Gastautor / 13.04.2017 / 06:25 / Foto: Diego Delso / 8 / Seite ausdrucken

Entwicklungshilfe-Rekord: Viel Geld, wenig Wirkung

Von Volker Seitz.

Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) meldet am 11. April 2017 stolz, dass Deutschland zweitgrößter Entwicklungshilfegeber (nach den USA) weltweit ist. Das geht aus den am gleichen Tag veröffentlichten Zahlen der OECD für die Official Development Assistance (ODA) hervor. Das 0,7-Ziel (der Anteil der öffentlichen Ausgaben für Entwicklungshilfe soll 0,7 Prozent am Bruttonationaleinkommen eines Landes betragen) wurde damit erreicht.

Diese Pressemeldung wäre es nicht wert zu kommentieren, wäre da nicht die Behauptung von Bundesentwicklungsminister Gerd Müller: „Jeder Euro unserer Entwicklungszusammenarbeit vor Ort kommt den Menschen direkt zu Gute, schafft Bleibeperspektiven und erzielt vor Ort ein Vielfaches an Wirkung.“ Seit Jahren behaupten BMZ Minister, dass kein Pfennig oder Cent der Entwicklungshilfe in dunklen Kanälen verschwindet. Sie hatten und haben einen eigenwilligen Blick auf die Wirklichkeit.

Die Diskussion um das 0,7-Ziel lenkt von den wirklichen Problemen ab. Das ist der Beitrag, der schließlich dem fatalen Denken Vorschub leistet, dass mehr Geld mehr Entwicklung bringt. Die Verfolgung des Zieles vergrößert das Problem des Mittelabflusses und damit die Gefahr fragwürdiger Ausgaben. Deshalb ist das Armenhaus Afrika seit 50 Jahren ein Versuchslabor der Betreuungsindustrie. Noch immer werden in Afrika die Ziele der Entwicklungshilfe meist von den Gebern gesetzt, und die Afrikaner bleiben Zuschauer. Viele Afrikaner sehen mittlerweile westliche „Hilfe“ als militanten Egoismus. Finanzielle Hilfen im Rahmen der Entwicklungshilfe können nur greifen, wenn bestimmte Voraussetzungen gegeben sind. Die Hilfe muss endlich an eine realistische Bevölkerungspolitik gekoppelt werden.

Die Wurzeln der anhaltenden Armut in Afrika liegen in der demografischen Situation, die Wohlstandsgewinne vereitelt. Es bedarf einer verlässlichen Regierungsführung, die nicht korrupt ist, die Zusagen einhält, die im Rohstoffsektor transparent ist, bei der es keine illegalen Finanzflüsse gibt. Afrikaner wie Themba Sono, Wole Soyinka, Andrew Mwemba, George Ayittey sind überzeugt, dass Wohlstand nicht durch milde Gaben entsteht, sondern durch unternehmerische Kreativität, Arbeit, Innovation – und durch gute staatliche Rahmenbedingungen.

Die Betroffenen werden nicht gefragt, wie sie zur Entwicklungshilfe stehen

„Gut gemeint“ ist bekanntlich meist das Gegenteil von gut gemacht. Die Betroffenen werden selbst nicht gefragt, wie sie zur Entwicklungshilfe stehen, und was ihnen ihrer Meinung nach helfen könnte. Afrikaner als Mündel zu betrachten, ist die unausgesprochene Geschäftsgrundlage der allermeisten „Projekte“. Die Liste der Kritiker klassischer Entwicklungshilfe ist in den vergangenen Jahren ständig gestiegen. Einzelne Hilfsprojekte mögen sinnvoll sein. Aber Projekte ersetzen keine Strukturen.

Andrea Böhm schrieb in der Zeit: „Warum ist es für die Bonos und Madonnas – und damit auch für die westliche Öffentlichkeit – immer noch so verdammt schwer, selbständig handelnde Menschen in afrikanischen Ländern zur Kenntnis zu nehmen? Es geht ja nicht darum, deren oft existenzielle Probleme zu leugnen. Es geht darum, dass dortige Akteure sehr wohl in der Lage sind, diese Probleme selbst darzulegen.“

Eine erfolgreiche Entwicklung ist das Ergebnis von Eigenverantwortung. Allgemeingut ist geworden, dass die Welt nur wenig tun kann, diese von außen zu beeinflussen. Auch langjährige Afrika-Korrespondenten wie Thomas Scheen, Thielo Thielke, Michael Bitala und Wolfgang Drechsler raten zu einer dringenden Änderung der bisherigen Entwicklungspolitik. „Hilfe ist wie Öl, sie erlaubt mächtigen Eliten, öffentliche Einnahmen zu veruntreuen“, schrieb der Ökonom Paul Collier von der Universität Oxford.

Für Entwicklungsökonom Axel Dreher (Universität Heidelberg) ist schon die Zahl an sich aus der Luft gegriffen. Die Angaben könne man mit Buchungstricks ausgleichen. So würden auch Projekte in der Flüchtlingspolitik bei der Entwicklungsarbeit mit gebucht. Ein Trick, um auf eine bessere Bilanz zu kommen. Zudem gibt er zu bedenken, welches private Unternehmen seine Lohnkosten in Höhe von 0,7 Prozent des Umsatzes definieren würde? Der Experte fordert stattdessen realistischere und konkretere Ziele. „Man könnte sich zum Beispiel vornehmen, Malaria auszurotten. Daran könnte man sich messen lassen. Das wäre mehr als Symbolpolitik.“

Volker Seitz war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe und ist Autor des Buches „Afrika wird armregiert“, das im Herbst 2014 in erweiterter siebter Auflage bei dtv erschienen ist. Volker Seitz publiziert regelmäßig zum Thema Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika und hält Vorträge.

