Hermann Detering, Gastautor / 03.09.2015 / 06:30 / 9 / Seite ausdrucken

Deutsches Renommiergehabe - ein Déjà-vu

Von Hermann Detering

Schweren Herzens folge ich einer Mode, die mich bisher immer abgestoßen hat: Ich will mich entschuldigen, ein wenig fremdschämen für meine Landsleute. Beschämt hat mich ein BILDungserlebnis gestern am Kiosk: „Die Drückeberger Europas“ las ich, und weiter: „Sie nehmen weniger auf als sie könnten. Während Deutschland dieses Jahr mit 800 000 bis eine Million Flüchtlingen weltgrößtes Einwanderungsland wird (vor USA), wehren sich viele EU-Staaten gegen die Aufnahme neuer Flüchtlinge.“ Dazu gab es hübsche, große Porträts von Cameron, Hollande, Renzi und anderen. Die waren aber anders gemeint.  Das Anprangern ist ja in Deutschland neuerdings wieder sehr in Mode gekommen.

Ich kann und mag nicht entscheiden, ob die besagten Länder mehr Asylanten aufnehmen könnten oder nicht. Ich weiß auch nicht, ob unser Land unbeschadet 800 000 aufnehmen kann. In jedem Fall handelt es sich um souveräne Entscheidungen der jeweiligen Regierungen, die zu respektieren sind. Auf dem Gebiet der Moral sollte Freiwilligkeit oberstes Gebot sein.  Wer Gutes tun will, soll es, ohne viel darüber zu reden, in Gottes Namen tun, aber nicht andere nerven, die in seinen Augen weniger Gutes tun.

In diesem Zusammenhang nun, beim Lesen dieser Schlagzeilen, beschlich mich ein beklemmender Verdacht: Ist Deutschland wieder einmal in seiner Lieblingsrolle, der des europäischen Schulmeisters? Ruft es eine Art neuer olympischer Disziplin aus, eine Asyl-Olympiade, bei der derjenige ganz oben auf dem Treppchen steht, der am meisten aufgenommen hat?  Hat sich da der alte Wilhelminismus wieder zurückgeschlichen, um von Schlimmerem ganz zu schweigen („Am deutschen Wesen soll die Welt genesen“). Könnte es sein, dass die Guten so gut gar nicht sind und dass es bei der Reaktion unserer Politiker auf die 800 000 weniger um die vielbeschworenen „Menschen“ geht als – um sie selbst, um ihr eigenes Renommee?

Auszuschließen ist das nicht. Schon bei der sogenannten Energiewende, dem Ausstieg aus der Atomkraft war ja viel vom Vorbild Deutschlands die Rede. Deutschland zeigt, wie’s geht. Und nun auch hier: „Ausländische Presse zur Flüchtlingskrise: Vorbild Deutschland“ (SPON,  1.9.). Zwar gilt die Kanzlerin allgemein als schnörkellos und unprätentiös. Wie aber, wenn auch dies nur eine Täuschung wäre und sie die eigenen Eitelkeiten in Wahrheit wichtiger nähme als ihre politische Verantwortung? Dass sie ihr Herz vor allem deswegen für die Flüchtlinge entdeckt hätte, weil ihr die „Merkel-Merkel“-Rufe schmeicheln und weil doch alle in ihr starkes reiches Deutschland wollen?

Ich muss ins Anekdotenhafte abgleiten. In einer mir gut bekannten deutschen Familie gab es auch so einen. Ich meine, einen, der immer den dicken Maxen spielte, alle Welt zu sich ins Haus einlud – und dann seine Frau machen ließ. Die durfte beim Eintreffen der Gäste dafür sorgen, dass Essen und Trinken rechtzeitig auf dem Tisch standen, dass jeder sein gemachtes Bett vorfand und zum Schluss durfte sie sogar noch ein Unterhaltungsprogramm auflegen, weil der Herr des Hauses außer seinem Hobby, Leute einzuladen, noch ein anderes hatte. Weltoffen, wie er war, plante er eine Weltreise mit seinem Segelschiff. Wenn es der Hausfrau zuviel und den Kindern zu zugig wurde, nannte er das egoistisch, außerdem fehle es ihnen an dem Begriff echter Gastfreundschaft (lebte er noch, würde er sicher sagen: Willkommenskultur).

Auch unsere Politiker gehen gern mal auf die große Weltreise, sitzen in Brüssel und Straßburg, in Paris, London, Washington und anderswo an Konferenztischen, geben sich dort Küsschen auf die Wange, klopfen sich gegenseitig auf die Schulter und finden sich großartig. Und auch sie ziehen gern die Spendierhosen an, sprechen viel von Willkommenskultur und lassen viel davon sprechen. Von Humanität zu reden macht immer etwas her, das schafft Renommee. Wer wollte das kritisieren? Welcher empathielose Kleingeist fragte da nach den Kosten? Wir stemmen das schon. Außerdem ist’s ja auch nicht das eigene Geld.

Liebes Helldeutschland, wärest du so hell und so gut, wie du zu sein vorgibst, müsstet du etwas verständnisvoller, etwas gnädiger mit den Deinen sein und mit den anderen auch. Es ist nicht alles kleingeistiges Dreckspack, was deinen politischen Höhenflügen nicht mehr folgen kann, was sich Sorgen macht oder friedlich auf der Straße demonstriert.  Und „Drückeberger“ sind die auch nicht, die der von dir ausgerufenen neuen politisch-olympischen Disziplin eine Absage erteilen. Vielleicht sind es nur Politiker, die sich, anders als du, ein Fünklein Vernunft bewahrt haben?! 

