Gastautor / 13.07.2012 / 19:14 / 0 / Seite ausdrucken

Die GEW schafft den Linksextremismus ab

Oliver Grote

Auf der Homepage der GEW (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft) stellte der Soziologe Maximilian Fuhrmann unlängst die Frage, was Linksextremismus eigentlich sei. Wer nun eine Studie zu verschiedenen linksextremen Strömungen, eine gesellschaftliche Verortung oder eine sonstige sozialwissenschaftliche Untersuchung des Phänomens erwartet, wird verblüfft sein, denn es geht dem Autor um etwas gänzlich anderes: Er möchte zeigen, dass Linksextremismus gar nicht existiert! Weil Fuhrmanns Text ein Paradebeispiel für die verbreitete Unsitte ist, die Grenzen zwischen politischer und wissenschaftlicher Sphäre zu verwischen, möchte ich ihn nicht unkommentiert lassen.

Den Hintergrund des Berichts bildet eine Initiative des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend mit dem Namen „Initiative Demokratie stärken“. Im Zuge dieser Kampagne wurde eine Lehrerhandreichung erarbeitet, die sich mit dem Phänomen des Linksextremismus und seinen Gefahren für die Demokratie befasst. Für Fuhrmann ist das reine Geldverschwendung. Nun ist sicherlich nichts dagegen einzuwenden, Ausgaben von Bundesministerien kritisch zu hinterfragen oder Lehrerhandreichungen zu überprüfen. In diesem Falle sind die Einwände gegen die Initiative aber von derart grundsätzlicher Natur, dass schnell das eigentliche Ziel des Autors deutlich wird: Fuhrmann geht es nicht um eine Kritik daran, auf welche Art und Weise die Initiative gegen Linksextremismus durchgeführt wurde, sondern um die Leugnung des Phänomens an sich. Hierauf deutet bereits die Schreibweise des Autors hin: Während ‚Rechtsextremismus‘ bei ihm ohne gesonderte Kennzeichnung auskommt, wird ‚Linksextremismus‘ stets in doppelten Anführungszeichen geführt. Allein hierdurch suggeriert Fuhrmann, dass es das Phänomen gar nicht gebe, also nur ein Konstrukt sei und dementsprechend auch nicht im Unterricht thematisiert werden dürfe.

Fuhrmann schreibt: „Politiker und Behörden, die bei jeder Gelegenheit Rechts- und ‚Linksextremismus‘ in einem Atemzug nennen, begründen dies häufig damit, dass beide Spektren den Kern der Verfassung, die ‚freiheitlich demokratische Grundordnung‘ (fdGo), ablehnten. Diese Sichtweise reduziert die politische Landschaft der Bundesrepublik auf das Bild, die demokratische Mitte sei von ‚feindlichen extremistischen‘ Rändern umgeben.“ Dies sei jedoch falsch: Laut einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung wünschen sich 13,2 % der Bundesbürger einen Führer, der „mit starker Hand regiert“; 35,6 % befürchten eine Überfremdung der Gesellschaft durch Ausländer. Nur wenige dieser Bürger lehnten aber die freiheitliche demokratische Grundordnung ab, behauptet Fuhrmann nun – freilich ohne hierfür einen Beleg zu haben.

Gleichwohl er es nicht explizit ausspricht, will er hiermit anscheinend Folgendes sagen: Das Bekenntnis zur Demokratie allein wäscht niemanden von dem Verdacht rein, extremistische Positionen zu vertreten – soweit sicherlich richtig. Doch seiner weiterführenden Schlussfolgerung ist nicht so einfach zuzustimmen: Das Phänomen ‚Extremismus‘ habe nichts mit der Ablehnung der Demokratie zu tun, sondern sei allein durch „Rassismus, Antisemitismus und andere menschenverachtende Einstellungen“ gekennzeichnet. Aus diesem Grund kann es für Fuhrmann gar keinen Linksextremismus geben, da eine linksgerichtete Haltung diese Ausprägungen des Extremismus von vornherein ausschließe.

