Alexander Gutzmer / 25.09.2013 / 09:44 / 4 / Seite ausdrucken

Deutschland und die Gutfühleritis

Ein interessantes Phänomen beherrscht momentan unser Land und seine Medien: Die Gutfühleritis. „Uns geht es doch gut“, hört man allenthalben. Das Narrativ des eigenen relativen Wohlergehens ist der Kanon vieler Kommentare zur wirtschaftlichen Lage im Land. Ein Land im selbstverordneten Feelgood-Modus. Wie viel das jeweils mit der Realität zu tun hat, ist allerdings eine andere Frage.

Ein Beispiel der Gutfühleritis legt heute die Süddeutsche Zeitung vor. „Deutsche immer reicher“ titelt das Blatt in seiner Printausgabe. Und stimmt dann auf Basis einer aktuellen Studie der Allianz das Lied der reichen Deutschen an, die auf mirakulöse Weise unfassbar gut „durch die Krise gekommen“ seien.

Allein: Die Zahlen, auf die sich die Zeitung beruft, sagen etwas anderes aus. Die Studie misst das durchschnittliche Netto-Geldvermögen pro Kopf. Und da steht Deutschland deutlich unphantastischer da, als die SZ es in rhetorisch etwas zerknirschtem, doch letztlich sich selbst feierndem Ton konstatiert. Deutschland liegt unter 50 betrachteten Ländern auf Platz 17, also im oberen Mittelfeld. Davor nicht nur die erwartbaren USA, Kanada oder Japan. Sondern auch Länder wie Belgien, Holland und – hört hört – Großbritannien. Ebenso wie – hört hört noch mal – Italien und Frankreich.

Auch interessant: der Vergleich zum Vorjahr. Eine Grundthese der Gutfühleritisten ist ja, dass Deutschland gerade dabei ist, eine Art eigene ökonomische Mega-Champions League aufzumachen, in der wir nur noch mit uns selber kämpfen. Nun ja. Richtig ist, dass das Geldvermögen der Deutschen im vergangenen Jahr wuchs (um 6,7 Prozent laut Allianz oder, in der SZ-eigenen Gutfühleritis-Rundungsart, um 6,8 Prozent). Betrachtet man allerdings die 20 erstplatzierten Länder, so nahm das Vermögen in 13 Ländern stärker zu (unter anderem in Großbritannien, von dem die Deutschen ja momentan glauben, das Land stehe kurz vor dem Kollektivruin).

Nun könnte man natürlich sagen, ein wenig gute Laune ist doch okay, auch wenn sie auf ökonomischer Autosuggestion beruht. Die Frage ist nur: Herrscht wirklich der grenzenlose Optimismus? Mir scheint doch eher ein Pfeifen im Walde durchs Land zu trällern. Das spürte man im vergangenen Wahlkampf deutlich. Es herrschte eine seltsame Mattheit, ein Verwischen der Themen, eine diffuse Langeweile. Nils Minkmar hatte das in der FAZ wunderbar aufgeschrieben. Dieses Diffuse haftet auch vielen ökonomischen Bestandsaufnahmen momentan an. Wir schauen lieber nicht so genau hin, hoffen, dass die „Es geht uns doch gut“-These weiter zieht – und dass die Kräfte der Globalisierung uns nach Möglichkeit in Ruhe lassen.

Interessant ist, dass die meisten Medien (nicht nur die Süddeutsche Zeitung) dabei so willfährig mittirilieren. Vielleicht will man nicht als Stimmungsverderber dastehen. Vielleicht steht den Journalisten der Sinn nach Jahren des Reformjammers auch einfach nach guten Nachrichten, zumal es der eigenen Branche ja schlechter geht denn je. Im Falle der SZ kommt sichtlich noch ein weiteres Motiv hinzu: Man will die Allianz-Studie zum Treibstoff für eine aggressive SPD machen. Die schwächelnden Sozialdemokraten sollen Rückenwind in der zu erwartenden Großen Koalition bekommen. Das Argument: Wenn dieses Land doch so unfassbar reich ist, dann muss doch wohl deutlich mehr Umverteilung her.

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Hans-Hermann Gutzmer / 27.09.2013

