Vera Lengsfeld / 14.06.2017 / 15:46 / 6 / Seite ausdrucken

Deutschlandfunk: Kalenderblatt mit Geschichtsklitterung

Heute vor 75 Jahren starb der Maler Heinrich Vogeler in Kasachstan. Er war vom NKWD, der sowjetischen Geheimpolizei, wie viele andere Deutsche zwangsevakuiert worden. Er musste dem Kolchos Budjonny beitreten und wurde zur Arbeit an einem Staudamm eingeteilt, die seine Kräfte überstieg. Seine Rente wurde aus Moskau nicht mehr überwiesen. Die Unterstützung von Künstlerkollegen, wie dem Schriftsteller Erich Weinert, reichte nicht aus. Heinrich Vogeler verhungerte.

Für den Deutschlandfunk war der Vogelers Todestag  Anlass für einen Beitrag in seinem „Kalenderblatt“. Der ging sehr schön los mit einer Beschreibung von Vogelers berühmten „Sommerabend“ von 1905 und der Geschichte des Barkenhofes in Worpswede, wo der „spätromantische, märchengläubige“ Maler seine Utopie vom neuen Menschen und der neuen, alles gestaltenden Kunst zu leben versuchte. Vogeler gestaltete nicht nur Haus und Garten nach seinen Plänen, sondern auch Tapeten, Möbel, Geschirr, Besteck. Sogar die Kleidung der Bewohner wurde auf die Einrichtung abgestimmt. Das neue Leben mit den Mitteln der Kunst ging schief, das sieht man seinem „Sommerabend“ an. Später sagt Vogeler selbst, das Bild sei ein „schmerzhafter Abschied, ein Rückblick auf Verlorenes“ gewesen.

Das andere neue Leben startete, als der Barkenhof nach sozialistischen Prinzipien umgestaltet wurde. Der Jugendstilgarten mutierte zum biodynamischen Gemüsebeet, die Wände der Eingangshalle wurden mit sozialistisch-realistischen Wandgemälden umgestaltet. Vogeler wurde schließlich Mitglied der KPD, nicht der DKP, wie es im Deutschlandfunk fälschlicherweise hieß. Die Partei warf ihn aber bald wieder aus ihren Reihen, weil er sich der innerparteilichen Opposition angeschlossen hatte.

Viele geschönte Bilder vom Alltagsleben im Sozialismus

In den zwanziger Jahren bereiste der Maler, der sich U.S. Navy/Mark Logico sah, mehrmals die Sowjetunion. Er gelangte bis nach Karelien und Usbekistan, wo viele geschönte Bilder vom Alltagsleben im Sozialismus entstanden. Nachdem der Barkenhof finanziell nicht mehr zu halten war, verkaufte er ihn an die „Rote Hilfe“,  eine Organisation der KPD, die ihn zum Kinderheim umfunktionierte. Beruflich geriet Vogeler durch sein politisches Engagement in immer größere finanzielle Engpässe. Er entschloss sich 1931 in die Sowjetunion umzusiedeln, wo er sich in den sowjetischen Kulturbetrieb einspannen ließ. Er malte Propagandabilder, die er später zum Teil selbst vernichtete oder umarbeitete.

Nach dem Überfall der Nazis auf die Sowjetunion wurde Vogeler wie die meisten der in der Sowjetunion lebenden Deutschen zwangsumgesiedelt. Das war ein Akt äußerster Willkür, angeordnet von Stalin, der mehr kommunistische Parteifunktionäre erschießen, in Lagern oder der Verbannung umkommen ließ, als die Nazis. Der Deutschlandfunk erwähnt das mit keinem Wort, sondern erweckt den Eindruck, Vogelers Leben wäre durch die Nazis akut bedroht gewesen. Er stand zwar auf einer Todesliste,  tatsächlich blieb die Wehrmacht aber 40 Kilometer vor Moskau stecken. In Moskau hätte Vogeler von den Nazis nichts zu befürchten gehabt.

Am Ende geht der Deutschlandfunk-Beitrag so weit zu behaupten, die „Leute“ in Vogelers Kolchose, „die alles andere als überzeugte Sowjetbürger waren“ hätten den Maler „verhungern und verrecken“ lassen. Damit wird das Verbrechen Stalins seinen Opfern zugeschoben, denn die Kasachen hatten ebenso sehr mit dem Hunger zu kämpfen, wie die Zwangsumgesiedelten. Sie hatten nur den Vorteil, Häuser und Gärten zu besitzen, die ihnen eine bescheidene Selbstversorgung ermöglichten.

Wie es den Deutschen in Kasachstan ging, hätten die „Experten“ des Deutschlandsfunks in den Büchern von Wolfgang Leonhard oder Wolfgang Ruge nachlesen können. Letzterer ist gerade wieder etwas im Fokus, weil er einer der Haupthelden im Roman seines Sohnes Eugen „In Zeiten des abnehmenden Lichtes“ ist, der gerade von Matti Geschonneck genial verfilmt, im Kino gezeigt wird. Die Frage bleibt, warum der Deutschlandfunk sich eine so krasse Geschichtsklitterung leistet.

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Leserpost

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Th.F. Brommelcamp / 15.06.2017

Liebe Frau Lengsfeld. Bitte verzeihen Sie dem Deutschlandfunk. Auch hat seine Bürde mit dem verflachten Bildungssystem. Es ist nicht leicht denkkonformes Personal den gebildeten zu finden. Außerdem war Historiengenauigkeit nie deren Stärke.

Michael Scheffler / 15.06.2017

Liebe Frau Lengsfeld, sehr schöner Beitrag. Nur eine historische Anmerkung: “Nazis” ist ein abkürzender Kampfbegriff Dimitroffs, der ihn für die Komintern erfunden hat, um davon abzulenken, dass die Sozialisten nur durch das “National” vom anderen totalitären System zu unterscheiden waren. Beste Grüße

Jochen Brühl / 15.06.2017

Warum sollte es bei den öff.-rechtl. Medien besser sein als bei den Grünen, die sie mit kontrollieren. Katrin Göhring-Eckert erzählt ja auch, dass die Dresdner Frauenkirche von den Nazis zerstört wurde und erweckt damit den Eindruck, als wäre sie von denen gesprengt worden.

Ottmar Gerster / 15.06.2017

Danke, Frau Lengsfeld, für die Aufklärung. Die zuletzt gestellte Frage kann leicht beantwortet werden: Weil die Bevölkerung durch die Staatssender bewußt manipuliert statt informiert wird; dieser Skandal wird von manchen auch als Umerziehung bezeichnet.

Klaus Meier / 14.06.2017

Danke für diesen Artikel.Es ist immer wieder schön deratiges zu lesen.

Winfried Sautter / 14.06.2017

Die Sowjetunion der 1930er Jahre war das Wirklichkeit gewordene Utopia westlicher Linksintellektueller. Und auch heute wird diese Verklärung nicht in Frage gestellt. Wenn die Realität des Stalinismus anders war, so war es entweder der Notwendigkeit des historischen (=teleologischen) Fortschritts und seiner Kollateralschäden geschuldet, oder es war der Atavismus der rückständigen russichen Gesellschaft, die sich noch nicht reif zeigte für den Kommunismus. Heinrich Vogeler ist eines der tragischen Opfer dieses Selbstbetrugs. Aber das sollten die “Eliten” mit sich selbst ausmachen.

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