Wolfgang Mayr, Gastautor / 27.03.2018 / 12:56 / Foto: Papamanila / 7 / Seite ausdrucken

Die Achse Berlin-Madrid erwacht

In Belgien, in der Schweiz, in Finnland und in Dänemark blieben und bleiben katalanische Unabhängigkeitspolitiker von den Behörden unbehelligt. Offensichtlich teilen die belgische und Schweizer Justiz nicht den Vorwurf des spanischen Staates, dass es sich bei den katalanischen Separatisten um Kriminelle handelt. Für die deutsche Justiz scheint dies hingegen zuzutreffen. Die deutsche Justiz teilt die Haltung des spanischen Staates, wonach es sich beim katalanischen Unabhängigkeitsreferendum vom vergangenen Herbst um eine Rebellion handelt, einen kriminellen Akt.

Anders verhält sich die Schweiz, dorthin hatte sich Anna Gabriel von der linksradikalen Separatistenpartei CUP abgesetzt. Franco Galli, Sprecher des Eidgenössischen Justizdepartements in Bern, sagte der Westschweizer Zeitung Le Temps, dass ein Auslieferungs- oder Rechtshilfegesuch aus Spanien wohl chancenlos wäre. Da es sich „aller Wahrscheinlichkeit nach“ um ein „politisches Delikt“ handle, würde die Schweiz die spanische Justiz – im Sinne des eidgenössischen Strafgesetzes und der Europäischen Menschenrechtskonvention – nicht unterstützen.

Weder Aufruhr noch Rebellion

Das Vorgehen der spanischen Justiz – es wurden bereits gegen Puigdemont und zwölf weitere katalanische Politiker Strafverfahren eingeleitet, gegen sieben ins Ausland ausgewichene Politiker wurde neue Haftbefehle erlassen – stößt auch innerhalb Spaniens auf Kritik.

So kritisieren mehr als hundert Strafrechtprofessoren spanischer Universitäten in einem Manifest die Generalstaatsanwaltschaft und Richterin Carmen Lamela vom nationalen Gerichtshof (Audiencia Nacional). Das von der katalanischen Regierung und Mitgliedern des Parlamentspräsidiums initiierte Unabhängigkeitsreferendum und die damit verbundene Unabhängigkeitserklärung erfüllen laut den Strafrechtlern weder den Straftatbestand des Aufruhrs noch den der Rebellion. Sie weisen darauf hin, dass Gewalt als „strukturelles Element“ Voraussetzung für eine Anklage wegen Rebellion sei – beim Referendum und bei der Erklärung der Unabhängigkeit gab es keine Gewalttätigkeiten. Nur am Tag des Referendums sorgten die Militärpolizisten von der Guardia Civil für Prügelorgien. Und selbst der mit deutlich geringerem Strafmaß belegte Aufruhr sei nicht gegeben, da die Angeklagten nicht an Tumulten teilgenommen oder sie verursacht haben.

Auch wenn es die Straftat der Rebellion und des Aufruhrs geben würde, schreiben die Strafrechtler, sei der nationale Gerichtshof dafür nicht zuständig. Die Angelegenheit gehöre vor ein ordentliches Gericht in Barcelona. Die Audiencia Nacional habe in Vergangenheit schon öfter darauf hingewiesen, dass sie für derartige Delikte nicht zuständig ist. In dem Manifest wird auch noch die „unverhältnismäßige“ Verhängung von Untersuchungshaft kritisiert.

China und Türkei lassen verhaften

Die Verhaftung Puigdemonts an der deutsch-dänischen Grenze aufgrund eines europäischen Haftbefehls erinnert an die Inhaftierung des Kölner Schriftstellers Dogan Akhanli in Spanien im August 2017. Gewollt von der Türkei. Im Juli 2017 verhafteten die italienischen Behörden den deutschen Staatsbürger Dolkun Isa, uigurischer Menschenrechtsverteidiger und Generalsekretär des Weltkongresses der Uiguren mit Wohnsitz in München. China lässt den Menschenrechtler wegen vermeintlicher Unterstützung des Terrorismus per Haftbefehl suchen. Die Türkei und China sind keine demokratischen Rechtsstaaten, Deutschland schon. Macht sich die deutsche Justiz mit der Verhaftung von Puigdemont nicht zum Erfüllungsgehilfen einer politisierten spanischen Justiz?

Die harte Linie der spanischen Justiz stieß auch bei amnesty international auf Kritik. Als das spanische Höchstgericht (Tribunal Supremo) den Enthaftungsantrag von Jordi Sànchez von der katalanischen Nationalversammlung ANC abgelehnt hatte, sprach Gauri van Gulik, Direktorin von ai-Europa, von einer „exzessiven und unverhältnismäßigen Einschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und der Versammlungsfreiheit“. Amnesty international forderte nachdrücklich die sofortige Freilassung von Jordi Sanchez und Jordi Cuixart. Zudem müsse die Anklage wegen Aufruhrs und Rebellion fallengelassen werden, da sie ungerechtfertigt sei.

