Cora Stephan / 08.06.2015 / 11:01 / 5 / Seite ausdrucken

Deutsche Treue, deutscher Wein

Es gab eine Zeit in unserem Land, da vaterlandslose Gesellen regierten: an der Spitze des Staates stand nicht die Bonn- oder Berlin-, sondern die Toskana-Fraktion. Das waren Sozialdemokraten und Grüne, die ihre Ferien mit Vorliebe in Italien verbrachten, darunter Peter Glotz, Oskar Lafontaine und Otto Schily, und die gern schwerem italienischen Rotwein zusprachen, wie Gerhard Schröder und Joschka Fischer. Das durfte dann ein mit Tanninen protzender Barolo sein oder ein männlich-erdiger Brunello di Montalcino, wenn schon denn schon, jedenfalls nicht sowas schlappes wie ein Spätburgunder. Deutscher Rotwein galt als flaches Wässerchen und deutscher Weißwein als irgendwie spießig und provinziell, so überholt wie die zweite Strophe des Deutschlandliedes, wo sich der deutsche Wein mit Weib, Ehre und Gesang zu paaren hat. Man war schließlich weltoffen und nicht etwa national verbohrt!

Sogar bei offiziellen Anlässen wurde italienischer Wein ausgeschenkt, obwohl man bei den Staatskarossen dann doch deutsche Wertarbeit vorzog. Riesling von der Mosel oder aus dem Rheingau stand wohl noch immer im Verdacht, süßer Traubensaft zu sein, den ältliche Fräulein mit spitzem Mund aus zierlichen Gläschen schlürften, aufgezuckerte Massenplörre, nach deren Konsum Touristen mit Tirolerhut grölend durch die Drosselgasse ziehen. Wein, Weib, Gesang eben - während Italien für den lässigen Genuss stand, Brioni, Havanna and all.

Mal abgesehen von dem schnöden Vorurteil den nationalen Kronjuwelen gegenüber, hatte die gerümpfte Nase, was deutschen Wein betrifft, leider durchaus seine Gründe. Manche Leute haben ein zu kurzes Gedächtnis – und manche ein zu langes. Das goldene Zeitalter des deutschen Weins an Rhein und Mosel im mittelalterlichen Klimaoptimum Anfang des 16. Jahrhunderts, als „Rhenish“ in England ein ebenso großer Luxus war wie „Malmsey“, lag schon eine Weile zurück, ebenso die Karriere von Riesling und Spätlese seit Ende des 18. Jahrhundert. Vergangen, vorüber: Den Rest seines Ansehens verlor der deutsche Wein mit dem ersten Weltkrieg, seither trank man auch in der britischen Köngsfamilie keinen „Hock“ mehr (Hochheimer Riesling).

Fürs kurze Gedächtnis aber reichte der jähe Absturz deutscher Weine seit dem Weingesetz 1971, das Masse statt Klasse begünstigte, und vor allem seit den vielen Weinskandalen, die ihren Höhepunkt Mitte der 80er Jahre mit der Glykolpanscherei hatten. Es ist verblüffend, wie schnell Legenden vergehen – und wie lange sich Vorurteile halten. Doch schon zu rotgrünen Zeiten hatte sich der Wind längst gedreht. Nur in der politischen Elite war womöglich noch nicht rum, was weltweit längst bekannt war. Überall schwärmten Kenner von deutschen Weinen, vor allem von den Weißweinen. Gibt es irgendetwas, das einem deutschen Riesling vergleichbar wäre? Natürlich nicht.

