Meinhof, Kunzelmann, Ströbele, Todenhöfer, Erdogan und die anderen
Die Frage, wo Israelkritik aufhört und Antisemitismus beginnt, ist in den letzten Tagen europaweit sehr anschaulich beantwortet worden. In vielen europäischen Metropolen gab es heftige antisemitische Ausschreitungen. Der Hass, der sich inzwischen auch wieder physisch gegen Juden entlädt, sie ins Gas wünscht oder als „angebliche Opfer“ des Holocaust verhöhnt, markiert einen Umschlagpunkt in der Geschichte des europäischen Antisemitismus.
Wenn das zivilisierte Europa je den Antisemitismus überwunden hätte (wovon nicht auszugehen ist), könnte man meinen, über die Hintertür des Zuzugs islamischer Einwanderer wäre er wieder zu uns zurückgekehrt.
Dabei scheint es keine Rolle zu spielen, wenn Moslems sich untereinander massakrieren. Weit und breit keine Demonstrationen gegen Boko Haram, ISIS oder den Schlächter von Damaskus. Aber wehe, Israel beginnt sich gegen die ständigen Übergriffe der Hamas zur Wehr zu setzen. Dann tobt der Mob und mit ihm ihr geheimer Anführer, der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan. „Jetzt hat der terroristische Staat Israel mit seinen Gräueltaten in Gaza Hitler übertroffen“, tönt es vom südöstlichen Rand Europas. Männer wie er tragen an den Zuständen in Paris, Brüssel, Berlin und Wien nicht nur eine Mitschuld, die Unruhen werden von ihm und seinen fundamentalistischen Mitstreitern aktiv geschürt, wohlwissend, dass der religiöse Boden für die Rattenfänger des islamischen Antisemitismus schon lange bereitet ist.
Mit dem europäischen und dem islamischen Antisemitismus wächst zusammen, was schon lange zusammengehört. Das neue Amalgam könnte die europäischen Gesellschaften dauerhaft verändern und einen salonfähigen Antisemitismus gebären, dessen bürgerliche Mitte im Toleranzgebot dem Islam gegenüber läge.
Der Bestsellerautor, Millionär und Islamfürsprecher Jürgen Todenhöfer ist der Prototyp des orientbereisten, bourgeoisen Flaneurs, der mit seinen Islam-Sentimentalitäten jeden Kompass für freiheitliche Werte verloren hat. Seine vor Pathos triefenden Ausführungen im Fernsehen (ARD-Morgenmagazin) und im Netz (Facebook) - „die Schande von Gaza“, die „herablassende, respektlose Unterdrückung und Demütigung seiner Bevölkerung durch den Nachbarn Israel“ undsoweiter - sind nicht nur unredlich, sie sind intellektuell beschämend. Was exemplarisch an ihm wird, ist die Sehnsucht in weiten Teilen des Bürgertums nach anarchischen Gesellschaftsformen, die zivilisatorische Werte mit Füßen treten, dafür aber eine Kultur des Zusammenhalts und der tief empfundenen Traditionen pflegen.
Überhaupt sind es die Rückwärtsgewandtheiten und Rückständigkeiten, die die linksliberalen Sympathien derart absorbieren. Die heute so moderne Sehnsucht nach Selbstgeißelung und einer Kultur des Weniger kulminiert in der Bewunderung vermeintlich urwüchsiger Gesellschaften, sei es der in Tibet, im Urwald oder der im Gaza-Streifen. Demokratische Standards wie Gleichberechtigung und Schwulenrechte werden schneller über Bord geworfen, als eine Kassam Sderot erreichen kann. Es ist der „edle Wilde“, der nicht nur verdrängte sexuelle Phantasien zu stimulieren in der Lage ist, er wird auch zum Symbol für einen einfachen, aber authentischen Lebensentwurf. Von Menschen, die es als Unfreiheit empfinden, Weihnachten mit der Familie zu verbringen, wird dem Rückständigen das Aufgehobensein im Familienclan als Glück angedichtet.
So dienen barbarische Gesellschaften und ihre Despoten gerne als Projektionsfläche für das Unbehagen in der Zivilisation. Der Konflikt zwischen den Palästinensern und den Israelis erscheint neben vielem anderen als Stellvertreterkrieg zwischen einer Kultur der Wärme und einer Zivilisation der Kälte. Dass der dem Islam Verpflichtete darauf hereinfällt, ist zumindest naheliegend. Dass ein linksliberales Bürgertum einen ähnlichen Gefühlsteppich ausrollt, ist schlichtweg unemanzipiert und selbstzerstörerisch.