Sofort fällt auf: Selbst nach der Fuhrmannschen Auslegung des Phänomens ‚Extremismus‘ zählt ein Teil der Linken per definitionem zum extremistischen Spektrum, denn linker Antisemitismus ist weit verbreitet – diese Tatsache unterschlägt Fuhrmann einfach. Darüber hinaus halte ich es für sehr problematisch, solche politischen Strömungen als nicht-extremistisch aufzufassen, die auf die Abschaffung der demokratischen Grundordnung zielen. Gewiss, Rassismus ist ein möglicher Aspekt des Extremismus, aber nicht notwendige Voraussetzung. Generell sind solche Handlungen als extremistisch aufzufassen, die sich gegen die demokratische Grundordnung richten – egal, ob sie aus antikapitalistischem, antisemitischem, rassistischem oder einem ganz anderen Antrieb heraus erfolgen.

Fuhrmann begeht den Fehler, ganz bestimmte Phänomene wie Rassismus und Antisemitismus auf eine Stufe mit der grundsätzlichen Ablehnung der demokratischen und freiheitlichen Grundordnung zu stellen. Richtig ist vielmehr, dass diese Ordnung auf einer anderen Ebene angesiedelt ist: Ihre Aufgabe ist es zum einen, Verstöße gegen die Menschenrechte zu verhindern, also zum Beispiel Rassismus, Sexismus, Antisemitismus; zum anderen soll sie die politischen Rechte der Bürger gewährleisten. Das bedeutet: Alle Rassisten verstoßen gegen die Grundordnung, aber nicht alle, die gegen die Grundordnung verstoßen, sind Rassisten – wohl aber Extremisten. Beiläufig sei bemerkt, wie sehr Fuhrmanns Argumentation dem Einwand derjenigen ähnelt, die behaupten, es könne keinen linken Antisemitismus geben. Die Leugner des linken Judenhasses erklären die Ablehnung des Rassismus und damit auch des Antisemitismus (wobei allein diese Gleichsetzung schon unzulässig ist) zum Strukturmerkmal linker Ideologie. Analog hierzu bezeichnet Fuhrmann den Rassismus als Strukturmerkmal des Extremismus, womit wiederum linkes Gedankengut von vornherein vom Verdacht des Extremismus freigesprochen werden soll. Beides sind apodiktisch aufgestellte Prämissen, die mit der Realität nichts gemein haben.

Überhaupt ist fehlender Realitätsbezug das Hauptproblem des Textes. Fuhrmann bemängelt etwa, dass es Behörden wie dem Verfassungsschutz, „die als Teil der Exekutive selbst nicht frei von politischen Interessenslagen sind, überlassen [wird], eine Grenze zwischen legitimer Kritik und Demokratiefeindlichkeit zu ziehen.“ Die Aufgabe des Verfassungsschutzes ist es nun aber, Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zu unterbinden – freilich unter parlamentarischer Kontrolle. Fuhrmann hingegen scheint allen Ernstes zu glauben, dies falle in den Zuständigkeitsbereich von Soziologen. An einer anderen Stelle behauptet Fuhrmann: „Der ‚Linksextremismus‘ ist […] nur durch das schwammige Extremismusmodell definiert. Eine genauere Analyse der Phänomene, die als ‚linksextrem‘ gewertet werden, findet selten statt.“ Es soll also keine Initiative gegen Linksextremismus geben, weil es keine diesbezügliche Theorie gibt!

Wenn man diesen Gedanken weiterspinnt, war die RAF in Ermangelung einer Theorie zum Linksextremismus gar keine linksextremistische Terrororganisation. Und dieser Logik zufolge ist es daher auch nicht nötig, im Unterricht vor Linksextremismus zu warnen. Mir wäre allerdings wohler zumute, wenn sich Unterrichtsinhalte an der Realität orientierten. Genauso, wie die RAF selbst ihren Terror auf linke Theorien gründete, gibt es auch heute extremistische Bestrebungen, die erklärtermaßen aus einer linken Position heraus die Demokratie ablehnen – warum nimmt man die politische Selbstverortung dieser Gruppen nicht einfach ernst? Um Missverständnisse zu vermeiden: Keineswegs möchte ich sagen, dass wissenschaftliche Forschung über politische Ideologien unnötig wäre oder keinen Nutzen hätte – Aufgaben der Exekutive darf sie jedoch in keinem Fall übernehmen.

