Das Modeleiden “Boreout” ist ein Hoax
Hoaxes lassen uns glauben, etwas Falsches sei real. Fast jeder ist schon mal auf eine solchen Hoax (etwa in der Form eines angeblichen Computervirus) hineingefallen. 1938 hielten viele New Yorker einer Radioreportage von Orson Welles für die Berichterstattung über eine echte Invasion von Marsmenschen. James Randi, ein Kämpfer gegen das Irrationale, verwendet manchmal Hoaxes um den Glauben an das Paranormale zu entlarven. Hoaxes sind aber meist nur peinliche Veräppelungen, wie die Hitler Tagebücher oder verbogene Gabeln von Uri Gellert. Einfach weniger offensichtlich, da versteckt hinter Anglizismen…
Sind manche Krankheiten, etwa das Offroader-Syndrom, ein Hoax? Die befallenen Patienten entwickeln beim Anblick eines Geländefahrzeugs leichte CO2-Vergiftungs -Erscheinungen, von Schwindel bis zu Druckgefühl in der Brust. Begleitet wird das Syndrom vom Zwang Autos zu verkratzen, oder wenigsten den Fahrer strafend anzublicken. Offroader-Patienten haben einen übertriebenen Wunsch ihre Zwänge in der Öffentlichkeit auszubreiten, manchmal sogar als Lesebriefschreiber. Der unbändige Wunsch die Welt von CO2 zu befreien, ist die logische Form der Selbstherapie. Wie bei Krankheiten üblich, liegt die Ursache entweder ausserhalb des Körpers: nicht in unseren Genen. Statt um eine infektiöses Agens handelt es sich hier um ein Gas.
Auch die Ursache für das Boreout Syndrom soll nicht in den Genen liegen. Schuld ist die Gesellschaft. Ein Boreout soll ebenso gravierend wie ein Burnout sein. Als wichtiger Auslöser eines Boreouts gelten Chefs, die nicht delegieren können. Gemäss einer Studie zweier Unternehmensberater leiden bereits fünfzehn Prozent der Angestellten in Dienstleistungsbetrieben an der neuen Krankheit. Mittlerweile geben über 40 Prozent der „FAZ“-Leser online zu, an einem Boreout zu leiden oder jemanden zu kennen, der dieses Problem hat. Mich hat es auch erwischt, obwohl ich keinen Chef habe.
Nun, worin besteht ein Boreout? Die Ursachen sind Unterforderung, Desinteresse und Langeweile. Man entwickelt Verhaltensstrategien, wie etwa, bei der Arbeit beschäftigt zu wirken, obwohl dies gar nicht der Fall ist. Versendet man während der Arbeit private E-Mails an Kollegen, oder erledigt man sonst private Dinge, ist dies ein Indiz, um an Boreout-Erkrankung. Könnte man gar seine Arbeit schneller erledigen, oder würde gerne manchmal etwas anderes arbeiten, sollte man dies für sich selber behalten. Die Diagnose Boreout könnte sonst vom Arbeitskollegen gestellt werden. Wenn Sie nicht sicher sind, ob Sie selber daran leiden, konsultieren sie den Link: http://www.boreout.com.
„Diagnose Boreout“ ist im März 2007 als Buch erschienen und hat Furore gemacht. An der Frankfurter Buchmesse wurde das Buch für zwei deutsche Wirtschaftsbuchpreise nominiert. In ganz Europa haben die Medien das Thema aufgenommen, und zahlreiche Firmen haben bereits Kurse am schweizerischen Institut für Betriebsökonomie gebucht um dem Syndrom im Betrieb zu begegnen.
Bis jetzt hat niemand bemerkt, dass es sich bei dieser neuen Krankheit um einen Hoax handelt. Ich möchte daher den beiden Autoren Philippe Rothlin und Peter R. Werder hiermit öffentlich gratulieren. Dieser Hoax war meisterhaft! Es dauerte lange, bis jemand reagierte. Es gab wenige Winke, ausser vielleicht das schalkhafte Lächeln der beiden sympathischen Autoren auf obiger Homepage. Natürlich werden sich jetzt viele melden, sie hätten es längst gewusst. Peinlich wird es für die vielen, die sich in der Öffentlichkeit bereits als faule Säcke geoutet haben? Es bleibt ihnen die Flucht nach vorne: mittels Gentests epidemiologische Studien durchzuführen. So wie man jetzt weiss, dass das AIDS Virus vom Affen auf uns übersprang, findet man vielleicht den Erreger für Faulheit. Es würde mich nicht erstaunen, wenn es ich um ein Virus handelte, das vom Faultier auf uns übergesprungen ist.
Die Kolumne erschien zuerst am 18. November 2007 in der NZZ am Sonntag.