisemitisch äußern. Denkt man diese Argumentation konsequent zu Ende, waren auch die Nazis keine echten, sondern nur "fast" Antisemiten. Denn sie hassten nicht alle Semiten, sondern nur die Juden. Mit den Arabern, die ja auch Semiten sind, kamen sie prima zurecht.

An sich wäre jetzt eine Klarstellung der Klarstellung der Klarstellung fällig. Aber um diese Zeit arbeitet in Köln kein Schwein. Die sitzen alle bei Päffgen oder bei Früh und tauschen dort wissenschaftlich-etymologische Erkenntnisse aus. 

Siehe auch: Der Deutschlandfunk ist fast zurechnungsfähig

 

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Eugen Karl / 27.01.2016

Es stimmt, daß die Nazis mit den Arabern, “die ja auch Semiten waren” “prima zurecht” kamen; dennoch galten diese nach der von den Nazis vertretenen Rassenideologie als minderwertig, weil sie Semiten waren. (Die Nazis führten auch Krieg gegen England, obwohl die Engländer nach ihrer Auffassung germanische Arier waren.) Es ist wissenschaftlich schon richtig, daß Antisemitismus sich der Sache nach rassistisch gegen alle semitischen Völker richtet und daß es schräg anmutet, wenn man damit nur das jüdische zu meinen vorgibt. Diese Verwendung des Terminus erklärt sich ausschließlich aus der deutschen Geschichte, nicht von der Sache her. Allerdings dürfte dieses Argument von Deutschlandfunk nachgeschoben sein und nichts mit dem ürsprünglichen Gebrauch der Formulierung zu tun haben. Denn wenn die Hamas aufgrund ihrer eigenen Volkszugehörigkeit nicht antisemitisch sein könnte, dann könnte sie es auch nicht fast sein.

marion weisser / 27.01.2016

Ach Herr Wohlgemuth, vielleicht sollten Sie einen 2. Versuch starten: Gehirn einschalten, noch einmal lesen, die kleinen grauen Zellen das Gelesene verarbeiten lassen (auch wenn es nicht in Ihr Weltbild passt) und dann erst die Tastatur betätigen. Wäre doch eine Variante!

Heinz Gerhard / 27.01.2016

Vielen Dank für den guten Artikel. Hier eröffnet sich eine hervorragende Möglichkeit der Argumentation: Diktator X im Lande Y ist nicht inhuman. Das kann er gar nicht sein, schließlich ist er selber ein Mensch. Rechnet man einmal nach, beträgt der Anteil seiner Feinde an der gesamten Weltbevölkerung weniger als 0,05%. Er ist also allerhöchstens fast ein ganz kleines bisschen inhuman.

Rudolf Gottfried / 27.01.2016

@Gerhard Wohlgemuth „Man kann es mit intellektuellen Klimmzügen auch etwas übertreiben.“ Hätten sie sich das doch nur selbst zu Herzen genommen, dann wäre uns allen ihr peinlich-ahnungsloses Geschwätz erspart geblieben.

Rebecca Kasimier / 26.01.2016

Der Deutschlandfunk ist doch, ich habe es immer schon geahnt, ein echtes Bildungsmedium. Da sitzt nun der wackere Herr Philipp und unterzieht, bevor er, wie gewohnt und sendernotorisch, israelkritisch zu Werke geht, sein sprachliches Material einer peniblen “wissenschaftlich-etymologischen” Feinprüfung. Das ist so epistemisch superwissenschaftlich philologisch, dass man es in seiner hochgetriebenen Elaboriertheit nur noch pleonastisch fassen kann. Leider wird ihm auf dieser “Ebene”, im DLF-Idiom: niveauvollen Ebene, schnell die Luft knapp. Sonst wäre ihm aufgefallen, dass ihm der unbedachte Gebrauch des Adverbs “fast” alles das kaputt schlägt, was ihm sein Sender als Entschuldigung zusammenfaselt. Wenn er es denn wirklich so dolle mit der Etymologie hätte, wie es ihm der DLF in die Pustebäckchen schiebt, wüsste er, dass “fast” (ahd. “fasto”, mhd. “vast”) auf die Wurzel “fest” zurückgeht und zu den graduierenden Adverbien gehört. Es bezeichnet ein Ausmaß oder eine Stärke. “Fast antisemitisch” bedeutet demnach “beinahe” oder “ziemlich” antisemitisch. Wäre Philipp in der Lage zu schreiben, was er nachträglich gemeint haben will oder soll, hätte er es mit “teilweise antisemitisch” versuchen können. Diese albern verdruckste Formulierung würde seinen hohen “wissenschaftlich-etymologischen” Ansprüchen genügen und zugleich klarmachen, dass hier ein sprachlicher Eiertanz aufgeführt wird, um die schlichte und bittere und blutige Wahrheit zu vernebeln: Die Hamas ist getrieben von Judenhass. Aber so einfache gerade Wahrheiten sind Herrn Philipp auf seinem Gang durch die ihm erreichbaren Ebenen entschieden zu hoch.

Gerhard Wohlgemuth / 26.01.2016

Wer gegen Israel eine Art Krieg führt, der muss also antisemitisch sein? Das verstehe ich nicht. Hier wird doch kein Glaubenskrieg geführt. Wenn umgekehrt, Israel besetzte Gebiete, die den Palästinsern zuerkannt wurden, widerrechtlich bebaut, ist dann Israel “antimuslimisch”? Also, Herr Broder, was nun? Man kann es mit intellektuellen Klimmzügen auch etwas übertreiben. Gleichwohl haben Sie insoweit Recht, wenn Sie das Wörtchen “fast” in diesem Zusammenhang kritisieren. Entweder ist man Antisemitit, oder nicht. Sie aber, Herr Broder, unterstellen, Kampf gegen den israelischen Staat sei dem Grunde nach antisemitisch. Was waren dann Kriege zwischen den Völkern, seit es Kriege gab? Alles Religionskriege? Wohl eher nicht.

Michael Riepen / 26.01.2016

Ähnlich feinsinnig wie dieses mildernde “fast” ist ja, damit korrespondierend, das mild verschärfende “verstärkt” bzgl. der Reaktionen der Israelis auf die Raketenbeschüsse. Dieses verschleiterte Manipulieren hinterm Komma kennt man seit Jahrzehnten sogar von der dpa. Steter Tropfen höhlt den Stein.

Martin Schott / 26.01.2016

Dass die Unzulänglichkeiten, die der Begriff Antisemitismus auf der “wissenschaftlich-etymologischen Ebene” aufzuweisen hat, auf seine Schöpfer selbst zurück geht, scheint Peter Philipp unbekannt zu sein. Diese suchten im Europa des 19. Jahrhunderts nach einem Begriff für ihr judenfeindliches Tun und prägten das Wort Antisemitismus schließlich selbst. Sich selbst bezeichneten diese Kreise als Antisemiten. Die erste Richtigstellung des DLF ist somit falsch, Antisemitismus bezeichnet “ursprünglich” genau die Feindschaft gegenüber den Juden. Der pseudologische Taschenspielertrick, wonach Araber keine Antisemiten sein könnten, da sie selbst Semiten sind, dient häufig der Verschleierung des antijüdischen Ressentiments in der arabisch-islamischen Welt.

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