Zitat aus einem Urteil des OLG Koblenz vom 14.02.2017 bezüglich der illegalen Einreise in die Bundesrepublik:
„Die rechtsstaatliche Ordnung in der Bundesrepublik ist in diesem Bereich jedoch seit rund eineinhalb Jahren außer Kraft gesetzt und die illegale Einreise ins Bundesgebiet wird momentan de facto nicht mehr strafrechtlich verfolgt.“
Das hat ein deutsches Gericht festgestellt, und man muss es zweimal durchlesen, um die Tragweite zu verstehen.
Die rechtsstaatliche Ordnung der Bundesrepublik scheint aber auch in anderen Bereichen ausgesetzt worden zu sein. Ich habe mir den Spiegel-TV Bericht „Ein Mann, zwei Ehefrauen, sechs Kinder“ angesehen und bin ob der Langmütigkeit der deutschen Gesellschaft sprachlos. Nicht etwa wegen des Falles von Ahmad und seiner Großfamilie. Die Kinder sind süß, der Syrer Ahmad und seine Frauen sind sympathisch. Der Spiegel-TV Film ist gut gemacht, lässt die Flüchtlinge zu Wort kommen, lässt Tatsachen sprechen und kommt weitgehend ohne aufgeladene Kommentare aus. Obwohl mir beim Ansehen ein leicht ranziger Reality-TV-Geruch in die Nase stieg, der Syrer ist Analphabet.
Als Auslandsdeutschen erschüttern mich die schier unglaublichen Widersprüche im Rechtsstaat, die dieser Fall ans Tageslicht bringt. Und natürlich auch, dass ein „#Rechtstaat-metoo-Aufschrei“ vollständig ausbleibt. Die Leitmedien, die sonst so sensibel auf jede Ungerechtigkeits-Gap reagieren, bleiben ziemlich ungerührt beim „Herkunfts-Gap“.
Bedingungsloses Grundeinkommen für Ahmad
Zurück zum Film: „Vor rund zwei Jahren flohen sie vor dem Krieg in ihrer Heimat, kamen über die Türkei und Griechenland hierher“, sagt die Stimme aus dem Off. Schon in den ersten Sätzen des Films werden Teile der Wahrheit verbogen. Meines Wissens liegen zwischen Griechenland und Deutschland mindestens vier weitere Länder der EU. Es scheint inzwischen selbstverständlich zu sein, nach Deutschland zu ziehen, so als hätte es ein Dublin-Abkommen nie gegeben.
Wikipedia sagt: „Das Dubliner Übereinkommen ist als völkerrechtlicher Vertrag formal weiter gültig, wird aber inzwischen von europäischem Recht überlagert und nicht mehr angewendet“. Wie jetzt? Haben Politiker das Recht, völkerrechtliche Verträge „nicht mehr anzuwenden?“ Welche „europäischen Rechtsvorschriften“ überlagern Völkerrecht? Und für welche anderen völkerrechtlichen Verträge gilt das noch?
Ahmads ganze Familie floh nicht zusammen nach Deutschland. Ahmad ließ eine hochschwangere Ehefrau mit zwei Kindern in Griechenland zurück, weil „das Geld für die Weiterreise nicht reichte“. In Griechenland wurde das sechste Kind der Familie geboren.
Ahmad wollte immer nach Deutschland. „Hier gibt es die Unterstützung, sie geben uns Sozialleistungen, sie geben uns dieses Haus“. Die Frage, wieviel Sozialgeld die Familie erhält, wird von ihm zu meinem Erstaunen so beantwortet: „Weiß ich nicht, das Geld wird überwiesen. Ich gehe zur Bank und hebe es ab“. Der Spiegel verfolgt diese Spur selbstverständlich nicht weiter. Der Sozialhilferechner im Internet kommt auf rund 4.000 Euro pro Monat, wobei diese Zahl sicher nur ein grober Anhaltspunkt ist. Das durchschnittliche pro Kopf-Einkommen in Syrien liegt bei 2750 Dollar – im Jahr. In Deutschland erhält der 32-jährige ungelernte Arbeiter Ahmad ein bedingungsloses Grundeinkommen, das ungefähr zehnmal so hoch ist. Werden von Politik und Medien nicht solche Pull-Faktoren rundweg abgestritten?
Offensichtlich ist Zweitfrau ein Schichtjob
Ahmad heiratete seine erste Frau, als sie 14 Jahre alt war. Seine zweite Frau heiratete er, als sie im zarten Alter von dreizehn Jahren war. In Deutschland wäre der Vollzug dieser Ehen nach §176 ein Missbrauchsdelikt, das mit Gefängnisstrafen bis zu fünf Jahren geahndet würde. Unter diesen Gesichtspunkten mutet die europaweite Fahndung nach einem deutschen Pärchen mit einer Minderjährigen schon etwas merkwürdig an.
Auch bei der Doppel- oder Tripelehe handelt es sich um das in Deutschland strafbewehrte Delikt der Bigamie §172 StGB. Von seiner dritten Frau lebt Ahmad getrennt, sie ist noch in Syrien. Wenn eine dritte Frau noch kommt, „müsste die Wohnung größer werden“, sagt Ahmed lachend, wobei wohl dem Zuschauer das Lachen vergeht. Im Schlafzimmer erklärt Ahmed schließlich, dass er hier mit seinen Frauen „nacheinander“ schläft. Offensichtlich ist Zweitfrau ein Schichtjob.
