Wenn es etwas gibt, das tief, tief im Mentalitätsbestand der deutschen Eliten wurzelt, dann ist es der Wunsch, dem Rest der Welt etwas vorzureiten. Die Gegenstände und Lehren für andere Völker wechselten seit Wilhelms Zeiten – zum Glück. Aber bei dem Drang selbst handelt es sich um eine bemerkenswerte Konstante. Zurzeit empfiehlt sich Deutschland bekanntlich als Vorreiter bei der Komplettumstellung auf erneuerbare Energie. Politiker und Verbände mahnen bei jeder Gelegenheit, die Vorreiterrolle bloß nicht zu gefährden. Nur wenige wissen übrigens, woher der Begriff ‚Vorreiter’ kommt: Das war einmal der Berittene, der Adelskutschen voransprengte und das gemeine Volk aus dem Weg scheuchte. Die nicht gerade nach herrschaftsfreiem Diskurs duftende Herkunft des Begriffs scheint keine Last darzustellen. Ex-Umweltminister Norbert Röttgen bescheinigte Deutschland jedenfalls, mit seiner Energiepolitik ein „Vorreiter“ zu sein – eine Schlussfolgerung, die er vor allem aus der Tatsache ableitete, dass kein anderes Land dem deutschen Weg folgte. Wirtschafts-Staatssekretär Rainer Baake fanfarte im Mai 2014 auf einer Energiekonferenz in Korea, die „Energiewende made in Germany“ sei ein „Exportschlager“. Der „Stern“ erklärte vor kurzem die Energiewende sogar zu einem Grund, Deutschland zu lieben: „Weil wir die Energiewende durchziehen…Wir sollten weiter Tempo machen…Sonne und Wind liefern kostenlos.“
Das Gefühl, der Welt ein leuchtendes Vorbild zu liefern, existiert allerdings nur unter einer centerparkähnlichen medialen Glasglocke in Deutschland. Nicht nur, dass kein Land weltweit sich anschickt, die Energiewende zu kopieren – mittlerweile machen sich Wissenschaftler, Manager und Politiker anderswo offen oder halboffen darüber lustig. Zumal keiner mehr bestreitet, dass Deutschlands Kohlendioxidemissionen seit Jahren steigen. Dabei galt deren Senkung ja überhaupt als Grund, um das Unternehmen Grünstrom zu starten – dessen Kosten sich aktuell auf 400 Milliarden Euro belaufen. Der holländische Klimaforscher, Ökonom und ehemalige IPCC-Autor Richard Tol brachte genau diese Absurdität in der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung”* auf den Punkt:
“Für viele ist der Klimawandel zu einer Art Ersatzreligion geworden. Die Texte der Umweltbewegungen lesen sich wie religiöse Schriften, in denen Emissionsreduktionen ein Ausweis der Glaubensstärke sind…In Deutschland wird das vor allem durch die Prediger des Potsdam-Klimainstitutes betrieben…Die (deutsche) Energiewende ist ein gewaltiger Fehler. Die Unternehmen und Haushalte müssen hohe Energierechnungen begleichen, die Emissionen (von CO2) steigen trotzdem…Ich kenne internationale Wissenschaftler, die sagen, die Deutschen müssen verrückt geworden sein…Deutschland hat mit so hohen Fördersummen für Windenergie und Photovoltaik begonnen, dass es den gesamten Weltmarkt durcheinander gebracht hat. Ohne diese exzessive Förderung wären Sonnenpaneele eher auf portugiesischen oder spanischen Dächern gelandet und hätten mehr Sonnenertrag gebracht. Die Deutschen haben mit aller Macht eine Technik auf den Markt gebracht, die noch nicht reif ist…Deutschland hätte das ganze schöne Geld lieber für etwas Sinnvolles ausgeben sollen.”
Der Chef der halbstaatlichen Energieagentur Dena Stephan Kohler erlebte schon vor einiger Zeit, wie andere den vermeintlichen Exportschlager sehen. Er erklärte chinesischen Managern einmal die Absurditäten des deutschen Fördersystems, unter anderem, dass Windstromerzeuger selbst Geld für Windstrom bekommen, der nie erzeugt wurde. „Das Bild, das die Chinesen von den sparsamen, rationalen Deutschen pflegen, hat in diesem Moment erhebliche Risse bekommen“, so Kohler. Einer der Manager sei in der Pause zu ihm gekommen und habe gesagt: „Interessant. Aber kein Vorbild.“
Selbst Energiewendeminister Sigmar Gabriel musste offenbar auf seinen Auslandsreisen das eine oder andere Ernüchterungsgespräch dieser Art führen. Jedenfalls rutschte ihm vor kurzem bei einem Firmenbesuch in Kassel heraus: „Für den Rest Europas sind wir ohnehin die Bekloppten.“
Wenn es übrigens in fünf bis acht Jahren Photovoltaik-Module geben wird, die so günstig und effizient arbeiten, dass sie keine Subventionen mehr brauchen, dann wird Deutschland höchstwahrscheinlich nicht Exporteur sein, sondern Importeur. Denn von seiner subventionsgepäppelten Solarindustrie existierten schon heute nur noch Reste mit insgesamt weniger als 5000 Angestellten. Die führenden Hersteller sitzen längst in China, den USA und Korea.
*FAS vom 17. August 2014
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