Günter Ederer / 11.08.2016 / 06:05 / Foto: Alex Kehr / 0 / Seite ausdrucken

Die Deutschen und die Türken (3): Demokratie auf türkisch

Wie groß die Unkenntnis deutscher Politiker über die Türkei ist und welche Auswirkungen die innertürkischen Spannungen auf Deutschland haben, zeigt sich nach dem Putsch am 15. Juli 2016.  Alle Parteien versichern erst einmal, dass sie den Militärputsch gegen eine demokratische Regierung ablehnen. Nun, Erdogans Regierung demokratische zu nennen ist eine arge Verdrehung der Realität. Seine Wahl in einem Land ohne Pressefreiheit und einer von ihm gegängelten Justiz hat mit Demokratie wenig bis nichts zu tun. Den Rachefeldzug gegen alle Gegner seiner islamisch-nationalistischen Herrschaft erinnert an die Reaktion der Nazis nach dem Reichstagsbrand. Der Putsch wurde von ihm genutzt, um die Reste von Demokratie abzuschaffen.

Wir werden wahrscheinlich auch nicht erfahren, wer wirklich hinter dem Putsch steht, jedenfalls nicht solange Erdogan regiert. Waren es Offiziere, die in der Tradition Atatürks, die Islamisierung und Diktatur Erdogans verhindern wollten? Dann wünsche ich mir, dass sie Erfolg gehabt hätten.

Waren es wirklich Anhänger des im amerikanischen Exils lebenden Predigers Fethullah Gülen? Dann ist es ziemlich egal, ob die Putschisten oder Erdogan erfolgreich waren. Eine Demokratie, die dieser freiheitlichen Staatsform gerecht wird, hatte so oder so keine Chance.

Kennen Sie den Prediger Gülen?

Die Masse der Deutschen und auch der deutschen Politiker sind durch den Putsch zum ersten Mal mit der Gülen-Bewegung konfrontiert. Als mir türkische Freunde von einer gefährlichen Bewegung erzählten, die hunderte von Schulen, Zeitungen und TV-Stationen unterhält, die weltweit agiert, um Moslems gut auszubilden, damit sie dereinst die Macht in der Justiz, der Wissenschaft und dem Militär übernehmen können und dass das alles aus den USA gesteuert wird, habe ich das als einer der vielen Verschwörungstheorien abgetan. Meine Freunde kenne ich alle seit Jahrzehnten und sie gehen so oft in die Moschee, wie wir Weihnachten in die Christmesse. Den Namen Fethullah Gülen habe ich mir noch nicht einmal gemerkt.

Umso erschreckender ist für mich, jetzt festzustellen zu müssen, dass mir damals in Istanbul keine Verschwörungstheorien erzählt wurden - außer vielleicht, dass dahinter der CIA stecke. Die Position der USA zur Meinungsfreiheit ist für uns oft nicht nachvollziehbar, wenn es sich um Nationalisten und religiöse Splittergruppen handelt, die sehr obskure Ziele verfolgen. Dazu kommt, dass es  bei 320 Millionen Einwohnern in den USA gerade mal 3 Millionen Muslims gibt, weniger als in Deutschland.   Die Gülen-Bewegung ist eine Realität in allen Staaten, wo es Moslems gibt. Ihr Schwerpunkt ist die Bildung, sowohl aller technischer Berufe, wie auch der Justiz und der islamischen Lebensweise. Er predigt eine sozialkonservative-nationalistische Lehre, verbunden mit der Befolgung strikter islamischer Lebensweise. Für ihn ist die Abwendung vom Islam Hochverrat, der mit dem Tode zu bestrafen sei und für ihn wiegt Unglaube schwerer als Mord. Darf so jemand in Deutschland Schulen unterhalten?