Um seine Dekonstruktion des Linksextremismus zu vollenden, versucht Fuhrmann Gewalttaten zu entpolitisieren, die gemeinhin als linkspolitisch motiviert gelten. Sein Beispiel sind die Berliner Ausschreitungen vom 1. Mai 2009: 87,5 % der festgesetzten Täter äußerten „erlebnisorientierte (Neugier, Spaß etc.)“, nicht aber politische Motive. Ob diese Aussagen der Täter valide sind, sei dahingestellt. Der Anlass der Ausschreitungen war jedenfalls die „Revolutionäre 1. Mai-Demonstration”. Die heftigste Gewalt – vor allem gegen die Polizei gerichtet – kam aus einem Block von Demonstranten, die ein Banner mit der Aufschrift „Kapitalismus ist Krieg und Krise“ trugen. Der linke Hintergrund ist nur schwer zu übersehen. Natürlich mag es zutreffen, dass viele Gewalttäter nicht im eigentlichen Sinn politisch motiviert sind, sondern von der identitäts- und sinnstiftenden Wirkung der Bewegung angezogen werden. (Das gleiche trifft natürlich auch auf rechtsextreme Gewalttaten zu; seltsamerweise spricht Fuhrmann Delikten aus diesem Lager den politischen Charakter nicht ab.) Aber besteht nicht gerade an dieser Stelle die Gefahr? Bewirkt nicht gerade diese Eigenart der Ideologie ihre Attraktivität, vor allem für Jugendliche? Erscheint die Initiative des Familienministeriums, Linksextremismus in der Schule zu thematisieren, nicht gerade hierdurch grundsätzlich berechtigt?

Zu konstatieren bleibt in jedem Fall die Gewalt und ihr Ausgangspunkt: die extrem linke Ideologie. Ob diese nun politische oder „erlebnisorientierte“ Bedürfnisse der Täter befriedigt, ist für die Gewalt als Resultat zunächst unerheblich. Nach Gründen für extremistische Bestrebungen zu fragen oder Strukturmerkmale zu suchen, ist sicherlich sinnvoll und Aufgabe der Sozialwissenschaften. Extremismus zu bekämpfen und Angriffe gegen die Grundordnung zu sanktionieren, ist jedoch eine andere, genuin politische Aufgabe und hat mit Forschung nur mittelbar zu tun. Der Sozialwissenschaftler Fuhrmann verwischt die Grenzen der politischen und der wissenschaftlichen Ebene, indem er versucht, wissenschaftliche Theoriebildung zur alleinigen Grundlage verfassungsrechtlicher und politischer Handlungen zu erheben.

Am Ende bleibt die Frage, warum Fuhrmann sich überhaupt auf solch dünnes Eis begibt. Zu vermuten ist: Er will linke Ansichten von dem Verdacht befreien, Ausgangspunkt für kriminelle und verfassungswidrige Handlungen zu sein – angesichts der Geschichte der BRD ein zweifelhaftes Unterfangen. Falls er nur davor warnen wollte, linke Positionen grundsätzlich zu kriminalisieren, ist seine Generalkritik jedenfalls zu harsch ausgefallen. Möglicherweise möchte Fuhrmann aber auch einfach die Lehrerinnen und Lehrer vor einer lästigen neuen Aufgabe bewahren. Instruktiv für dieses Bestreben ist sein einleitender Absatz: „Kolleginnen und Kollegen müssen sich dafür rechtfertigen, dass sie sich gegen Rechts engagieren und erklären, warum sie nicht auch Projekte gegen ‚Linksextremismus‘ machen.“ Dieser Vorwurf ist absurd: Niemand möchte ernsthaft behaupten, dass Projekte gegen Rechtsextremismus falsch sind, und niemand muss sich für ein solches Engagement rechtfertigen. Angriffe auf die freiheitlich demokratische Grundordnung von der einen Seite abzuwehren, schützt jedoch leider nicht vor Angriffen von der anderen Seite.

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