Von Erich Wiedemann
Nanu, Martin Schulz kokettiert mit den Liberalen? Ja, so stand es jedenfalls in "Spiegel online". Überschrift: "Spitzen von SPD und FDP werben für Ampelkoalition". SPD-Kanzlerkandidat Schulz und Außenminister Gabriel hätten "in den eigenen Reihen" ihre Präferenz mit Grünen und Liberalen "klar betont". Also aus für R2G, den rotrotgrünen Spuk?
Die Exklusivnachricht transportiert eine frohe Botschaft für zweifelnde SPD-Wähler: Das Schreckgespenst (wie es WDR-Fernsehdirektor Jörg Schönenborn bezeichnete) hat sich in Luft aufgelöst. Die Sozialdemokraten sind vernünftig geworden, sie haben keinen Bock mehr auf die Linken. Man kann sie jetzt wieder wählen.
Soviel ist sicher: Die Option auf ein Bündnis mit der Nachfolgepartei der SED hat den Sozialdemokraten bei der Landtagswahl im Saarland den schon sicher geglaubten Sieg verhagelt. Trotz des über der Wahl schwebenden Schulz-Hypes war der 26.März für sie ein Schlag ins Kontor.
Was tun, damit sich das Desaster nicht am 24. September auf Bundesebene wiederholt? SPD-Genosse Karl Lauterbach, der die Fraternisierung mit den Linken auf überparteilichen Zechgelagen in Berlin am weitesten trieb, ist zu der Einsicht gelangt: „Das Gerede über die Koalition mit der Linkspartei schadet uns.“ Gerede? Da ist wohl mehr. Auch immer noch bei Karl Lauterbach.
Machen statt reden
Die Redaktion von "Spiegel online" hat ihre Wahl getroffen. Sie riet der SPD: "Nicht drüber reden, vielleicht machen". Sie ließ und lässt keinen Zweifel daran, daß ihre Sympathien bei R2G liegen. Nur dass sie ihre Leser nicht redlicherweise darüber aufklärt, wie es die amerikanischen Medien taten, die gleich zu Anfang des Wahlkmpfes ein klares Bekenntnis entweder zu Clinton oder zu Trump ablegten.
Doch dann fiel „Spiegel online“ noch was Besseres ein, nämlich: Lieber doch darüber reden und schreiben, aber richtig. Also kehrt schwenkt. Gabriel und Schulz, so "Spiegel" und "Spiegel online", hätten intern klar gesagt, dass eine Dreierkoalition aus SPD, Grünen und Gelben ihr bevorzugtes Bündnis sei. Intern, was heißt das? Wann sie es wo und in wessen Gegenwart gesagt hatten, blieb offen. Eine Quelle wurde nicht genannt.
Bei seinen Beziehungen hätte das deutsche Alphablatt sicher die zwei SPD-Prinzipale, oder auch nur von einen von ihnen, zu einer Auskunft bewegen können, um die Geschichte hart zu machen. Das tat es aber offenbar nicht. Tatsächlich hatte Martin Schulz persönlich ein paar Tage vorher offen für ein rotrotes Bündnis geworben. So stand es auch im Print-Spiegel. Und dieses Credo hat Schulz nicht widerrufen.
Die einzigen, die zur angeblichen Wende in der Koalitionfrage zitiert wurden, waren die SPD-Bundestagsabgeordneten Carsten Schneider, Fraktionsvize und Sprecher des rechten Seeheimer Kreises, sowie Sören Bartol, Mitglied im "Netzwerk Berlin", das seinerzeit Gerhard Schröder zur Seite stand, als der seine Agenda 2010 gegen innerparteilichen Widerstand durchpauken mußte. Beide werden zum konservativen Parteiflügel gezählt. Da ist es kein Wunder, dass sie gegen eine Entente mit den Linken sind.
Es war auch nicht schwer, bei der FDP Befürworter der Öffnung nach links zu finden. Nämlich Wolfgang Kubicki aus Kiel und Alexander Graf Lambsdorff aus Brüssel. Sie haben seit langem einen Rochus auf Merkel und die CDU/CSU. Aber sonst sind nur wenige Liberale für einen Pakt mit Rotgrün.
Abschreiben will auch gelernt sein
Doch weil der "Spiegel" in die Kategorie der Leitmedien gezählt wird, fand die Wende-These reissenden Absatz. Sie wurde von großen Blättern unkritisch übernommen Viele schrieben einfach ab. Dabei ist eine rotgelbgrüne Koalition einstweilen schon rein rechnerisch eine Schimäre, weil sie nach den aktuellen Umfragen diverse Prozente von der erforderlichen Mehrheit trennen.
Fake News, Faktenpanscherei? Nein, es ist gar keine News. Was nicht heißt, dass es dann vielleicht doch so kommt, wie der Digger, der sie ausgrub, es nicht wollte. Ob die wahre SPD-Spitze die Story gefördert oder nur geduldet hat, bleibt offen. Immerhin erfuhren die Leser des Print-„Spiegel“, daß Exkanzler Schröder keine Allianz mit den Linken wünscht, solange dort „die Familie Lafontaine“ den Ton angibt. Online-Kunden wurde das vorenthalten, obwohl es gut zum Trend gepasst hätte. Das ist aber auch keine Überraschung. Für eingefleischte SPD-Wähler ist Gerhard Schröder ja sowieso kein richtiger Sozialdemokrat mehr.
Steht das frühere Sturmgeschütz der Demokratie, wie Rudolf Augstein es nannte, oder seine elektronische Tochter im Verdacht, sich vor den Karren einer politischen Partei spannen zu lassen? Dass hier nicht nur über Politik berichtet, sondern auch an die Politik Hand angelegt wurde? Nicht ausgeschlossen, dass der deutsche Leser so dumm ist, wie journalistische Eliten zu meinen scheinen. Aber sicher ist: Seine Verdummbarkeit hat nachgelassen.
Ein pensionierter Boulevard-Kollege hat berichtet, wie ein aufmüpfiger Redakteur einst versuchte, nachts beim Seitenumbruch eine gefälschte Autorenzeile über einer offensichtlich erfundenen Story im Blatt zu platzieren: „Ein Bericht von Felix Manipul“. Sie erschien aber nicht, weil ein Korrektor aufgepasst und sie wieder rausgefischt hat. Den Beruf des Korrektors gibt es heute nicht mehr. Deshalb müssen die Leser selbst aufpassen.