Dass die Gülen-Bewegung auch in Deutschland hunderte Schulen finanziert, Stipendien für Universitäten vergibt, wirtschaftlich aktiv ist, war in der Bundesrepublik nie ein Thema. Jetzt verlangt Erdogan, dass die Gülen-Anhänger auch in Deutschland verfolgt werden. Die Gefahr besteht, dass sich jetzt Politiker vor die Gülen-Anhänger schützend vor der Verfolgung durch Erdogan stellen, einfach weil sie nicht wissen, dass für unsere Gesellschaft, der eine so untragbar ist, wie der andere.

Der lange Schatten des Osmanischen Reiches

Der Fehler, über Jahre eine Masseneinwanderung aus einem uns völlig fremden Kulturkreis unbeobachtet zu zulassen, rächt sich jetzt. Die gewalttätigen, ja mörderischen Konflikte in der Türkei werden unweigerlich auch bei uns ausgetragen. Je mehr wir Zugeständnisse an die illiberalen Positionen irgendeiner Religion machen, umso mehr fördern wir auch Rassismus und Autoritätsgläubigkeit in unserer Gesellschaft. Je mehr vergessen wir, das oberste Gebot, das jedem politischen Handeln zugrunde liegen sollte: Die Freiheit des Individuums auch vor religiöser Bevormundung.

Erdogan hat unter anderem auch Erfolg, weil er den schlummerten türkischen Nationalismus wiedererweckt hat. Solange die Türkei ein Armenhaus war, klang der Satz über das größte Glück auf Erden sei ein Türke zu sein, eher wie eine zynische Bemerkung über ein einst stolzes Volk. Aber mit dem wirtschaftlichen Aufstieg erinnerten sich die Türken, dass sie das Herrschervolk des drei Kontinente überspannenden Osmanischen Reiches waren. Sie haben Dutzende von Völkern unterjocht: Araber, Juden, Perser, Tartaren, Asserbeidschanis, Armenier, Georgier, Belutschen, Inder, Griechen, Ungarn, Slawen, Alberner, Illyrer undsoweiter. Sie schafften es bis kurz vor Wien. Das Geheimnis: Sie haben die Völker nicht zum Islam bekehrt, sie haben sie sogar bis in höchste Staatsämter Karriere machen lassen. Aber die Türken waren das Herrenvolk. Sie haben Nichttürken viel höher besteuert als Türken und Nicht-Moslems deutlich höher als Moslems. Töchter und Söhne der Nichtmoslems waren abzugeben, sobald dies der Sultan oder ein Pascha verlangte.

Die tiefe Abneigung gegen Türken auf dem Balkan und in Arabien hat Jahrhunderte alte Wurzeln und sollten bei der Flüchtlingsfrage, wenn es sich um die Ablehnung von Mohammedaner handelt, nicht unterschätzt werden. Denn die Steuern wurden mit dem Übertritt zum Islam sofort gesenkt. So gelten muslimische Bosnier und Albaner immer noch als Verräter und Stiefellecker der Türken. Mit diesen Erinnerungen an das Osmanische Reich aber spielt Erdogan bewusst. Seine tiefe Enttäuschung über Deutschland hängt sicher auch damit zusammen, dass am Ende des Osmanischen Reiches nur noch Deutschland dem "kranken Mann am Bosporus" die Treue hielt.

Die Türken sind die ungeratenen Söhne der Deutschen

Vielleicht hängt das Desinteresse an der innenpolitischen Entwicklung in der Türkei in Deutschland auch damit zusammen, dass in Bonn niemand so Recht an diese Verbundenheit im vorletzten Jahrhundert erinnert werden wollte.   Die deutsch-türkische Freundschaft war zu Beginn der Gastarbeiterjahre auf türkischer Seite scheinbar unerschütterlich. Es gibt da die Einordnung: Die Griechen sind die verwöhnten Töchter der Franzosen und Briten, die Türken die ungeratenen Söhne der Deutschen. Lange vor dem Tourismusboom fanden sich selbst in den abgelegenen Dörfern ehemalige Gastarbeiter, die stolz auf ihren Aufenthalt in Alemanya waren und schlechte Erlebnisse  vergessen hatten. Schließlich kannten sie von ihren Behörden in der Türkei auch nichts Besseres. Nur dass die Korruption noch dazu kam.  

