Vera Lengsfeld / 15.01.2019 / 16:00 / Foto: Fabian Nicolay / 28 / Seite ausdrucken

Die Angst der Politiker vor der Bevölkerung

Kaum eine Stunde vergeht, ohne dass ein Politiker der Altparteien betont, er und seine Kollegen seien die Demokraten in unserem Land und bereit, unsere Demokratie aktiv zu verteidigen. Wie die Realität aussieht, konnte man gestern, am 14. Januar, bei der öffentlichen Anhörung des Petitionsausschusses zur Petition gegen den Migrationspakt erleben.

Es ist bisher einmalig in der Parlamentsgeschichte, dass innerhalb eines Vierteljahres die zweite öffentliche Anhörung angesetzt werden musste, weil eine Petition das Quorum von 50.000 Unterstützern innerhalb eines Monats nicht nur erfüllt, sondern übererfüllt hatte. Im diesem Falle waren es trotz aller technischen Ausfälle des Bundestagsservers und der teilweise verspätet geschickten Bestätigungsmails – so dass Stimmen wegen Ablaufs der Laufzeit nicht mehr gezählt wurden – über 107.000 Unterstützer. 

Wie viele Petitionen insgesamt eingereicht wurden, war nicht zu erfahren. Das Mitglied des Petitionssauschusses Gero Storjohann sprach bei einem Treffen mit Petra Paulsen von über 200 Petitionen. Der Ausschussvorsitzende Marian Wendt wollte diese Zahl mir gegenüber nicht bestätigen, obwohl er selbst der Berichterstatter ist, also informiert sein müsste, wenn er seine Aufgabe ernst nimmt.

Das Besondere an der öffentlichen Anhörung ist, dass nicht nur interessierte Bürger daran teilnehmen können, sondern dass sie im Parlamentskanal übertragen wird und später im Internet abrufbar ist. Allerdings gab es auch diesmal Probleme. Es hatten nicht alle, die sich zur Teilnahme angemeldet hatten, eine Bestätigungsmail erhalten. Die mussten draußen bleiben, obwohl auf der Besuchertribüne noch einige wenige Plätze frei waren.

Die Anhörung sollte von 12.00 bis 13.00 Uhr dauern. Der Ausschussvorsitzende eröffnete leicht verspätet die Sitzung und ermahnte als Erstes die Besucher auf der Tribüne, von Beifalls- oder Missfallenskundgebungen abzusehen. Auch Transparente oder Poster hochzuhalten, sei nicht erlaubt. Dann wurden noch einmal die Regeln erklärt. Der Petent hatte zu Beginn die Gelegenheit, das Anliegen seiner Petition in fünf Minuten vorzustellen, daran anschließend folgte die Fragerunde. Für Fragestellung und Antwort waren je eine Minute vorgesehen. Für die Bundesregierung saß der Parlamentarische Staatssekretär Niels Annen in der Runde. Was der Ausschussvorsitzende dem Publikum verschwieg, war, dass es sich bei der verhandelten Petition um eine sogenannte Leitpetition handelte, die stellvertretend für alle anderen Petitionen zum Thema besprochen wurde.

Dem Petenten wurden ganz wenige Fragen gestellt 

Bezeichnend ist, dass die Linken und die Grünen, zwei Parteien, die in ihren Programmen für mehr Bürgerbeteiligung und Volksabstimmung plädieren, gegen die öffentliche Anhörung gestimmt haben. Ausgewählt hatten die Obleute die Petition 21 von Herrn Englmeier. Wenn das mit der Hoffnung verbunden gewesen war, dass die Petition eines Einzelkämpfers nicht die notwendige Unterstützung erfahren würde, hatten sich die Herren und Damen Abgeordneten getäuscht. 

Wenn die Abgeordneten weiter gehofft hatten, sie könnten einen Einzelkämpfer ohne Erfahrung in der Politik bloßstellen, war auch das vergeblich. Ich wurde vom Ausschussvorsitzenden streng verwarnt, dem Petenten während der Sitzung keine Hinweise zu geben, sonst würde ich sofort aus dem Sitzungsraum entfernt. Hinweise waren nicht nötig. Herr Englmeier war brillant. 

Beispiel: Ein Unions-Abgeordneter fragte, ob der Petent denn gegen Multilateralismus und damit gegen die Kooperation mit anderen Staaten in der Migrationsfrage sei. Englmeier konterte, dass er sich Zusammenarbeit mit den europäischen Staaten, vor allem den osteuropäischen, wünsche, nicht mit Staaten wie Saudi Arabien oder anderen Diktaturen. 