Ach Deutschland, du helles Licht der Welt, vor dem die Völker geblendet niederfallen – warum immer gleich zu den Sternen greifen? Warum immer nur Rekorde? Warum immer gleich das Siegertreppchen? Genügt nicht manchmal eine einfache Teilnahmeurkunde?

Dr. Hermann Detering ist evangelischer Theologe und war von 1982 bis 2009 Pfarrer in Berlin. Lebt heute in der Altmark. Website hier. Veröffentlichungen unter anderem: “Die Lust der Welt und die Kunst der Entsagung“, Gütersloher Verlagshaus 2013. „O du lieber Augustin - Falsche Bekenntnisse“, Alibri, Herbst 2014

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Karl Mallinger / 03.09.2015

Es ist völlig legitim darauf hinzuweisen, dass “europäische Solidarität” AUCH bedeuetet, dass ALLE EU-Staaten Flüchtlinge GLEICHERMASSEN aufnehmen sollten. Mit “Schulmeisterei” hat das nichts zu tun.

Matthias Elger / 03.09.2015

Alle Achtung vor dieser klaren Formulierung. Die anderen EU Länder über die so viel geschimpft wird, machen es richtig, sie machen ihre eigene Asylpolitik, die mit den Bürgern abgestimmt ist und lassen sich nicht auf das konfuse Gewurstel der Bundesregierung ein oder baden gar die Folgen deren unsinniger Anlockung von Wirtschaftsflüchtlingen aus. Dies hat die Kraft dazu die EU scheitern zu lassen. Denn es zeigt auf, was die Verträge wert sind, nicht einmal das Papier auf dem sie gedruckt sind, wie der Vertrag von Schengen oder das Dubliner Abkommen. Die EU sollte sich auf ihren Zweck besinnen, dass die Völker in Europa zusammenarbeiten und nicht gegeneinander. Mit dieser EU wird dies aber nicht gehen, sondern dies geht nur über eine dezentrale EU, ohne Euro, EU Parlament und wohl auch ohne EU Kommissionen. Bindet man in diese lockere EU, Länder wie die Schweiz, Norwegen, Russland mit ein, dann werden auch närrische Gäule aus Deutschland und Russland an die Leine genommen. Viktor Orbán, über den in deutschen Medien so viel geschimpft wird, der in die “rechte Ecke” gerückt wurde, bekam mit seinem Interview - Artikel in der FAZ „Wer überrannt wird, kann niemanden aufnehmen“ viel mehr Zustimmung, als alle anderen Artikel. Und dies als Präsident eines anderen Landes. Zitat: “Orbán fügte unter Hinweis auf die Demokratie hinzu: „Die Menschen wollen, dass wir Herr der Lage sind und unsere Grenzen schützen“. Über jede andere Frage, so der ungarische Regierungschef weiter, „lohnt es sich nur dann zu sprechen, wenn die Flut aufgehalten worden ist.“ Die Bürger in Deutschland und sicher auch in der restlichen EU wollen ja helfen, aber dies mit Vernunft organisiert. Denn die Polen, Ungarn, Briten,... sind nicht herzlos, sondern sie sind sich ihrer begrenzten Mittel bewusst und versuchen die optimal einzusetzen. Dies sollte den deutschen Medien endlich auch bewusst werden.

Thomas Bonin / 03.09.2015

Die seitens der Groko (folgsam flankiert von einem Schwarm “überparteilicher” Meinungsmacher inner- und außerhalb öffentlich-rechtlicher Betriebsräume) chronifizierte Nabelschau (ob und wie “wir im “Ausland ankommen”) scheint ein weiterer Beleg dafür zu sein, dass das Raumschiff Bundesregierung die Erdumlaufbahn (unumkehrbar) verlassen hat: derweil die Basistation resp. das Bodenpersonal notgedrungen auf Ersatzaggregate umschaltet. Nicht auszumalen, was passiert, wenn zu “guter” Letzt auch noch die Hauptsicherung raus fliegt. Es sei denn, es finden sich rechtzeitig jene regierungsamtlich prognostizierten “Fachkräfte”, die Deutschland in gänzlich neuem Glanz erstrahlen lassen - vor den Augen der Weltöffentlichkeit, versteht sich.

Uz Stammberger / 03.09.2015

Danke für diesen schönen Text - als ich das “Wer, wenn nicht wir” von Frau Nahles hörte, mußte ich auch spontan ans deutsche Wesen, an dem wieder einmal die Welt genesen soll, denken. Manchmal wünsche ich mir die miefige, weltpolitisch irrelevante aber wirtschaftlich gesunde Bonner Republik zurück!

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Hermann Detering, Gastautor / 20.09.2018 / 06:25 / 67

Der „Anstand“ und der Aufstand der Neo-Spießer

Unmittelbar nach dem Krieg hatte das Wort „Anstand“ unter den kritischeren Geistern eine eher schlechte Presse. Während CDU-Nachkriegspolitiker wie Adenauer auch weiterhin am nationalsozialistischen Sprachgebrauch festhielten und nicht nur den…/ mehr

Hermann Detering, Gastautor / 23.12.2016 / 08:55 / 6

Mahnen, warnen und Diskurs verbieten

Von Hermann Detering. Der „ZDF-Terrorismusexperte“ Elmar Theveßen hat es gestern Abend bei Lanz noch einmal ganz deutlich erklärt: Der perfide Plan der Islamisten, so Theveßen,…/ mehr

Hermann Detering, Gastautor / 08.11.2016 / 14:33 / 2

Bedford-Strohm, Marx und das Kreuz mit der klaren Kante

Von Hermann Detering. Nein, keine Fortsetzung des Films: „Stan und Olli im Heiligen Land“, sondern bittere Wahrheit. Die BILD-Zeitung sprach von einer „Kirchen-Sensation“. Aus „Respekt“ gegenüber…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com