Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 18.04.2007 / 18:33 / 0 / Seite ausdrucken

Die EU als Meinungsinquisitor

Morgen wir es nun tatsächlich soweit sein: Die EU-Innen- und Justizminister werden sich auf ihrer Sitzung in Luxemburg auf ein europaweites Verbot der Leugnung bestimmter historischer Tatsachen verständigen. Das berichtet der EU Observer.

Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich solche Verbote für rechtspolitisch fragwürdig und im übrigen auch für wenig effektiv bei der Bekämpfung des politischen Extremismus halte. Aber davon einmal abgesehen, zeigen die Verhandlungen um das Verbot auch nur zu deutlich, nach welch merkwürdigen Kriterien die Liste der nicht mehr zu leugnenden Fakten zusammengestellt wurde.

Zweierlei darf künftig nicht mehr straffrei behauptet werden: Dass es den Holocaust nicht gegeben hat und dass der Völkermord in Ruanda 1994 nicht stattfand. Die Massenermordungen von Armeniern im Jahr 1915 zu leugnen, wird hingegen weiterhin möglich sein - die Türkei hatte sich gegen eine Kriminalisierung diplomatisch offenbar erfolgreich gewehrt. Auch werden Polen und die baltischen Staaten kaum Erfolg mit ihrer Initiative haben, die Verbrechen Stalins in den Katalog der nicht mehr abzustreitenden historischen Tatsachen aufzunehmen. Wer sich dagegen wohl verwahrt hat? Wo sind die Stalin-Freunde in der EU? Und überhaupt: Warum fehlt der Bezug auf die Opfer Maos?

Wenigstens hat man diesmal noch davon abgesehen, die Klimakatastrophenleugner gleich mitzuerledigen. Aber das kann ja noch kommen, wo die EU nun einen Präzedenzfall für die Grenzen der Meinungsfreiheit geschaffen hat.

Noch etwas erscheint merkwürdig an der neuen EU-Regelung, mit der auch Aufrufe zum Rassenhass unter Strafe gestellt werden. In der Financial Times kann man heute lesen:

The proposal draws what is likely to be a contentious distinction between inciting violence against racial or ethnic groups and against religious groups. Attacks against Muslims, Jews or other faiths will only be penalised if they form a “pretext” for incitement against ethnic or racial groups. This will mean that the proposal will criminalise appeals to kill or persecute, for example, all Germans or blacks but not a similar incitement to violence against Jews or Muslims.

Rassenhass wird also nicht akzeptiert, Antisemitismus aber sehr wohl. Die Leugnung des Völkermords von Ruanda wird bestraft, die Leugnung Stalinscher Verbrechen aber nicht. Wer soll das eigentlich noch verstehen? Und was soll ein solches EU-Verbot überhaupt bewirken außer der Förderung der Skepsis gegenüber der EU?

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