Übrigens war das eine der ganz wenigen Fragen, die dem Petenten gestellt wurde, die meisten richteten sich an den Vertreter der Bundesregierung. Offenbar hatten die Abgeordneten der Altparteien aus der öffentlichen Anhörung zur Gemeinsamen Erklärung 2018 die Schlussfolgerung gezogen, die Petenten möglichst wenig zu Wort kommen zu lassen. 

Jeder Abgeordnete kann die Regierung zu Beginn jeder Sitzungswoche befragen, dafür gibt es eine spezielle Fragestunde. Bei einer öffentlichen Anhörung dienen die Fragen an die Regierung dazu, die Zeit für den Petenten zu beschneiden. Zusätzlich darf der Petent der Regierung keine Fragen stellen.

In Marakesh sprachen Dikatatoren vor und nach Merkel

Annen als Vertreter der Bundesregierung machte keine gute Figur. Bei seinen Ausführungen fühlten sich die Besucher auf der Tribüne zu recht auf den Arm genommen, was zu Missfallenskundgebungen bei fast allen seine Ausführungen führte. Er versteig sich zu der Behauptung, die Bevölkerung wäre rechtzeitig und umfassend über den Migrationspakt informiert worden, obwohl er eingestehen musste, dass die deutsche Übersetzung erst im Oktober vorlag. Man hätte sich auf den Seiten der UNO über die Verhandlungsschritte informieren können. Wie man das tun kann, ohne zu wissen, was die UNO vor hat, ließ er im Dunklen. Die deutsche Regierung wäre von Anfang an aktiv an den Verhandlungen beteiligt gewesen. Da fragt man sich, wieso dann von den Interessen und Bedürfnissen der aufnehmenden Gesellschaften im Vertrag kaum etwas zu finden ist. 

Wie dieser Pakt zur Reduzierung der Migration führen soll, wie Annen stur behauptete, wurde von ihm ebenfalls nicht belegt. Dagegen wurde wieder betont, der Pakt würde dazu führen, dass alle Länder ihre Standards für die Behandlung von Migranten anheben müssten, bis hin zum deutschen Vorbild, was freundlich gesagt Wunschdenken ist.

Nicht einmal alle europäischen Länder könnten – selbst wenn sie wollten – deutsche Standards übernehmen, weil die Sozialhilfesätze bei uns noch über den dortigen Durchschnittseinkommen liegen. Die Bundeskanzlerin wäre selbst nach Marrakesch geflogen, um die Bedeutung, die sie dem Migrationspakt beimisst, zu unterstreichen. Dort redeten vor und nach ihrem Auftritt Diktatoren, was deutlich macht, wer die wirklichen Profiteure des Paktes sind. 

Wer wissen will, wie inkompetent und ignorant unsere Bundespolitiker sind, sollte sich die knappe Stunde Zeit nehmen und sich die Veranstaltung anschauen. Die grüne Abgeordnete Rottmann verwechselte sogar den Flüchtlings- mit dem Migrationspakt, oder ihr ist der Unterschied zwischen beiden Pakten nicht klar. 

Die kurzen, aber präzisen Hinweise des Verfassungsrechtlers Ulrich Vosgerau, der Englmeier bei der Anhörung unterstützte, versetzten die Abgeordneten offenbar in Angst und Schrecken. Als er am Ende der Fragerunde der Abgeordneten Rottmann antworten wollte, wurde er vom Ausschussvorsitzenden Wendt rüde daran gehindert. Angeblich sei die Zeit abgelaufen. Dabei war es erst 12.55 Uhr, wie die Uhr im Sitzungssaal anzeigte. 

Durch das Volk gestört

Die Volksvertreter, das zeigt die Anhörung in aller Deutlichkeit, fühlen sich durch das Volk gestört.

Einen Beschluss, wie mit der Gemeinsamen Erklärung gegen die ungebremste Illegale Einwanderung, deren öffentliche Anhörung bereits im Oktober stattgefunden hatte, umgegangen wird, gibt es bis heute nicht. Die Berichterstatter hätten ihre Voten noch nicht abgegeben, teilte mir Ausschussvorsitzender Marian Wendt Wendt mit. Hier soll das Problem offenbar verschleppt werden in der Hoffnung, dass eines Tages niemand mehr nachfragt. Diese Hoffnung ist vergeblich. Wir werden weiter Druck machen.

