Gerald Wolf, Gastautor / 12.05.2018 / 06:15 / Foto: Polylerus / 4 / Seite ausdrucken

Die Auferstehung des Popanz

Wir sollten einst nicht in der Ruine auf dem Nachbargrundstück herumklettern und auch nicht alleine in den Wald gehen. Warum? Weil dort der Popanz haust! Heute käme das kaum noch an, einfach, weil der Kinderschreck vergessen ist. Ohnehin hatte ihn nie jemand gesehen. Allein die Vorstellung von etwas Schrecklichem genügte. Bis dann später, wenn es mal wieder „Popanz“ hieß, nur noch gekichert wurde.

Eigenartig, in der Politik hat der Popanz überlebt. Hier sind es Worte und Begriffe, die durch negative Konnotation zu etwas Üblen stilisiert werden, zu einem Popanz. „Popanz“, wie sonst sollte man dazu sagen? „Schlagwort“ etwa? Ein Wort, mit dem man schlägt, mit dem man zuschlägt, nachschlägt, aufschlägt, sich rumschlägt? „Popanz“ trifft da besser. Popanze müssen gepäppelt werden, um als politisches Instrument wirksam zu bleiben

Das Ozonloch und die FCKW, einst mächtige Popanze, haben mittlerweile so gut wie ausgedient. Genauso wie das Waldsterben. Einfach, weil die Bäume gar nicht starben, sondern mächtig wuchsen. Im Gegenteil, um Waldwildwuchs zu vermeiden, müssen aufwändige Pflegemaßnahmen her. Auch der Popanz Bevölkerungsexplosion ist so gut wie out. In den Warnungen des Club of Rome, später auch denen der UN, spielte die Sorge um die hemmungslose Vermehrung der Menschheit einst eine große Rolle. Doch wurde dieser Popanz zum Mythos erklärt und daher nicht länger gepflegt, und nun ist er einfach nicht mehr „in“. Obwohl das stete Wachstum der Weltbevölkerung erst jetzt so richtig Sorgen bereiten sollte.

Stetes Anprangern von Schreckensmerkmalen wirkt bei Popanzen wie Hühnerbrühe bei Rekonvaleszenten. Besonders gut gedeihen die Wortgespenster, wenn sie immer mal wieder mit neuen Argumenten, Wendungen und Beispielen gefüttert werden. Es müssen durchaus nicht immer Fakten sein. Schein-Tatsachen und Schein-Korrelationen wirken selbst dann noch wie Vitamine, wenn sie durch Gegenargumente in Frage gestellt werden. So begründet das Kontra auch sein mag, wird ihm der Zugang zum Mainstream verwehrt, bleibt es im Schatten und kümmert früher oder später dahin.

Die Erfolgsgeschichte der Popanze ist lang. Im deutschen Kaiserreich hießen sie „Franzosen“, bei Hitler „der Jude“ und „der Russe“, späterhin, auf westlicher Seite, „Bolschewismus“ und „gelbe Gefahr“. Zu DDR-Zeiten übernahmen der „Klassenfeind“ und der Kapitalismus diese Rolle, der Imperialismus und der Revanchismus. Auch Adenauer diente als Popanz und nach ihm Franz-Josef Strauß. In der Genetik zum Beispiel hießen die Popanze „reaktionärer Mendelismus-Morganismus“ und „bürgerliche Begabungstheorien“. Zu den Zeiten, als den Kinofilmen noch die Wochenschau Der Augenzeuge vorangestellt wurde, waren die Berichte aus dem eigenen Land und der Sowjetunion in freundlichen Farben gehalten oder, wenn in Schwarz-Weiß, in ausgewogenen Grautönen, die vom Erzfeind Westdeutschland hingegen wurden in hartem Schwarzweiß-Kontrast und mit höherer Geschwindigkeit abgespielt. Alles wirkte dann gehetzt, wirkte popanzartig bedrohlich (das funktioniert auch heute noch, wenn rechte „Aufmärsche“ vorgeführt werden). Späterhin bediente sich Karl-Eduard von Schnitzler in seinem „Schwarzen Kanal“ dieser Schwarz-Weiß-Technik, doch wollte sie dann nicht mehr so recht wirken. Der Popanz „Westdeutschland“ hatte ausgespielt.

