Nicht nur Berlin: Ich kannte vor Jahren einen Apotheker in Niedersachsen, der sortierte seine möglichen Apothekerhelferinnen bei der Bewerbung mit der wahnsinnig verschärften Frage aus: Wieviel ist ein Prozent von einer DM. eine von zehn schaffte es.
Der künftige Berliner Bäcker (?) weiss zwar nicht, wieviele Säcke die zwei Prozent ausmachen, aber er kontert fundamentalkritisch gegen das herrschende, durch revisionistische Kräfte längst quasitranszendierte Ausbeutersystem und antwortet (ganz im Sinne der Frankfurter Adorno-Hilfsschule an der Horkheimerstrasse 18) politisch multispektral: “Oh, das kommt jetzt aber ein bisschen spontan…”. Richtig erkannt: Die spontane Überforderung ist nichts anderes als eine pseudologisch unterminierende Strategie wider die konsumorientierten Massen! Was sind schon zwei Prozent Mehlsäcke gegen die im abgeschafften Mathe-Unterricht heroisch erkämpften grünroten Basal-Kompetenzen? Hier in Europa werden diese spontanen zwei Prozente ganze Landstriche voller Flüchtlinge ernähren und erblühen lassen, derweil in China die mehlsackbedeutungsanalogen, konterrevolutionär-klassenkämpferisch agierenden Reissäcke einfach nur umfallen; dazu auch noch abseits jedes historischen Kontexts! Eine weitere Schande für Deutschland!
1990 kam ein türkischer Auszubildender (17 Jahre alt) zu mir auf die Baustelle. Die Firma hatte ihn mir zugeteilt. Der junge Mann hatte ein Abgangszeugnis einer deutschen Hauptschule, fast nur Noten 2, u.a. im Fach Deutsch. Er sprach aber kaum, d.h. nur rudimentär Deutsch. Ich fragte mich und ihn, wie er denn zu diesem Zeugnis gekommen sei? Darauf erhielt ich verständlicherweise keine Antwort. Ich machte mir also meinen eigenen Reim darauf. Wenn ich ihm handwerkliche Fertigkeiten zeigen wollte, war seine Standardantwort: “Ja, ich wissen, alles schon gemacht!” Er war weder ausbildungsfähig noch ausbildungswillig. Gegen Ende der Woche teilte ich ihm dann mit, er solle sich am Montag in der Firma melden, ich hätte keine weitere Verwendung für ihn. Meine Frage an meinen Chef, warum er mit dem jungen Mann einen Ausbildungsvertrag abgeschlossen hatte, wurde mir wie folgt beantwortet: Die Firma bekommt vom Arbeitsamt einen angemessenen Zuschuss! Ich muss allerdings hinzufügen, dass unsere deutschen “Azubis” oft keine bessere Referenzen vorzuweisen hatten. Ich stellte bei den jungen Leuten immer wieder eklatante Lese- und Rechtschreibschwächen sowie Mängel elementarer Mathematikkenntnisse fest. Einer wusste nicht einmal, wie viele Zentimeter ein Meter hat! Kreisberechnung gleich Null. Einfache Tätigkeiten wurden als nicht für die Ausbildung notwendig abgelehnt. Ich könnte ein Buch schreiben über die Ausbildungsfähigkeit und -willigkeit vieler “Azubis”. Allgemein stellte ich mit jedem Jahr eine fortschreitende Absenkung der beruflichen Qualifikation der Kollegen fest. Als bauleitender Monteur kam ich zunehmend in die Verlegenheit, immer mehr Arbeiten selber ausführen zu müssen, was vom Chef nicht gerne gesehen wurde, da er - mit Recht - fürchtete, dadurch käme die Bewältigung der Führungs- und Organisationsaufgaben ins Hintertreffen. Es entstand dadurch auch zwangsläufig Termindruck. Schreibarbeit bewältigte ich zunehmend nach Feierabend zu Hause. Meine wiederholten Bitten um Zuteilung anderer Kollegen wurde lapidar mit “habe ich nicht” beantwortet. Heute bin ich glücklich, dass ich mich mit diesen Problemen nicht mehr herumschlagen muss. Ich genieße mein “Rentnerdasein” und kann mich endlich mit Dingen beschäftigen, die ich immer schon gerne einmal ausprobieren wollte.
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