Aber das kennt man ja schon: der Prophet gilt nichts im eigenen Land. Und es ist ja überdies richtig: nichts wurzelt fester in deutschem Boden als eine kräftige Rebe, das allein ist manch einem schon verdächtig. Als eine ganze rotgrüne Generation mit Literweinen in Korbflaschen sozialisiert wurde, entstand deren Inhalt im Keller, wo es dem Kellermeister egal sein mochte, woher die Trauben kommen, die in seinen Fässern liegen, also: multikulti, gerade dann, wenn „Kalterer See“ auf dem Etikett stand. Doch heute, unter modernen Qualitätswinzern, ist Wein das, was (bei entsprechender Pflege) das Terroir aus den Trauben macht, also Klima, Boden und Landschaft. Und nicht zuletzt das, was in den Bodenschichten steckt, durch die sich die Pfahlwurzel des Rebstocks arbeitet: Wein, der auf Löss gedeiht, schmeckt anders als Wein, dessen Wurzeln sich durch Kalkmergel oder Schiefergestein gearbeitet haben. Und schließlich heißt es, dass es Wein gut tut, wenn er sich anstrengen muss. Wein wächst an seinen Herausforderungen, er ist ein echter Streber. Also urdeutsch?

Das könnte dem, der ihn trinkt, egal sein: Hauptsache, die Flüssigkeit schmeckt. Doch damit entginge ihm das Schöne an Wein – ob aus Deutschland, Kalifornien, Südafrika oder Frankreich: dass er besonders ist, dass er abstammt, dass er Identität hat. Und dass er, insbesondere der Riesling, ein Talent zum Altern hat. Jeder Schluck eines gut gealterten Weines erzählt also eine Geschichte, lässt den Geist einer vergangenen Zeit und Kultur aus der Flasche.

Guter Wein ist ein Individuum, so, wie die meisten seiner Erzeuger. Wie dickköpfig und freiheitsliebend Winzer sind, zeigt ein schönes Beispiel: Grünberg in Schlesien war einst eine bedeutende deutsche Weingegend. Unterm Kommunismus wollte es nicht mehr klappen mit der Weinproduktion: Wein soll genossen werden, aber ein Genosse ist er nicht. Erst seit der Wende gibt es im ehemaligen Schlesien wieder Winzer, die, an die deutsche Kultur anknüpfend, ihrem Terroir den alten Geist entlocken wollen, um ihn auf die Flasche zu ziehen.

Das Vorurteil gegen deutsche Weine ist alles andere als weltoffen, es ist, im Gegenteil: provinziell bis auf die Gräten. Vor deutschem Sang und deutschen Weibern mag sich fürchten, wer will, aber gegen deutschen Wein gibt es schlechterdings kein gutes Argument. Wie schriebt Stuart Pigott über die jungen Winzer: „Gefestigt in der eigenen Identität, aber ohne eine Spur von Xenophobie.“

Und im übrigen: die guten deutschen Winzer gehören zu den hidden champions, den Helden unseres Wirtschaftswachstums. Sie lassen sich keiner EU-Norm unterwerfen, sie erzeugen Qualitätsprodukte, die weltweit einmalig sind, und: sie können ihre Produktion nicht ins Ausland verlagern.

Deutsche Treue zu deutschem Wein kann also nicht ganz verkehrt sein.

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Rudolf Mitschke / 10.06.2015

