Burkhard Müller-Ullrich / 30.03.2017 / 06:00 / Foto: Janericloebe / 15 / Seite ausdrucken

Die EU, der Schaum und das Bier

Gerade jetzt, in dieser unterschwellig triebvoll aufgeladenen Frühlingszeit zwischen Karneval und Ostern, haben selbst fromme Menschen das Bier oft zum Betrug benutzt. Denn wenn es den Mönchen schwer fiel, das Fastengebot einzuhalten, dann wichen sie aufs Klosterbier aus und brauten, jedenfalls in Bayern, eine besonders starke und nahrhafte Variante: das „Märzen“. Während es hier darum ging, den lieben Gott hinters Licht zu führen, geht es manchen Kneipenwirten darum, möglichst viel Geld für möglichst wenig Bier zu kassieren. Daß die Gläser, Humpen, Seidel oder Krüge nicht richtig vollgeschenkt werden, ist eine Trinkerklage, seitdem es Bier und Wirte gibt, also mindestens seit der Zeit der Kelten.

Zum Glück kümmert sich unsere Regierung jetzt um diesen Mißstand. In Anwendung der EU-Richtlinie 2004/22, welche Vorgaben für das Meß- und Eichwesen enthält, verlangt sie, daß Gefäße, in denen schäumende Getränke serviert werden, durchsichtig sein müssen, damit der Füllstand, wenn er wegen des Schaumes nicht von oben erkennbar ist, von der Seite geprüft werden kann. Das aber bedeutet, daß solche Gefäße nur aus Glas oder aus Kunststoff bestehen dürfen und nicht etwa, wie seit dem Mittelalter üblich, aus Steinzeug.

Steinzeug eignet sich allerdings viel besser für den Biergenuß, denn „durch die isolierende Wirkung des Tons bleibt das Bier länger kühl, und aufgrund der besonderen Oberflächenstruktur, die man durch Zugabe von Salz während des Brennvorgangs erzeugt, bleibt auch die Kohlensäure länger im Getränk und das Bier damit länger frisch“. Das lehrt Wikipedia. Von solchem Grundwissen sind die Verfasser der EU-Richtlinie 2004/22 und deren deutsche Ausführungsorgane völlig unbeleckt. Deshalb bekam ein Gastwirt im bayerischen Adelsdorf jetzt eine neue Lieferung von Steinzeug-Bierkrügen mit dem Aufdruck: „Nicht für schäumende Getränke zu verwenden“.

Es verhält sich nämlich so mit dem Betrügen: die Dinge, für die unsere Regierung vor allem zuständig ist, zum Beispiel der Wert des Geldes, die öffentliche Ordnung und die Gültigkeit internationaler Verträge, verschwinden schon seit langem unter politischem Wortschaum und sind auch von der Seite nicht mehr zu erkennen. Bloß um den Bierschaum wird Bohei gemacht. Da wird gläserne Transparenz verordnet und das Trinkgefäß amtlich vorgeschrieben. An Zinnkrüge ist gar nicht mehr zu denken; es sei denn, das Trinken aus Zinnkrügen wird eines Tages als immaterielles Kulturerbe geschützt.

Bis dahin kann uns die EU mit ihren Richtlinien weiter zum Narren halten; auch und gerade am Tag des Brexit. 

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Leserpost

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Bernd leber / 30.03.2017

Wieder mal ein Beispiel für die absurde EU-Regelungswut, die sich über Traditionen hinwegsetzt. Die Steingut-Masskruege gehören nicht nur in Bayern zur Trinkkultur: sogar die Amerikaner nennen dieses Trinkgefäß “Stein” - ein Lebenswort aus dem Deutschen. Vielleicht sollten die EU-buerokraten gelegentlich über den EU-Tellerrand in die Welt blicken.

Matthias Braun / 30.03.2017

Die Veschuldung ,einiger südlicher EU-Staaten,ist ein” Faß ohne Boden”. Somit nicht einsehbar,weil nicht transparent. Da ist “Schankbetrug” schon vorprogrammiert!

Gerd Weber / 30.03.2017

Es ist nicht, wie man annehmen könnte, die sogenannte “Brüsseler Bürokratie”, sondern es sind ganz einfach alle Mitgliedstaaten, die gemeinsam diesen Unsinn zum Schutze des Verbrauchers aushecken. Brüssel ist nur der “Kellner”, der die Wünsche der Mitglieder ausführt. Allerdings sind es die gleichen Mitgliedstaaten, die dann auf Brüssel schimpfen.

Ilse Polifka / 30.03.2017

Sehr gut und ein Grund mehr auzutreten.

Wieland Schmied / 30.03.2017

Brexit - Die Briten husten den Dummlingen in Brüssel gehörig was.  That’s allright fellows.

Georg Siegert / 30.03.2017

Das wirklich traurige an der Richtlinie ist wie viel Geld für solchen Unsinn auf den Kopf gehauen wird. Der Weg bis zum Erlass war sicher mit unzähligen Diskussionen, Gutachten, Anhörungen und Arbeitsgruppentreffen gepfalstert. Und wir sind ja noch lange nicht am Ende: die Mitgliedsstaaten müssen die Richtlinie nun in nationales Recht umsetzen. Also wieder Diskussionen, Gutachten, Anhörungen und Arbeitsgruppentreffen…womöglich über ein Paar Bier?

Th.F. Brommelcamp / 30.03.2017

Jedes Parei schickt seine Blindgänger nach Europa, damit sie weiterhin am Trog sind. Und ihr wundert euch das EUropa den Bach runter geht? Wenn ein Kanzlerkandidat von dort holen muss und das Volk jubelt?

Rainer Kaufmann / 30.03.2017

Nach der EU-Attacke auf das Salz in und auf der Brezn ein weiterer Angriff auf die bayrische Bierkultur.

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