Gerald Wolf, Gastautor / 09.09.2016 / 06:10 / Foto: Mattbuck / 6 / Seite ausdrucken

Die Angst des Blockwarts vorm Elfmeter

Von Gerald Wolf.

Am Morgen schon, bald nach dem Erwachen, fängt es mit der Angst an und all den Ängsten und Phobien. Früher waren solch ausufernde Gemütsbewegungen eher Sache der Psychiatrie und der Hirnforschung, heute, so ist zu hören und zu lesen, gehören sie zum Grundbestand der Menschen. Eine Art Volkskrankheit also.

Zwar wären die Ängste und Befürchtungen, ob nun dumpf oder schneidend klar, dem Wesen nach unbegründet, sagen derzeit beispielsweise die etablierten Parteien und die ihnen gewogenen Medien, dennoch müssten sie ernstgenommen werden. Mittlerweile sogar die Fremdenfurcht, die Xenophobie. Andernfalls könnten Wahlen oder Leser und Zuschauer verloren werden. Diejenigen, die sagen, man müsse keine Angst haben,  haben also auch Angst - nur aus anderen Gründen.

Da aber solche Zustände ja im Eigentlichen grundlos sind, lieferen sie einerseits Zeichen über Zeichen, dass die Bevölkerung angstgestört und eher Patient als vollwertiger Teil des Souveräns ist, dem es laut Grundgesetz zufällt, Träger der Staatsgewalt zu sein.  Klar, dass unter solchen Umständen Volksentscheide illusionär, ja gefährlich sind.

Zumal nicht nur die Gefühlsebene der Menschen von den Störungen betroffen ist, offenbar auch das Denken. Weit mehr Menschen sind es, als bisher angenommen, die da anders als die Anderen denken. Schlimmer noch: Die Andersdenkenden denken nicht nur anders, sie sind auch anders! Sonst würden sie ja so denken wie die vom sogenannten "Mainstream", selbst wenn der Hauptstrom möglicherweise  nur ein Nebenstrom ist, von dem alle denken es sei der Hauptstrom. Man kennt das Phänomen von Geisterfahrern, die der festen Überzeugung sind, alle kämen Ihnen auf der falschen Spur entgegen.

Erst mit acht Monaten ist das Gehirn so weit, dass mit Angst reagiert werden kann

Seit einiger Zeit werden nun auch die auf der vorgeblich richtigen Spur von Ängsten und Phobien heimgesucht. Selbst deren Beschützer haben Angst. Überhaupt alle, die da beschützen und beschirmen. Demgegenüber wirkt der Normalbürger wie ein furchtloser Held. Er trägt sein dünnes Sommerhemdchen über der nackten Haut, und das muss genügen!

Eigentlich sind Angst und Furcht etwas ganz Natürliches. Für deren Entstehung kommt ein Gebiet in der Tiefe des Gehirns in Betracht, das wegen seiner Form Mandelkern (Amygdala) genannt wird. Das Neugeborene kennt noch keine Angst. Erst mit etwa acht Monaten ist sein Gehirn nach genetischem Diktat so weit ausgereift, dass Ungewöhnliches erkannt und darauf mit Angstgefühl reagiert werden kann. Ohne jemals zuvor mit dem Ungewöhnlichen, mit dem Fremden, schlechte Erfahrungen gemacht zu haben. Die Fähigkeit, Angst zu empfinden, verlässt uns das gesamte Leben nicht mehr, sie gehört wie all die anderen Gefühlsqualitäten zur Grundausstattung der menschlichen Seele. Ebenso zum elementaren Verhaltensinventar der meisten Tiere, allemal der höheren. Bei Gefahr reagieren sie mit angstgeleiteten Verhaltensmustern: Flucht oder Verteidigung oder Erstarren.

Dass Angst lebensrettend sein kann, zumindest vor Schäden bewahren mag, liegt auf der Hand. Daher auch ist das Angstverhalten so weit verbreitet. Bei Erkennen der Harmlosigkeit von bislang Ungewohntem schleift sich die Angst ab, Vertrauen stellt sich ein, womöglich Zutraulichkeit. Dem Menschenkind helfen Mama und Papa, Vertrauen zu entwickeln. „Nun guck doch mal, Paula, die süße Miezekatze“, heißt es dann. „Ganz, ganz lieb ist sie!“ Und zur Bestätigung wird das Katzentier gestreichelt. Bis auch Paulinchen mitmacht und das ursprünglich furchtauslösende Objekt zum Knuddeltier wird. Ebenso lernt das Kind, seine Furcht vor dem fremden Onkel zu verlieren, vorm Dunkel, vor der Maus, der Spinne, der Schule. Aber wir Menschen lernen auch die Umkehrung, denn da erweist sich die beste Freundin als eine falsche Schlange, und Timo von nebenan als ein falscher Freund, ebenso der Unbekannte da mit dem freundlichen Getue. Mensch ist nicht gleich Mensch, es gibt unterschiedliche Persönlichkeitstypen. Manche sind vertrauensselig und lernen es nie so recht, das als Blöße zu erkennen. Andere lernen es nie, tieferes Vertrauen zu entwickeln, gleich ob Freunden, Bekannten oder Kollegen gegenüber. Oder Politikern und ihren Medien.