Statistiken sind sehr grob und nennen nur den Durchschnitt. Wie dieser zustandekommt, bleibt im Dunkeln. Beispiel: Stehe ich mit einem Bein in kochendem und mit dem anderen in eiskaltem Wasser, ist die mich umgebende Durchschnittstemparatur angenehm warm, aber mir geht es schlecht. Beim Thema Geldvermögen müsste man fragen, wie das Geldvermögen in der Bevölkerung verteilt ist. Sind es vielleicht wenige Reiche, die die Statistik nach oben treiben, und die Masse der Bevölkerung ist arm? Dann ist es mit dem Wohlstand eines Landes nicht weit her. Hier müsste man also genauer hinschauen. Auch ist zu fragen, ob in der Statistik auch Geldansprüche enthalten sind, z.B. auf Auszahlung von Kapitallebensversicherungen oder gegenüber der Rentenversicherung auf zukünftige Rentenzahlung oder gegenüber der Krankenversicherung auf Übernahme der Krankheitskosten. Diese soziale Absicherung ist ein erheblicher geldwerter Vorteil, also letzlich auch Teil des “Geldvermögens”, auch wenn man noch nichts auf dem Konto hat. Je besser ich abgesichert bin, desto leichter fällt es mir, mein Geld auszugeben. Fehlt es an dieser Sicherheit, muss ich selbst Vorsorge treffen, was tendentiell zu höherem Geldvermögen führt.  Für die Forderung nach “Umverteilung” gibt die Statistik nicht viel her. Dieser politische Kampfbegriff kann erst dann Erfolg haben, wenn das Vermögen insgesamt grob ungerecht verteilt ist. Darüber sagt die Studie nichts aus. Letztlich ist allerdings richtig, dass kein Grund für Selbstgefälligkeit und Passivität besteht. Im globalen Wettbewerb kann man schnell den Anschluss verpassen.

Michael Geier / 27.09.2013

Der Schriftsteller Aldous Huxley hat (glaube in den 30-ger Jahren) in seinem Zukunftsroman “Schöne neue Welt” die Fälschung als das bestimmende Moment der Moderne vorausgesagt. In der falschen Wirklichkeit mit ihrer falschen Wahrheit bzw. überhaupt der Abwesenheit von Wahrheit, wird am Ende die Unterscheidung zwischen echt und unecht, gut und schlecht, Fiktion oder Wahrheit/Wahrhaftigkeit etc. , praktisch aufgehoben. Alles wird gewissermaßen verhandelbar/machbar. Dennoch, da der (eigentliche) “Bauplan” des Menschen nun mal auf Wahrhaftigkeit ausgerichtet ist (wer möchte/kann z.B. schon “fiktional” geliebt werden) und “Schöne neue Welt” diese natürlich nicht hergeben kann, müssen dieses Vakuum Ersatzbefriedigungen/handlungen bzw. GÖTZEN füllen. Und (für mich persönl.) sind wir (mal wieder) genau in dieser Phase, des kollektiv-medialen Selbstbetruges, der längst seine giftigen Früchte, wenn auch (noch) nicht in einer globalen “Big Bäng-Katastrophe, doch allein schon in den vielen INNERGESELLSCHAFTLICHEN Tragödien (Amokläufe; Kindermorde/Vergewaltigungen; Ausschweifungen aller Arten; morbide Medien u. “Unterhaltungskultur”;  brutalstes Mobbing an Arbeitsplätzen; Erosion der “gesunden” Familie, u. u. u.)  zeigt.  Peter Hahne nannte es in seinem (lesenswerten) Buch “Schluss mit lustig”, (sinngem.) den “deutschen Wohlfühl” - Habitus, der z. B. verhinderte, dass eine Politik u. Gesellschaft, spätestens nach dem Amoklauf in Erfurt, irgendwo beginnt, einzuhalten, zu überdenken, sich zu besinnen, mal den Fuß vom Gaspedal nimmt.  Von der Falle des “Totalen Krieges” sind wir (Deutsche) schnurstracks in die Falle des “Totalen Friedens”, nach wie vor garniert auf deutschen Machbarkeitswahn, getappt, der aber langsam aber sicher an seine Grenzen stößt. Alles Schöngerede; alle Nebelkerzen u. Durchhalteparolen; alle selbst gemachten Heils -und Glücksrezepte/Diktionen, verpuffen immer mehr in Schall und Rauch, da sich das menschliche Herz letztendlich nicht durch Kopien u. Phrasen abspeisen lässt (funktioniert nur eine gewisse Zeit)! Insofern, JA! Es mutet alles wie das berühmte “Pfeifen im Walde” an!

Andreas Alffermann / 25.09.2013

Die SZ wird ihrem Ruf als Alpenprawda immer gerechter. Die Zahlen der Studie zeigen ja ganz deutlich das Gegenteil. Pro-Kopf haben die Deutschen 2012 immerhin 71 Euro an Zinsen eingebüßt, die Spanier dagegen 250 Euro dazugewonnen. Die Zahlen widerlegen auch alle Argumente der sogenannten Euro-Retter. Die SPD könnte sich doch auch mal europaweit dafür einsetzen, Vermögensabgaben und höhere Steuern einzuführen, um die Haushalte in Spanien, Italien, Frankreich etc . aus eigener Kraft zu sanieren. Das wäre mal eine echte solidarische Europapolitik.

Gerhard Sponsel Lemvig / 25.09.2013

Durch die Energiewende, dem verspäteten Marshall-Plan, wird die Industrie in Deutschland weniger. Dadurch braucht man weniger Solarplatten auslegen um den Strom für die Betriebe CO2-neutral zu liefern. So kann man den deutschen Salat und Gemüsebedarf für die Vegetarier-Tage durch mehr Anbaufläche selbst decken. Es fließt kein Geld ab und Deutschland wird noch reicher.  Wenn dann die SZ noch ein volkseigener Betrieb wird, dann es Deutschland wircklich gut.  

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