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Leserpost

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Karla Kuhn / 13.04.2017

„Jeder Euro unserer Entwicklungszusammenarbeit vor Ort kommt den Menschen direkt zu Gute, schafft Bleibeperspektiven und erzielt vor Ort ein Vielfaches an Wirkung.”  Wenn das wirklich so ist, warum kommen dann die Menschen aus diesen Gebieten als Asylanten/Flüchtlinge weiterhin in großer Zahl nach Europa und ganz bevorzugt nach Deutschland ??  Und wie hoch sind die Zahlungen eigentlich, nicht in 0,7%  sondern in Millionen/Milliarden ? Wenn zig Millionen (60?) Menschen auf der Flucht sind, kann das Geld ja wohl doch nicht am richtigen Platz angekommen sein.

Hubert Paluch / 13.04.2017

Auch Volker Seitz sieht das Problem fehlender positiver Entwicklung auf dem “schwarzen Kontinent” als Frage des guten Willens. Er sollte es nach jahrelanger Arbeit in Kamerun eigentlich besser wissen.  Die Forscher Tatu Vanhanen und Richard Lynn identifizierten es eher als eine Frage des “Könnens”. Solange man diesen Aspekt der Debatte konsequent verleugnet, wird es keine Lösung für die vielen Entwicklungsländer geben, in denen sich mit den durchschnittlichen kognitiven Fähigkeiten der Bevölkerung einfach kein Staat machen lässt.

Dirk Weidner / 13.04.2017

„Man könnte sich zum Beispiel vornehmen, Malaria auszurotten. Daran könnte man sich messen lassen. Das wäre mehr als Symbolpolitik.“  Das zum Beispiel ist ein Feld, bei dem nach meiner Kenntnis Bill Gates mit der Finanzierung von entsprechender Forschung recht rege ist. Aber der Mann ist ja leider einer von den Bösen (Kapitalist, noch dazu USA), im Gegensatz zu Bono (auf keinen Fall Kapitalist, noch dazu Ire), Madonna (hat natürlich mit Kapitalismus und USA auch nix zu tun), Bob Geldorf (bedarf keiner weiteren Worte)  oder unserem guten deutschen Nanny-Staat.

Heinz Bannasch / 13.04.2017

Bevölkerungsexplosion in der dritten Welt schafft Armut Armut ist Fluchtursache Fazit: Fluchtursachen ohne Geburtenkontrolle bekämpfen zu wollen ist propagandistisxher Schwachsinn, auch wenn unsere Mainstream-Politiker für diese einfachen Zusammenhänge offenbar zu dumm sind.

Horst Jungsbluth / 13.04.2017

Die Entwicklungshilfe hat sich unter ganz anderen Umständen zu   einem ähnlichen “Monster” entwickelt, wie das deutsche Sozialsystem, wo mit viel Geld Probleme verfestigt oder gar geschaffen werden, anstatt sie zu lösen oder zumindest zu lindern. Ohne Sinn und Verstand werden Steuergelder in Ländern der sogenannten “dritten Welt” gepumpt und keiner der “ewig Unverantwortlichen” achtet darauf, ob damit zu überwindende Strukturen verfestigt werden oder gar die Mittel “zweckentfremdet” in Taschen der herrschenden Kasten fließen.  Zusätzlich werden die “berüchtigten” Apparate installiert, wo man gut lebt, sich selbst genug ist und den “Abhängigen” beibringt, dass die “reichen Onkels” aus Europa alles im Griff haben und sie selbst gar nicht gefordert sind. Manche geben dann noch Tipps, wie sie insbesondere in Deutschland Asyl beantragen können und was ihnen dort alles “zusteht”.  Auch die Ausbildung von Eliten an deutschen Hochschulen bringt nicht das, was es soll, weil viele der Ausgebildeten es vorziehen, in Deutschland oder anderen europäischen Ländern zu bleiben.

Karl Seelbach / 13.04.2017

Es ist bei der BMZ ,genauso wie mit dem Armutsbericht unserer Bndesregierung ; Da wird gebogen, verschleiert u. getrickst soooolange bis alles passt . Da werden von uns erwirtschaftete Steuergelder herausgehauen und freudig verkündet das 0,7% des Bruttoinlandsp. , ganz Wichtig die OECD Vorgabe ist erfüllt , doch gleichzeitig das UN Flüchtlingshilfswerk verkündet das rund 60 Mil. Menschen auf der Flucht sind, vornehmlich aus Afrika und/oder Muslimischen Ländern. Das Kernproblem dieser genannten Länder ist die Bevölkerungsexplosion , geht man ins Datei ist es die Familienplanung des einzelnen Individuum. Daher sollte man,z.B. auf dem Afrikanischen Kontinent auch in den entlegensten Gebiete, Kondome, die Pille und die Pille danach für jeden kostenlos Zugänglich machen.

Martin Lederer / 13.04.2017

Soweit ich weiß hat Italien um Laufe der Zeit 1 Billion Euro vom Norden in den Süden transferiert. Für die Mafia war das super. Sonst hat es kaum etwas gebracht.

Hubert Bauer / 13.04.2017

Der Autor prangert zu Recht die Bevölkerungsexplosion und die Korruption an. Weitere Ursachen für die Not in Afrika sind noch religiöser Wahn und Bildungsresistenz. Meines Erachtens hängen alle vier Faktoren auch noch zusammen. Wenn man diese vier Ursachen bekämpft, läuft alles Andere von allein. Und das Gute daran ist; zur Bekämpfung dieser vier Punkte braucht es kaum Geld.

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