Wie auch immer, die politisch Verantwortlichen versichern uns, wir brauchten keine Angst zu haben, alles sei gut und bedacht. Sollte es trotz größter Anstrengungen dennoch mit dem Vertrauen hapern, keine Angst! Angst, Ängste und Phobien können durch Psychotherapie und Autosuggestion gedämpft werden, hochzuverlässig mit Anxiolytika. Gemeint ist damit eine ganze Palette von Beruhigungsmitteln, zu denen die Benzodiazepine gehören, verschiedene Antidepressiva, niederpotente Neuroleptika und auch sehr spezielle Medikamente, zum Beispiel das Buspiron und das Opipramol. Einen gewissen Schutz bieten womöglich schon rein pflanzliche Präparate: Baldrian, Passionsblume und Hopfen.

Professor Gerald Wolf ist Hirnforscher und emeritierter Institutsdirektor. Er widmet sich in seinen Vorträgen und Publikationen und regelmäßig im Fernsehen (MDR um 11, Sendung „GeistReich“) dem Gehirn und dem, was es aus uns macht. Neben zahlreichen Fachpublikationen und Fach- und Sachbüchern hat er auch drei Wissenschaftsromane veröffentlicht.

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Bernd Matzkowski / 10.09.2016

Sehr geehrter Herr Noll, mit großem Interesse lese ich die bisherigen Folgen Ihres informativen Beitrags, möchte allerdings zur Einleitung(Lessings Nathan) einige Anmerkungen machen. Meiner Meinung nach verkürzen Sie Lessings Ansatz bzw. werden ihm nicht gerecht. Zunächst ist festzuhalten, dass Lessing in der Szene III/6, die der “Ringparabel-Szene“  unmittelbar vorangestellt ist, Nathan in einem Selbstgespräch über die Strategie, die er zu Saladins Frage nach der besten Religion entwickeln will, am Schluss der Szene sagen lässt: „ Nicht die Kinder bloß, speist man/ Mit Märchen ab .” Damit ist das, was in III/7 folgt, nämlich die Ringparabel, in einer Textsorte verortet, die Wünsche, Hoffnungen- kurz eine Utopie zum Ausdruck bringt. Damit ist zugleich klar, dass es Lessing nicht um eine Exegese oder Abwägung religiöser Texte geht. Entscheidender ist jedoch die Ringparabel selbst - vor allem hinsichtlich der Veränderungen, die Lessing gegenüber Boccaccio vornimmt. Bei Boccaccio bleibt das Geheimnis der Ringe ungelöst. Lessing dagegen gibt eine Lösung vor: diese besteht eben nicht in einem Streit über die Wahrhaftigkeit von Dokumenten, ihre historische Abfolge oder Glaubwürdigkeit. Und auch nicht in einer vergleichenden Analyse der Grundlagentexte von Juden, Christen und Muslimen, sondern in der Wendung ins Praktische. Lessing lässt nämlich Nathan die These aufstellen, dass sich die “beste” Religion im Diesseits zeige, im Handeln der Menschen,  im Alltag. Lessing lässt Nathan deshalb sagen: “Es eifre jeder seiner unbestochnen Von Vorurteilen freien Liebe nach! Es strebe von euch jeder um die Wette, Die Kraft des Steins in seinem Ring an Tag Zu legen! komme dieser Kraft mit Sanftmut, Mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohltun, Mit innigster Ergebenheit in Gott Zu Hilf.” Nicht auf den Wortlaut der Texte kommt es Lessing also an, sondern auf unser Handeln im Alltag. Das sture Festhalten an Zitaten, etwa Zitaten aus dem Koran, womit muslimische Fanatiker noch jede Schandtat rechtfertigen, steht dabei allerdings der “vorurteilsfreien Liebe” im Sinne Lessings Wege!

Burkhart Berthold / 09.09.2016

... und Hopfen! Das erklärt die bekannte Furchtlosigkeit von uns Bayern!

Klaus Ziegler / 09.09.2016

Ich höre doch schon den empörten Aufschrei derer, die genau wissen, wer verantwortlich für diese neuen Ängste der Menschen ist.  Die Rechten Angstschürer halt.  Ob das nun analytische Unschärfe ist, oder ob schlicht alles dem Ideologischen Zweck unterworfen wird, wer weis das?  Jedenfalls das ganze Schauspiel ausgerechnet von denen die sich bislang als unsere Intelektuelle Obeschicht empfunden hat.

Peter Hofstetter / 09.09.2016

Die Hauptangst der “Eliten” in Politik, Medien, Kirche, Schule usw. scheint zu sein, dass Deutschland halbwegs das Land der Deutschen bleiben könnte. Deswegen holen sie so viele Fremde wie möglich herein - helfen könnte man ihnen ja auch in der Heimat, aber nein, das darf nicht sein. Ja, dahinter liegt eine grundsätzliche Ablehnung des eigenen Volkes (“typisch deutsch”= negativ; “Bereicherung” = wir selbst sind sehr armselig usw.) Diese Angsthaltung, diese Selbstallergie, die bei den Grünen und Linken die Vergötterung alles Nichtdeutschen bewirkt, hat, ist völlig absurd und grotesk. Die ganze Welt schüttelt den Kopf. Um das zu überwinden, schlage ich vor, wir alle beginnen den Tag mit dem Blick in den Badezimmerspiegel: “Ich bin gut, ich darf leben…”

Winfried Jäger / 09.09.2016

Danke für diesen wunderbaren Beitrag. Klar, verständlich und auch noch humorvoll. Bitte mehr davon.

Hans Meier / 09.09.2016

Interessant wäre es zu wissen welche Medikation im Team Merkel verabreicht wird.

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