Dabei ist die Offenheit für den islamischen Antisemitismus bei den linksliberalen Schichten spätestens seit der Studentenbewegung historisch eingeimpft. Nach den ersten emanzipatorischen Anwandlungen kippte die Stimmung für die Juden mit der Radikalisierung der Studenten Ende der 60er Jahre. So schlug am 9. November 1969 ein Anschlag auf das jüdische Gemeindezentrum in Berlin fehl, weil die Bombe nicht explodieren wollte. Es war, wie sich herausstellte, kein Anschlag alter oder neuer Nazis, sondern einer linken Untergrundtruppe namens Tupamaros West-Berlin. Kopf, Ideengeber und geifernder Antisemit der Tupamaros war ein gewisser Dieter Kunzelmann, der als Gründer der Kommune I in der revoltierenden Szene bestens vernetzt war.
Drei Monate später ereignete sich wieder ein Mordanschlag auf Juden in Deutschland. Am 14. Februar 1970 wurde im Haus der israelitische Kultusgemeinde München Feuer gelegt. Sieben Menschen – allesamt jüdische Holocaustüberlebende – verbrannten in den Flammen. Auch hier führen die Spuren zu den Tupamaros, offiziell geklärt konnte es aber nie werden.
Der nächste Judenmord auf deutschem Boden fand dann 1972 bei den olympischen Spielen in München statt. Diesmal waren es palästinensische Terroristen, die die Mitglieder der israelischen Olympiamannschaft als Geiseln nahmen. Alle Sportler wurden beim Befreiungsversuch erschossen. Auch hier hatten den antisemitischen Verbrechern deutsche Sympathisanten aus dem linken Lager mit Waffen und Logistik geholfen.
Und was befand die Linken-Ikone Ulrike Meinhof, die zu dieser Zeit bereits im Gefängnis saß, über das Verbrechen in München? „Israel vergießt Krokodilstränen. Es hat seine Sportler verheizt wie die Nazis die Juden - Brennmaterial für die imperialistische Ausrottungspolitik.“ Und nachdem sie Mosche Dajan mit Heinrich Himmler verglichen hatte, heißt es weiter: „Die Aktion des Schwarzen September in München wird aus dem Gedächtnis des antiimperialistischen Kampfes nicht mehr zu verdrängen sein.“
Der blinde Fleck, an dem die emanzipatorische Studentenbewegung in ihr manchmal offenes, manchmal unterschwelliges antisemitisches Gegenteil umgeschlagen war, liegt im Sechs-Tage-Krieg 1967 begründet, als Israel die alle militärischen Kräfte zusammenziehenden arabischen Nachbarstaaten präventiv angriff und innerhalb von sechs Tagen vernichtend schlug. Das überstieg das Weltbild der Linken von den Juden als Opfer und mündete als Projektion der Enttäuschung in einen tiefen Hass dem Staat Israel gegenüber. Auf einmal war Israel der imperialistische Brückenkopf der verhassten Amerikaner und Palästina mutierte zum Sinnbild für das geschundene Vietnam, zu dessen unbedingter Solidarität jeder Linke aufgerufen war. Die „unbedingte Solidarität“ mit den Palästinensern war gleichzusetzen mit, wie es Dieter Kunzelmann formulierte, der Überwindung des „Judenknax“.
Am judengeknaxten Dieter Kunzelmann sieht man, dass Antisemitismus, solange er nicht von vermeintlich rechts kommt, kein Hinderungsgrund für linke Karrieren ist. Kunzelmann saß einige Jahre später als Abgeordneter der Grün-Alternativen im Berliner Abgeordnetenhaus. Mit an seiner Seite: der Altgrüne Christian Ströbele, der noch immer mit Verve seinen Antiamerikanismus auslebt und in den letzten Monaten mit seinem Engagement für Edward Snowden aufgefallen ist. Es war eben dieser Christian Ströbele, in dessen Anwaltskanzlei Kunzelmann als Archivar tätig war und der ihm zu seiner politischen Karriere verhalf.
Dass Christian Ströbele ebenfalls seine Finger nie ganz vom linken Judenhass lassen konnte, wurde spätestens deutlich, als er während des ersten Golfkriegs, als Saddam Husseins Scud-Raketen auf Tel Aviv niederzuprasseln begannen, mit beiden Händen tief im Mustopf des Antisemitismus erwischt wurde. Sein Ausspruch, dass Saddams Angriffe „die logische, fast zwingende Konsequenz der Politik Israels“ seien, führte 1991 zumindest zu seinem Rücktritt als Sprecher der Grünen. Ganz fallen lassen konnten die Grünen diesen Überzeugungs-Antisemiten wohl nicht, bindet er doch immer noch zuverlässig das linksextremistische Kreuzberger Publikum, das sonst zur Partei der Linken überlaufen würde.
„Israel macht mit den Palästinensern, was die Nazis mit den Juden gemacht haben.“ Dieser gängigen Überzeugung im linksliberalen Juste Milieu gibt Recep Tayyip Erdoğan noch einen drauf: „Jetzt hat der terroristische Staat Israel mit seinen Gräueltaten in Gaza Hitler übertroffen“. Er weiß, von welcher Seite er mit Zustimmung rechnen darf.
Übernehmen Sie, Herr Ströbele. Da geht noch was.
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