“Je eher, desto Schäuble”, witzelten CDU-Spitzenpolitiker jahrelang, wenn über die Nachfolge Angela Merkels getuschelt wurde. Nun ist Wolfgang Schäuble ebenso betagter wie respektierter Bundestagspräsident und der Machtpolitik entschwunden. Kanzler wird er nicht mehr, denn die Merkel-Nachfolgedebatte kam nicht eher, sondern später. Nämlich jetzt. Seit dem miserablen CDU-Wahlergebnis vom September und verstärkt seit dem Scheitern der Jamaika-Sondierung diskutiert die Union lebhaft die Frage, wer Angela Merkel einmal ablösen könnte und wann.
Sollte sich Merkel noch einmal in eine Große Koalition und ihre vierte Amtszeit retten, dann sehen wichtige Unionsgrößen das Jahr 2020 als Zielmarke ihrer Amtszeit. “Wir erwarten diesmal, dass sie ihre Nachfolge klärt und zeitig übergibt”, sagt ein Präsidiumsmitglied am Rande der Koalitionsverhandlungen in Berlin. Auch im letzten Satz des Sondierungspapiers steht – auf Druck der SPD – ausdrücklich das Jahr 2020 als Zeitpunkt einer großen Remedur, an dem alles noch einmal auf den Prüfstand kommen müsse. Merkel dürfte sich dieser erzwungenen Inspektion nicht unterziehen, sondern das Heft des Handelns in der Hand behalten wollen.
Damit wird die Kabinettsliste der CDU zugleich ein Fingerzeig für die Kanzlertauglichkeit 2020. Jens Spahn dürfte dabei leer ausgehen. Aus dem Umfeld der Kanzlerin ist zu hören, dass der unbequeme Merkel-Kritiker kein Ministeramt erwarten dürfe – und damit auch im Nachfolgewettlauf chancenlos bliebe. Ursula von der Leyen und Thomas de Maizière gehen geschwächt in die neue Legislaturperiode. Julia Klöckner dürfte hingegen aufsteigen und nach Berlin wechseln. Sie gilt vielen als prädestinierte Landwirtschafts- und Verbraucherschutzministerin. Das Kanzleramt 2020 aber käme für sie zu früh.
Deutschlands beliebteste Ministerpräsidentin
Nicht jedoch für Annegret Kramp-Karrenbauer. Sie hat mehrjährige Regierungserfahrung und ist seit langem die Favoritin von Angela Merkel für ihre eigene Nachfolge. Doch inzwischen hat AKK, wie sie in der Union gerne genannt wird, auch breiten Rückhalt in Partei und Bevölkerung. Nach einer aktuellen Forsa-Umfrage ist sie Deutschlands beliebteste Ministerpräsidentin mit Zustimmungswerten, die sonst nur noch Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg erreicht. 72 Prozent der Saarländer sind mit der Arbeit ihrer Regierungschefin zufrieden.
Kramp-Karrenbauer hat zudem etwas, was die meisten anderen potenziellen Merkel-Nachfolger der CDU nicht haben – wichtige Wahlen gewonnen. Ihr Wahlsieg vor einem Jahr war der politische Game-Changer des Jahres 2017. Sie rettete die taumelnde Merkel-CDU vor dem freien Fall und ermöglichte die Unions-Siegesserie von Schleswig-Holstein über Nordrhein-Westfalen bis nach Berlin. Sie war es, die den Schulz-Zug, der im Saarland-Wahlkampf noch rot-rot-grün voranrauschte, zum Entgleisen brachte – und letztlich Angela Merkel die Kanzlerschaft rettete. Aus Annegret wurde “Annegreat”.
Kramp-Karrenbauer wurde darum 2017 als „Politikerin des Jahres” auf dem Signs-Award geehrt. Die Laudatio auf dem Festakt in München hielt Ilse Aigner, die ihr schon da die Unterstützung der CSU für weitere Ambitionen zusagte. Denn Kramp-Karrenbauer gelingt es, innerhalb der tief zerstrittenen Union die Lager zu einen. Der eine Flügel rühmt an ihr das Wertkonservative, Islamismuskritische, Familienbetonte der westdeutschen Katholikin. Der andere Flügel schätzt ihre europäische Überzeugung, die starke sozialpolitische Gesinnung und die Loyalität zu Merkel. Alle mögen ihre uneitle, ausgleichende Art.
Saarländisch-bodenständiger, lebensfroher Humor
In Medien wird Kramp-Karrenbauer gerne als „Wiedergängerin” oder „Zwilling” der Kanzlerin mit „der gleichen leise-weiblichen Sachlichkeit” beschrieben, als „unaufgeregte Merkel-Kopie” („Zeit”), als „Mini-Merkel” („Bild”), als „Klein-Merkel” („Focus”) oder „katholische Merkel” („Rheinische Post”). Die Analysen liegen nahe und doch sind sie knapp daneben. Schon wegen ihres saarländisch-bodenständigen, lebensfrohen Humors verkörpert Kramp-Karrenbauer eine Gegenwelt zur preußischen Merkel. Im Karneval ist sie als „Putzfrau Gretel” seit Jahren eine Starbesetzung.
Aber auch in politischen Schlüsselfragen positioniert sich Kramp-Karrenbauer ganz anders als Merkel. So in der Flüchtlingsdebatte. Sie weist offen auf Risiken der Massenzuwanderung hin, kritisiert das Kopftuch, verlangt eine obligatorische Altersprüfung bei jungen Flüchtlingen und plädiert grundsätzlich für einen härteren Umgang mit Asylbewerbern, die Behörden täuschen. Sie setzt auf eine starke Präsenz der Polizei und eine offensive Eindämmung der islamistischen Bedrohung. Das Saarland fordert Abschiebezentren und schärfere Kontrolle von illegalen Migranten. Zugleich untersagt Kramp-Karrenbauer Erdogan Wahlkampfautritte im Saarland und profiliert sich so im politischen Kampf gegen Islamismus und Despotismus.
Einige Unionisten in Berlin halten es daher für einen klugen Schachzug von Merkel, wenn Kramp-Karrenbauer im Bundeskabinett nicht das naheliegende Ressort Bildung/Forschung übernähme, sondern gleich das Innenministerium. Schließlich hatte sie von 2000 bis 2004 das Ressort im Saarland schon einmal inne – sie war damit die erste Innenministerin der deutschen Geschichte überhaupt. Erste Kanzlerin kann sie nicht mehr werden, aber die Chancen, dass sie die zweite wird, die steigen derzeit täglich.
Dieser Beitrag erschien zuerst in The European hier.