Alexander Wendt / 06.01.2016 / 17:46 / 4 / Seite ausdrucken

Deutscher Journalistenverband: Überall ist auch dabei

Wer Professor Frank Überall bisher noch nicht kannte, muss sich deswegen keine Vorwürfe machen. Der jecke Kölner Politologe arbeitete einmal für die Sendung „Monitor“, promovierte über „Klüngel in der politischen Kultur Kölns“ und lehrt heute etwas mit Medien. Seit November 2015 sitzt er dem Deutschen Journalistenverband (DJV) vor, einem Klüngel in der politischen Kultur Deutschlands, der lustigerweise immer dann von Journalisten um eine Stellungnahme gebeten wird, wenn im Journalismus etwas schief geht. Dass etwas schiefgegangen ist und sich die viertätige Sendepause fast aller überregionalen Medien nach der Belästigungsorgie von Köln doch etwas lang hinzog, sehen nämlich inzwischen sogar ein paar Presseleute als Problem. Professor Überall allerdings nicht.

„’Journalisten müssen informieren, aber nicht spekulieren’, stellte DJV-Bundesvorsitzender Frank Überall klar“, heißt es in einer Pressemeldung des DJV. Und weiter: „Nur spärlich seien Informationen über gewalttätige Ausschreitungen am Kölner Hauptbahnhof und auf der Hamburger Reeperbahn durchgesickert. Dass es sich bei den Tätern um Bewohner von Flüchtlingsheimen mit nordafrikanischer Herkunft handeln solle, sei bis jetzt nicht polizeilich bestätigt.“

Einmal abgesehen von der Frage, was „Flüchtlingsheime mit nordafrikanischer Herkunft“ sein sollen – wo ihre Belästiger, Vergewaltiger und Bestehler wohnen, mit dieser Auskunft konnte tatsächlich keine Zeugin dienen. Schon deshalb hatte niemand etwas über Wohnheiminsassen irgendetwas verlauten lassen, was dann polizeilich hätte bestätigt oder dementiert werden können. Allerdings hatten etwa 90 Zeugen übereinstimmend ausgesagt, dass die Täter von Aussehen und Sprache aus Nordafrika kamen. Und schon am 1., spätestens am 2. Januar sickerte nicht nur etwas durch, die sozialen Medien platzten geradezu vor detaillierten Zeugenschilderungen. Aber Zeugen können ja viel erzählen, wenn der Silvesterabend lang war, nicht?

„Wer diese Täter waren, darüber gibt es viele Gerüchte. Arabisch oder nordafrikanisch sollen sie ausgesehen haben, heißt es in Zeugenaussagen“, schreibt Überall in der Website Citynews. Zeugenaussagen sind also Gerüchte. Und wenn 90 Zeugen etwas übereinstimmend aussagen – muss man da nicht eher misstrauisch werden?

„Eine nicht durch solide Recherchen gedeckte Verdachtsberichterstattung ist nicht nur unvereinbar mit den Prinzipien des professionellen Journalismus, sondern auch innenpolitisch brandgefährlich“, warnt Überall nämlich auf der DJV-Website. Leider verrät er nicht, wer oder was die von ihm vertretenen professionellen Qualitätsjournalisten an der Recherche tagelang gehindert hat. Aber er deutet es an: Einfach nach der Flut der Schilderungen auf Facebook selbst loszuziehen und mit Augenzeugen und Betroffenen zu sprechen, also zu recherchieren, das hätte sich möglicherweise, jedenfalls so früh im Jahr und ohne offizielle Behördenmitteilung im Rücken schnell als „innenpolitisch brandgefährlich“ herausstellen können.

Wie innenpolitisch gefährlich eine Meldung sein kann, darüber muss sich ein Pressevertreter nämlich zuallererst Gedanken machen. Schwarze Schafe der Branche halten sich freilich hier und da nicht an die goldene Regel, etwa Bob Woodward und Carl Bernstein,  die 1972 mutwillig Richard Nixons Verwicklung in eine Ausspähung des politischen Gegners ins Licht zerrten und so einen innenpolitisches Flammeninferno in den USA auslösten, statt den Präsidenten einfach verantwortungsbewusst weiterregieren zu lassen.