Die Gegenwart ist besonders popanzfreundlich 

Nie war es einfacher, Nachrichten unter die Leute zu bringen, gleich ob News oder Fake News. Wer schon kann den Wahrheitsgehalt überprüfen und vor allem, wie? Am bequemsten ist es – und damit gewissermaßen bindend für die Bevölkerungsmehrheit –, man vertraut den Medien, denn deren Leute sind überall ganz vorn dran, und die müssten es daher am besten wissen. Schüchtern, fast geduckt, dann die Frage: Geben die das aber auch so kund? Dürfen die das überhaupt?

Politiker und Medienleute lächeln in sich hinein, wenn da jemand von „denen da draußen im Land“ meint, es besser zu wissen. Das Volk weiß nur das, was man ihm aus der Kaste der Wissenden zu wissen gibt. Die wenigen Eigenerfahrungen, über die Bürgerinnen und Bürger in ihrer Engsicht verfügen, sind allesamt Einzelfälle. Sollen sie doch mit ihrem Halb- und Viertelwissen eine eigene Meinung haben wollen, eine sogenannte „unabhängige“, und, warum nicht auch mit eigenen Popanzen daherkommen! Im Gros der digital ausgetauschten Argumente wird ihnen bald die Luft ausgehen. Schlimmstenfalls verfügt man ja noch immer über die NetzDG-Bremse.

Im Gewirr politischer Texte einen Halt zu finden, ist schwierig, obwohl überall Angebote winken. Es ist ein bunter Salat aus Worten, Benennungen und Begriffen. Manche von ihnen mochten zunächst nur zur Etikettierung gedacht sein, an der politischen Bedeutungsschraube gedreht, aber werden sie zum Stigma. Oder, noch weiter gedreht, zum Übel in Buchstabengestalt bis hin zu einem ausgewachsenen Popanz. Um diesen dann den Gegnern um die Ohren zu hauen. Und politisch Naive zu alarmieren. Diese und die sonst wie Verbohrten kann man mit Popanzen hochwirksam das Fürchten lehren. Groß genug ist diese Zielgruppe.

Jeder fühle sich eingeladen, nach Beispielen zu suchen. Wenn er das Ergebnis ordentlich schüttelt, wird die Ausbeute so oder so ähnlich aussehen:

Wutbürger, Volksverräter, Nazi-Pack, Rassismus, Meinungsfaschismus, Fremdenfeindlichkeit, Antifa, Lügenpresse, Wohlstandsnarzissmus, Lückenpresse, Bürokratie, Nationalismus, linksextrem, Identitäre, rechtsextrem, Eurozentrismus, CO2, Verbuntung, Dunkeldeutschland, NOx, Genderismus, Klimahysterie, Verschwörungstheoretiker, Trump, Halbwahrheitenpresse, PEGIDA, Feinstaubbelastung, marschieren, Klimakiller, AfD, Willkommenskultur, Assad,  linksgrün, braun, rot, homophob, Gutmenschentum, Geistesmief, Multikulti, Atomkraft, Asylindustrie, Mainstream, Höcke, Volkspädagogik, Putin, Mitläufer-Demokrat, Antinationalismus, Hyperinternationalismus, Political Correctness, Merkelismus, Diskursverbot, Rechtspopulismus, Grenzwertüberschreitung, Linkspopulismus …

Popanz-Soße. Blankes Gift.

Man spürt geradezu, wie da die Soße heraustrieft. Popanz-Soße. Zum blanken Gift macht sie, wer Popanze – ähnlich dem Kuckucksweibchen, das seine Eier in fremde Nester schmuggelt – klammheimlich ins gegnerische Lager platziert. „Kuckuckspopanze“ gewissermaßen. Mit Hakenkreuzschmierereien oder mit dem Zeigen des Hitlergrußes klappt das mitunter recht gut, mit Hammer und Sichel oder rotem Stern (50 bis 100 Millionen Opfer) hingegen nicht.