Für uns war die Anhörung ein großer Erfolg. Wenn genügend viele Bürger sich in ihre eigenen Angelegenheiten einmischen, können sie die Abgeordneten zwingen, ihnen Rede und Antwort zu stehen. Aus der Art, wie die Politiker versuchen, sich der Auseinandersetzung mit ihren Wählern zu entziehen, sollte jeder seine Schlüsse für die Wahlen in diesem Jahr ziehen. 

Foto: Fabian Nicolay

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Leserpost

netiquette:

herbert binder / 15.01.2019

Ob Churchill seinen Spruch über die Demokratie auch heute noch genau so in die Welt posaunen würde?

Rolf Lindner / 15.01.2019

Es gab Zeiten, da wäre so eine Farce Titelgeschichte des einen oder anderen Politmagazins oder Tageszeitung gewesen.

Mike Loewe / 15.01.2019

“Übrigens war das eine der ganz wenigen Fragen, die dem Petenten gestellt wurde, die meisten richteten sich an den Vertreter der Bundesregierung. ” - Das ist ja kafkaesk! Die Regierung befragt gewissermaßen die Regierung, und das in dieser wertvollen Stunde, die eigentlich der Petition gehören soll?

von Kullmann / 15.01.2019

Eine Waschfrau würde nicht so abbügeln, wie Herr Wendt das macht. Sie wäre überhaupt auf Arbeit, vornehmlich auf gute Arbeit für ihre Kunden angewiesen. Er machts qua Amt, als Machtmensch gegen Untermenschen.  Herr Wendt ist da, in seinem Ausschuss, aber er ist nicht für Petitionen im Wortsinn bereit. Eine absolute sich undemokratisch gebende Fehlbesetzung, dieser Herr.

Magdalena Hofmeister / 15.01.2019

“Die Volksvertreter, das zeigt die Anhörung in aller Deutlichkeit, fühlen sich durch das Volk gestört.” Hierin liegt meines Erachtens auch der Zweck der von der EU vorangetriebenen Migrationspolitik: Der EU und mit ihr allen voran sind ihre eigenen Völker lästig geworden und damit die Demokratie. Politisch und nicht nur wirtschaftlich eine EU als demokratischen Staatenbund zu führen ist unglaublich mühsam, langsam und unbeweglich. Die sicherste Methode zur Zerstörung der Konsensfähigkeit innerhalb seiner Staaten als Voraussetzung der Demokratie ist letztendlich die Fraktionierung der Bevölkerung, um den Weg in eine autokratische Herrschaft von EU-Eliten zu ebnen. Es werden dabei Zustände befördert werden, dass die Menschen selbst nach der alles ordnenden Hand schreien werden. Das klingt für viele sicherlich nach Verschwörungstheorien, aber die Indizien zeigen m.M. n. alle in eine Richtung.

Jochen Brühl / 15.01.2019

Ich werde definitiv meine Schlüsse ziehen. Ich frage mich allerdings keineswegs, weshalb bei einer aktiven Mitgestaltung der Bundesregierung von Anfang an bei diesem Pakt keinerlei Interessen der Aufnahmegesellschaft berücksichtigt wurden. Darin lag und liegt ja gerade die Gefahr, wenn bei dem Thema die deutsche Regierung unter Merkel mitmischt. Sie muss so schnell wie möglich die aktuelle Rechtslage überwinden, um nicht in Bedrängnis zu geraten, wenn sie nicht mehr die Macht hat.

Silas Loy / 15.01.2019

Diese Anhörungen machen vor allem deutlich, wie es im Hause Bundestag bei Petitiönchen wirklich zugeht. Vielleicht soll das ja auch abschrecken von weiteren basisdemokratischen Versuchen dieser Art. Jedenfalls bleibt es dabei: wer diese Leute nicht will, darf sie nicht wählen. Und was den Paria AfD angeht: Man sollte Fragen klar verständlich, kurz und bündig vortragen, gerne abgelesen, aber nicht stotternd und auch nicht in ellenlangen Bandwurmsätzen. Das muss sitzen. Und Agitation mittels rhetorischer Fragen ist einfach schlechter Stil, das sieht man ja schon bei den Grünen mit der Frau Dr. Rottweiler.

Gert Köppe / 15.01.2019

“Aus der Art, wie die Politiker versuchen, sich der Auseinandersetzung mit ihren Wählern zu entziehen, sollte jeder seine Schlüsse für die Wahlen in diesem Jahr ziehen.” Wie hieß es früher immer? “Ja, das geloben wir!” Da können die sich drauf verlassen, wir ziehen unsere Schlüsse.  ......Gern geschehen!

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