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Uwe Dippel / 27.03.2018

So einfach ist das nicht. Auch nicht, was andere Kommentatoren schreiben. Natürlich hat jeder Spanier, und jeder Katalane, das Recht, für die katalanische Unabhängigkeit einzutreten, diese zu vertreten und sich sogar dafür bei einer Wahl aufstellen zu lassen. Das wirft ihm niemand vor. Es ist allerdings im spanischen Strafrecht vorgesehen, dass es keine einseitigen Unabhängigkeitserklärungen geben darf, das ist übrigens im Völkerrecht genauso geregelt. Auch darf keine Region eigenständig ein Referendum über eine einseitige Unabhängigkeitserklärung abhalten. Deshalb hat man Puigdemont wegen Veruntreuung von Staatsgeld angeklagt. Stimmen tut allerdings, dass es keinen Grund für die Deutschen gab, das brave Kind im Block zu spielen, und ihn - obwohl nur auf der Durchreise - festzunehmen.

Axel Kracke / 27.03.2018

Berlin möchte ein Zeichen setzen, um eventuellen Wünschen nach Separation im eigenen Land rechtzeitig einen Riegel vorzuschieben.

Lars Bäcker / 27.03.2018

Kurze Kritik: Wir können uns doch nicht einerseits beschweren, dass der Rechtsstaat erodiert, weil Gesetze faktisch außer Kraft gesetzt werden, andererseits aber darüber mosern, dass ein Gesetz ‘mal eingehalten wurde. Es liegt nun einmal ein europäischer Haftbefehl vor, den Deutschland nun vollstreckt hat. Dass uns das Ergebnis nicht passt, spielt dabei aus rechtsstaatlicher Sicht keine Rolle.  Denn genau diesen Vorwurf machen wir ja all denen, die mal eben per Handstreich geltendes Recht im Hinblick auf die Öffnung der Grenze in die Tonne getreten haben. Interessengesteuerte Ignorierung geltenden Rechts. Dass sich Deutschland mit dieser Festnahme möglicherweise Spanien gewogen machen und ein Auseinanderbröckeln dieses Landes verhindern möchte, steht auf einem ganz anderen Blatt. Solange sich interessengesteuerte Politik im Rahmen geltenden Rechts bewegt, werde ich das nicht kritisieren. Freuen wir uns doch lieber an der nunmehr widerlegten Aussage unser aller Kanzlerin, dass eine “vollständige Überwachung der Deutschen Grenze ohnehin nicht möglich sei”. Und noch einen Tipp an die Puigdemonts dieser Welt, falls sie nach Deutschland einreisen wollen: An der Grenze einfach “Asyl” sagen. Dann gibt’s statt Auslieferungshaft ein warmes Plätzchen im Flüchtlingswohnheim. Und von dort lässt es sich bequem untertauchen, bzw. weiterreisen. Hätte nie gedacht, dass ich mal so sarkastisch kommentieren würde…

Karla Kuhn / 27.03.2018

“China und Türkei lassen verhaften”  Erdogan strebt auch weiterhin eine VOLLMITGLIEDSSCHAFT in der EU an.  Wenn sie ihm gewährt wird, dann wissen wir ja, wohin Hase läuft. Und Deutschlands unrühmliche Vergangenheit ?? Hat mal ein Vollzieher der Verhaftung von Puigdemont darüber nachgedacht ??  Vielleicht werden jetzt auch viele Spanier wach und streben genau wie England einen “Spaxit” an ?? Man glaubt nicht, daß innerhalb der EU, ein EU Land einen Politiker eines anderen EU Landes verhaften läßt, obwohl er in diesem Land keine Strafe begangen hat. Haftbefehl hin oder her. Spanien ist bei uns gestrichen !! Aber Puigdemont hat den großen Fehler begangen nicht sofort Asyl zu verlangen.

N. Müller / 27.03.2018

”Die Türkei und China sind keine demokratischen Rechtsstaaten, Deutschland schon.” Der Autor scheint noch in der Vergangenheit zu leben, anders ist für mich diese Aussage nicht erklärbar.

H.Roth / 27.03.2018

Die Angst vor realer Demokratie sitzt den Spaniern tief im Nacken. Und der Regierung in Deutschland wohl auch. Das Volk darf nur nicht seinen Willen bekommen.  Sezession ist böse und Sezessions-Politiker erst recht. Man stelle sich nur vor, es gäbe solch einen Fall in Bayern! Unmöglich! Ich wage sogar zu behaupten, dass die deutsche Regierung heute erwägen würde, meine Bekannten, die vor etlichen Jahrzehnten als politisch Verfolgte vor der Ceausescu-Tyrannei in den Westen geflohen sind, wieder dahin zurück zu schicken. Ganz im Sinne treuer Antidemokraten.

Frank Hilgers / 27.03.2018

Also an den Fall Dogan Akhanli erinnert mich das Ganze nun wirklich nicht. Die Verhältnisse in Spanien und der Türkei gleichzusetzen halte ich für arg übertrieben. Allerdings hat Deutschland eine Chance verpasst die Einreise einfach zu ignorieren. Er wohnt nicht hier und wollte zurück nach Belgien. War es wirklich nötig, sich diesen Schuh anzuziehen?

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