So durchsichtig die Sache mit den Polit-Popanzen ist, sollte man vielleicht besser darauf verzichten? – Keine Chance! Popanze sind formelhafte Ausdrücke für Unzulänglichkeiten, für Geistes- und Denkhaltungen, die es anzuprangern gilt. Und vor allem: Sie sind zeit- und platzsparend. Zwar wäre ein ernsthafter Diskurs über einen jeweiligen Sachverhalt weit angemessener. Aber wer will das schon, und wer kann das schon? Diskurs setzt Kenntnisreichtum, setzt ein intensives Studium voraus, und dazu haben die meisten weder Zeit noch Lust. Außerdem ist die Gefahr viel zu groß, bei ernsthaftem Erwägen all der Pros und Cons am Ende der Verlierer zu sein. Da liegt das Anprangern des Gegenübers mit popanzartigen Begriffen doch viel sicherer in der Hand.

Nun denn! Nur eben müsste der Staat dafür sorgen, dass auch seinen Kritikern ausreichend Platz im Öffentlichkeitsraum angeboten wird. Hält der Staat alle diese Plätze durch seinen „Mainstream“ besetzt, wird es eng für die Demokratie. Und das kann doch wohl keine demokratisch gewählte Obrigkeit wollen.

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Hjalmar Kreutzer / 12.05.2018

Der größte, am meisten verwendete Popanz: RECHTS. Alles, was „der demokratisch gewählten Obrigkeit“ und ihren Hofsängern nicht passt, bekommt dieses Etikett aufgepappt und ist somit zum Abschuß freigegeben im „Kampf gegen Rechts“. Damit entfällt dann Gott sei Dank jegliche inhaltliche argumentative Auseinandersetzung und die heile Welt wird wieder mal gerettet.

Werner Arning / 12.05.2018

Ein anschauliches Beispiel für einen solchen Popanz konnte man neulich im Bundestag erleben. Nachdem der AfD-Politiker Gauland eine sehr gute Rede zum Thema Juden, Israel, Antisemitismus gehalten hatte, wurde von, ich glaube es war KGE, der „Popanz Höcke“ aus dem Hut gezaubert. Mit der Höcke-Keule sollte seine Rede ins Unglaubwürge gezogen werden, verächtlich gemacht werden. Denn wer einen Höcke in der Partei habe, solle sich gefälligst unterstehen, solche Reden zu halten, oder so ähnlich. Auf den Inhalt der Rede wird gar nicht eingegangen, aber der „Popanz Höcke“  erfüllt seinen Zweck. Der Name Höcke ist zu einer Art Allzweckwaffe der etablierten Parteien geworden. Einer ihrer Popanze.

U. Unger / 12.05.2018

Guten Morgen Herr Wolf, sie sind auf der richtigen Fährte. Unserer Gesellschaft fehlt mittlerweile die Fähigkeit ihre Probleme vernünftig, schnell und dauerhaft zu lösen. Für die Politiker ist das toll, da es ihnen die Macht sichert. Für die Regierten wird es zur unerträglichen Belastung, da Wohlstand und Wohlbefinden messbar schwinden. Nichts würde ich mir derzeit mehr wünschen, als das ich als Beherrschter Zeit habe, mich an die vielen neuen Regeln mal zu gewöhnen. Der Fußballsport macht es vor, wie man trotz Regeln große Beliebtheit gewinnt. Wenige Regeln und Änderungen unter großer Vorsicht haben es zu weltweitem Kultstatus gebracht. Eine solche Akzeptanz und Freiwilligkeit der Regelnehmer wäre m. E. für die Gesellschaft optimal. Davon dürften wir mittlerweile Lichtjahre entfernt sein.

Bettina Federlein / 12.05.2018

„Und das kann doch wohl keine demokratisch gewählte Obrigkeit wollen.“ Doch, genau darauf läuft es hinaus. Schäuble nimmt derzeit den auf 709 Abgeordnete angewachsenen Bundestag zum Anlass eine Reform des Wahlrechs zu fordern. Wenn unsere derzeitigen Politiker im Bundestag erstmal die Hand ans Wahlrecht legen, kommt sicherlich nichts Gutes dabei heraus. Die linksgrüne CDU mit dem Appendix CSU in inniger Umarmung mit den Grünen, der SPD und den Linken dürften bereits feuchte Träume ob der sich bietenden Möglichkeiten haben und von der opportunistische FDP unter Lindner ist außer rhetorischer heißer Luft nicht viel zu erwarten.

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