„Wie genau Bithul, die Erstfrau, nach Deutschland kam, ist unklar. Das zuständige Bundesamt will sich nicht äußern, aus Datenschutzgründen“ sagt die Stimme aus dem Off. Offenbar hatte Ahmad auf Familienzusammenführung geklagt und Recht bekommen. „Der Richter sagte mir: Wir helfen Ihnen, Ihre Frau hierher zu holen. Denn wir wissen, Sie sind Muslim und dürfen eine, zwei, drei oder vier Frauen haben. Da gibt es von Seiten des Gerichts keinen Widerstand, dass sie ihre Zweitfrau nachholen“.
Mit seiner Familienplanung hat Ahmad noch nicht abgeschlossen. Wie viele Ehefrauen möchten Sie haben? „Vier, bei Allah, Friede sei mit ihm“. Er könnte sich sogar eine deutsche Viertfrau vorstellen. Natürlich nur, wenn sie Muslima ist. Nach derzeitiger Rechtslage müsste er allerdings mit ihr zwecks Eheschließung nach Syrien reisen, um sich nicht strafbar zu machen. Derzeit ist Kind Nummer sieben unterwegs. „Wieviel Kinder wollen sie haben?“, wird Ahmad gefragt. „Ich? 10, 20 kein Problem.“ Da gibt es absolut kein Problembewusstsein in Ahmads Kultur – das Geld holt er ja bei der Bank ab. Bei zwanzig Kindern und vier Frauen erreichte seine Sozialhilfe das Einkommensniveau eines Bundestagsabgeordneten. Und die verdienen nicht schlecht.
Wie sich fühlt ein restdeutscher Hartz4-Empfänger?
Die deutsche Politik spricht gern darüber, die Fluchtursachen beseitigen zu wollen. Das ist eine Vernebelungsstrategie, weil der Aufbau einer Infrastruktur und Bildung der Bevölkerung in Drittweltländern nur langfristig Erfolg verspricht, aber den gegenwärtigen Druck der Migration zementiert. Bei dieser Argumentation wird eine ganze Elefantenherde im Raum geflissentlich ignoriert: das ungebremste Bevölkerungswachstum in den Ländern, aus denen sich die Migranten auf den Weg machen. Diese Bevölkerungsentwicklung in der dritten Welt ist die Hauptfluchtursache, aus ihr entstehen Armut, Hunger und Kriege.
Ahmad und seine Familie haben einen gerichtlich erstrittenen Flüchtlingsstatus für drei Jahre. Der Zuseher fragt sich: Wie hat ein Analphabet, der kein Wort Deutsch spricht, das hinbekommen? Aus dem Off tönt es: „Ahmad könnte somit einen Deutschkurs besuchen oder arbeiten. Er will aber lieber bei den Kindern bleiben“. Dabei wird gezeigt, wie Ahmad fröhlich in seinem Vorgarten mit den Kindern spielt. Dieser Film wirft ein ganzes Bündel von Fragen auf:
Wie sich fühlt ein restdeutscher Hartz4-Empfänger, der wegen eines Meldeversäumnisses beim Leistungsträger, wegen der Weigerung der Aufnahme einer Arbeit oder wegen Verstoßes gegen die Eingliederungsvereinbarung finanziell sanktioniert wird? Das Mittel der Leistungskürzung wurde im Jahre 2016 gegen über 900.000 Hartz4-Bezieher angewandt. Die dürfen dann im Fernsehen zuschauen, wie der 32-jährige Ahmad fröhlich „lieber bei den Kindern bleiben will“.
Ich frage mich darüber hinaus, was ein Mindestlohnarbeiter, der mit zwei Jobs gerade so seine kleine Familie durchbringt, von dem Funktionär einer „Arbeiterpartei“ halten soll, der zu dem Thema twittert: „Ob er arbeiten will oder nicht ist egal, ich schicke keinen Familienvater in den Tod“ (man muss bis zum 20. Februar scrollen, um den Tweet zu sehen).
Was mag im Kopf von Ahmad vorgehen?
Und was mag im Kopf von Ahmad vorgehen, wenn er sieht, wie seine Gastgeber ihm und seiner Großfamilie ein märchenhaftes leistungsloses Grundeinkommen zur Verfügung stellen, ein Haus und medizinische Vollversorgung? Und welches Anspruchsdenken wird erzeugt?
Ist es nicht nachgerade absurd, dass deutsche Steuerzahler für die gleichen Gesetzwidrigkeiten ins Gefängnis kommen können, die bei Flüchtlingsfamilien toleriert werden? Ist es nicht absurd, dass sie diese Gesetzwidrigkeiten auch noch ungefragt finanzieren müssen? Wie lange werden die braven deutschen Bürger noch so weitermachen, unabhängig davon, was ihnen zugemutet wird?
Ein gutes Schlusswort des freundlichen Syrers Ahmad zu diesem Spiegel-TV-Lehrstück, das wohl in die Filmgeschichte eingehen wird: „Ich bedanke mich sehr, sehr, sehr bei Mama Merkel… Auch den Deutschen danke ich, auch wenn es unter ihnen Rassisten gibt…“.
Manfred Haferburg lebt in Paris und ist Autor des Romans „Wohn-Haft“ mit einem Vorwort von Wolf Biermann.