Aber zurück zu Köln: Ist es, so fragt nicht Bob Woodward, aber Professor Überall, nicht sowieso völlig Bluna und Wurst, wer die Täter von Köln und Hamburg und Stuttgart waren?„Es ist doch völlig gleichgültig, ob es sich um Extremisten oder Kriminelle, um Deutsche oder Zugewanderte, um Hausfrauen oder Professoren handelt: Vor dem Gesetz sind alle gleich! Wer derart die Sicherheit im öffentlichen Raum aushebelt, gehört von den zuständigen Behörden verfolgt und bestraft.“

Vielleicht waren es ja auch deutsche Extremisten, die mit flinken Fingern in weiblichen Körperöffnungen recherchierten. Oder habilitierte Hausfrauen. Vertreter letzterer Gruppe können beim DJV jedenfalls eine glänzende Karriere machen.

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Leserpost

netiquette:

Otto Jastrow / 07.01.2016

“Stark alkoholisierte Nordafrikaner” Wo kommen nur die “Nordafrikaner” her, die in sämtlichen Berichten auftauchen? Irgendjemand muß den Ausdruck zuerst verwendet haben, und wie üblich wurde er ungeprüft und unreflektiert in allen weiteren Berichten und Kommentaren übernommen. “Nordafrikaner und Araber” seien es gewesen, bzw. “auf nordafrikanisch und arabisch” hätten sie gesprochen. Das macht aus mehreren Gründen keinen Sinn. Zum einen sind Nordafrikaner (also Tunesier, Marokkaner, Libyer etc.) ebenfalls Araber. Sie unterscheiden sich lediglich, wie alle Araber untereinander, durch abweichende Dialekte. Wie aber 90 Zeugen, von denen vermutlich keiner Arabisch kann, im Lärm der Kölner Chaosnacht festgestellt haben wollen, bei den Tätern handele es sich “von Aussehen und Sprache her” um Nordafrikaner, ist mir nicht ganz verständlich. Oder vielleicht hat es nur eine(r) von 90 gesagt? In Deutschland haben die Nordafrikaner, anders als in den Niederlanden, nur einen geringen Anteil an der eingewanderten Bevölkerung. Waren also die Täter schlicht Araber, vorzugsweise aus den Gruppen, die hier stark repräsentiert sind, also Syrer, Palästinenser, Iraker etc.? Oder gehörten sie zu der schon länger ansässigen Gruppe von Arabern aus der Türkei? Wir wissen es nicht. Noch etwas weiteres macht stutzig: Die Täter seien stark alkoholisiert gewesen. Falls dies zutrifft, kann es sich nicht um Araber gehandelt haben, denn bei ihnen (da fast ausschließlich Muslime) ist der Alkoholgenuß, zumal in der Öffentlichkeit, absolut tabu. Ist auch das also eine bloße Erfindung, einfach weil in Köln in der Neujahrsnacht alle Leute betrunken sind? Fassen wir zusammen: Wo kommen plötzlich diese Massen von stark alkoholisierten Nordafrikanern her? Sind sie kurzfristig mit einem Raumschiff auf der Domplatte gelandet? Viel wahrscheinlicher entstammen sie der Kombination von Ahnungslosigkeit und Desinteresse, durch die sich die meisten Stellungnahmen von Behörden, Politikern und Journalisten zum Thema nahöstliche Einwanderung auszeichnen. Wichtiger ist ja auch die Volkspädagogik: Wir werden bereits ermahnt, die Taten nicht pauschal einer bestimmten Gruppe anzulasten, bevor diese Gruppe überhaupt bekannt ist.

Matthias Strickling / 07.01.2016

Es ist nicht egal, welcher Ethnie, oder aus welcher Motivation die Täter ihre Finger in die Frauen steckten, oder sie vergewaltigten. Man muss sich die Frage stellen, ob sie das auch mit Frauen der eigenen Ethnie gemacht hätten. Lautet die Antwort nein, geht es hier nämlich um blanken Rassismus gegenüber den Deutschen Frauen.

André Höhne / 06.01.2016

„Eine nicht durch solide Recherchen gedeckte Verdachtsberichterstattung ist nicht nur unvereinbar mit den Prinzipien des professionellen Journalismus…“ Aha. Demnach arbeiten unser Journalisten sogar nach eigener Einschätzung (DJV) offenbar sehr unprofessionell: http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/der_erste_pegida_tote Wenig überraschte Grüße A. Höhne

peter luetgendorf / 06.01.2016

Sehr geehrter Herr Wendt, die beschriebenen Äußerungen können doch nicht wirklich vom Prof. Überall stammen? Gruß Peter Lütgendorf

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