Durch die deutsch-tümelnde Brille übern Rücken und die Brust ins Auge: Was für ein verquastes und von Unkenntnis zeugendes Elaborat! Deutscher Rotwein war, abgesehen vom Trollinger, über Jahrzehnte so gut wie nicht existent, deutsche Rote wurden z.B. in Mainfranken und an der Ahr erst seit den 90ern von jungen Winzern so ausgebaut, dass sie dem Zeitgenossen schmecken können. Heute sind sie preislich sehr gehoben und damit in einer Liga, wo man sich ohne Vaterlandsverrat fragen darf, ob ein französischer Languedoc oder ein Supertoskaner für 15 Euro die Flasche nicht die bessere Wahl sind. Wenn Sie der Toskana-Fraktion einen auswischen wollen, suchen Sie sich ein anderes Terrain, als deren Vorliebe für ausländische Rotweine. Da bewies sie nämlich Kennerschaft. Was deutschen Weißwein angeht, hat der Riesling eine “U” beschrieben: Vom weltweiten Spitzenprodukt im Kaiserreich (feinherb, bzw. als Spätlese-Dessertwein, der damaligen Mode entsprechend) über die zum Teil kriegsbedingte Vernachlässigung und Vergessenheit und durch falsche Anreize (Helmut Kohl kannte sich da gut aus und betrieb als rheinland-Pfälzischer Ministerpräsident die EU-mäßige Absicherung des Weinmarkt mit Verve) geschaffene Massenware hin zum neuen Star am Winzerhimmel. Dies etwa ebenfalls seit Mitte der 90er. Ich kenne keinen deutschen Weintrinker, der heute nicht mitgekriegt hätte, dass unser Weißwein allererste Wahl sein kann. Übrigens nicht nur der Riesling, sondern auch die Silvaner aus Franken oder wieder der Ahrwein. Inzwischen ist es Standard, dass französische und italienische Gourmet-Restaurants deutsche Weine führen und diese auch offensiv anbieten. Die Autorin sollte ihr krampfhaft anti-linkes Weltbild nicht über unschuldige Lebensmittel exerzieren, von denen sie keine Ahnung hat. Damit wäre allen geholfen.

Wolfgang Zieten / 09.06.2015

Liebe Frau Stephan, Ihre Kolumne wieder ein Genuß, aber an einer Stelle Widerspruch: Der Grünberger Wein kommt doch nicht aus dem “ehemaligen Schlesien”. Sie haben doch schonmal über Grünberg geschrieben. Alles richtig. Es gibt dort die “deutsch sprechenden” Steine - also einen Geist und eine Geschichte, die in den Dingen und Orten drin steckt. Und es gibt Leute, die dies aufgreifen und heute einen “wino zielonogórskie” keltern. Weil sich vor ~70 Jahren eine Katastrophe ereignete und die Verhältnisse sich änderten, ist Schlesien doch nicht von der Landkarte verschwunden. Schlesien (also der preußische Teil, incl. Glatz….) wurde polnisch. Die neuen Machthaber machten zwar zunächst allerlei Verrenkungen, um alles Deutsche als temporär darzustellen. Gerade weil man “Schlesien” als Realität, als Kontinuität ansah - die eben polnisch sein sollte. Die “Sprache der Steine” versuchte man zu unterdrücken - und heute tut man das eben im Wesentlichen nicht mehr. “Schlesien” war nie tot - und seit ‘89 wird es immer lebendiger. Schade, daß die Toskana-Fraktion mit dem Osten so wenig anfangen kann. Aber die Jüngeren können das ja besser machen.

Francesco Salatino / 08.06.2015

Deutsche Weine, deutsches Brot (Brezel ausgenommen)? Nein, danke! Dafür schmeckt die deutsche Bratwurst und das deutsche Bier sehr gut! Ich war bei der Weinlese in Rheingau zweimal dabei, ich gebe zu, vor 30 Jahren und bei schlechtem Wetter: Die Traube war unansehnlich und die Weinprobe eine Enttäuschung. Seit dem meide ich deutsche Weinberge und zu Hause gibt es nur italienische Weine ab 13,5% (Amarone z.B.) und durchgebackenes Weißbrot.

Heike Müller / 08.06.2015

So ein schönes Statement wünscht frau sich jetzt noch zu Käse aus deutschen Landen, als da z.B. wären Burlander, Müritzer oder Rügener Badejunge :-)

Peter Kammer / 08.06.2015

Was ein Quatsch! Bevor Sie so ein Blödsin wie “Sie lassen sich keiner EU-Norm unterwerfen…” schreiben, lesen Sie mal lieber die 53 Paragrafen des Deutschen Weingesetzes, dann wissen Sie, wie grauenhaft antiliberal der Weinanbau in Deutschland geregelt ist. http://www.gesetze-im-internet.de/weing_1994/index.html Glauben Sie denn ernsthaft, dass irgendeine exportorientierte Branche (aber nicht nur die) sich “keiner EU-Norm unterwerfen” müsste?

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