Nach rund 50 Jahren orientierungsloser Politik im Umgang mit der Türkei und der türkischen Innenpolitik hat sich ein schier unentwirrbarer Knoten gebildet. Er besteht aus dem Überlappen nationalistischer türkischer Großmachtfantasien, einer zunehmenden Islamisierung der in Europa lebenden Moslems vieler Nationen und dem Einwanderungsdruck aus dem Nahen Osten und Afrika von Flüchtlingen aus Kriegsgebieten und wirtschaftlicher Not. In dieser Situation dann auch noch Erdogan in eine Schlüsselposition zu manövrieren ist sicher der unverzeihlichste Fehler, den sich diese Kanzlerin und ihre Regierung geleistet haben.

Lesen Sie in der nächsten Folge: Die Türkei - Heimat des gordischen Knotens

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Günter Ederer / 14.03.2023 / 15:30 / 71

Das Manifest der Egoisten

Das „Manifest für den Frieden“ aber ist ein Manifest des „mir egal“, Hauptsache ich werde nicht allzu sehr belästigt. Ein „Manifest für den Frieden“ unterschreibe…/ mehr

Günter Ederer / 16.01.2023 / 12:00 / 94

Im Krieg gegen das Fleisch

Landwirtschaftsminister Cem Özdemir will als überzeugter Vegetarier eine Antifleisch-Kampagne starten. Die Dubliner Konferenz hingegen klärte jüngst über die Bedeutung der Viehzucht für die Ernährung von…/ mehr

Günter Ederer / 20.10.2022 / 06:00 / 110

Ein Besuch in Lemberg

Im ukrainischen Lemberg traf ich drei junge Männer und fünf junge Frauen. Sie alle haben entweder russische Großeltern oder gehören dem russisch-sprachigen Bevölkerungsteil an oder…/ mehr

Günter Ederer / 10.09.2021 / 16:00 / 37

Klimawandel total

Auf dem Weg zum Hitzetod – Der Klimawandel im Wahlkampf – Das unweigerliche Ende des Planeten naht: Unaufhaltsam steigt das CO2 – Mit Horrormeldungen in…/ mehr

Günter Ederer / 05.06.2021 / 06:10 / 174

Es war einmal eine Volkspartei…

Es ist wie ein Schlag mit der flachen Hand auf eine glatte Wasserfläche. Das Wasser spritzt in alle Himmelsrichtungen. So ungefähr erlebt das gerade die…/ mehr

Günter Ederer / 18.11.2020 / 06:15 / 67

Grüner Showdown: Der Krieg um die A 49

Bundes- und Landstraßen sind gesperrt. Überall Polizeiwagen. Tausend Beamte in voller Montur sind im Einsatz. Ein großer Acker wird planiert, um ein Lager für Ruheräume…/ mehr

Günter Ederer / 07.10.2020 / 06:00 / 70

Kamala Harris: Die Hinterhältigkeit des positiven Rassismus

„Eine Schwarze kann Vizepräsidentin der USA werden“. „Eine Afroamerikanerin auf dem Weg ins Weiße Haus.“ „Schwarz und Frau – die Vizepräsidentin der Demokaten.“ Auf allen…/ mehr

Günter Ederer / 22.07.2020 / 16:00 / 35

Meine Erfahrungen mit Gewalt und Rassismus in den USA

Vicksburg im Bundesstaat Mississippi thront direkt über dem breiten mächtigen Strom. Weiße Holzhäuser mit Veranden und Schaukelstühlen. Alleen mit mächtigen Magnolienbäumen. Vicksburg entspricht perfekt dem…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com