Matthias Heitmann, Gastautor / 01.10.2017 / 09:47 / 8 / Seite ausdrucken

Der Wochen-Wahnsinn: Europas Elitenschmelze erreicht Berlin

„Wir erleben das Ende der politischen Eiszeit in ganz Europa. Immer mehr Leute trauen sich, anders zu entscheiden, als es die Gesellschaftsmanager empfehlen. Und das ist gut – auch wenn ich die Sichtweisen vieler Konsensverweigerer kritisch sehe“, sagt Zeitgeisterjäger Matthias Heitmann im Gespräch mit TV- und Radiomoderator Tim Lauth in der aktuellen Ausgabe der Radiokolumne „Der WochenWahnsinn“. „Aber hier beginnen die Demokratie und der offene Wettstreit um die besten Ideen. Die Bundestagswahl ist nicht das Ende, sondern der Anfang der politischen Auseinandersetzung. Die Dinge kommen gerade erst ins Rutschen.“ Zum Anhören des Podcasts geht es hier entlang.

Tim Lauth: Herzlich Willkommen zu einer neuen Ausgabe des WochenWahnsinns! Mein Name ist Tim Lauth, und ich gehe wieder auf Zeitgeisterjagd mit dem Mann, der das gleichnamige Hardcoverbuch und E-Book geschrieben hat: Matthias Heitmann. Matthias, Deutschland hat gewählt. Vielleicht sollte ich sagen: Deutschland hat abgewählt. Was ist deine Einschätzung?

Matthias Heitmann: Für mich ist das Wahlergebnis ein weiteres Anzeichen dafür, dass die politische Eiszeit in Europa zu Ende geht. Das wird trotz so vieler Anzeichen nur selten so gesehen. Viele halten den anbrechenden politischen Frühling sogar für den Beginn einer Klimakatastrophe und wünschen sich den Winter zurück.

Lauth: Erklär das bitte mal genauer, Matthias: Da wird die AfD mit über 12 Prozent in den Bundestag gewählt, das politische und soziale Klima wird rauer und kälter, und Du sprichst vom Frühlingserwachen. Wie passt das zusammen?

Heitmann: Wenn Du nach einem langen Winter mit Dauerfrost das erste Mal durch den Stadtpark läufst, dann riecht es dort nicht nach Frühlingsblumen, sondern nach frisch aufgetauter Hundescheiße. Und trotzdem kommt der Frühling. Die Politik in der westlichen Welt war eigentlich in den letzten 30 Jahren hauptsächlich damit beschäftigt, das Ende der Nachkriegszeit zu ignorieren. Die politische Landschaft wurde tiefgefroren und immer stärker von den Menschen abgekoppelt, Politik ist zu einem Managementsystem verkümmert, das gar keine enge Bindung zu den Leuten eingehen will. Und genau gegen dieses Abgehängtwerden richtet sich der Protest – europaweit.

Lauth: Aber denkst Du wirklich, dass die AfD den Frühling einläutet?

Heitmann: Der Aufstieg der AfD zeigt die Unzufriedenheit vieler Leute und dass sie sich nicht mehr einfach nur als Politikverdrossene und Nichtwähler abstempeln lassen wollen. Der Eispanzer der Konsenspolitik bricht auf, und da kommen dann seltsame Blüten zum Vorschein. Die AfD ist ein Flüchtlingslager für politisch Heimatlose, Enttäuschte und Entfremdete. Man sollte diese Wähler inhaltlich konfrontieren, aber sie dafür zu kritisieren, dass sie sich der Berliner Pseudopolitik nicht mehr unterordnen wollen, hielte ich für falsch.

Lauth: Ok, aber wie hängt der Erfolg der AfD mit den anderen Wahlen in Europa zusammen…

Heitmann: Die AfD versteht sich als Abrissbirne, Architekten sind da nicht an Ruder. Und in dieser Hinsicht fügt sich die Bundestagswahl nahtlos ein in die Wahlentscheidungen der letzten eineinhalb Jahre: Der Brexit, die Wahl von Donald Trump, die Abwahl des kompletten Parteiensystems in Frankreich, jetzt die Beerdigung der Konsenspolitik in Deutschland, dazu die enormen Probleme der spanischen Regierung, das eigene Land zusammenzuhalten. Von Griechenland brauchen wir nicht reden, selbst die Entwicklung in der Türkei belegt es: Wir erleben eine einzigartige Elitenschmelze. Die Autorität des herrschenden Politikmodells wird immer offener infrage gestellt, und das eben nicht nur von außen, sondern auch von innen. Und dieser Prozess hat gerade erst begonnen.

Lauth: Aber woher nimmst du die Gewissheit, dass diese Entwicklung ein positives Ende nimmt?

Heitmann: Diese Gewissheit gibt es nicht. Politik folgt keinen Naturgesetzen, sie hängt von den Entscheidungen von Menschen ab. Aber wir erleben gerade Zeiten, in denen sich immer mehr Leute wieder trauen, anders zu entscheiden, als es die Gesellschaftsmanager empfehlen. Und das ist gut – auch wenn ich viele Entscheidungen anders treffen würde. Aber an diesem Punkt beginnen die Demokratie und der offene Streit um die besten Ideen. Die Bundestagswahl ist nicht das Ende, sondern der Anfang der politischen Auseinandersetzung. Die Eiszeit ist vorbei, die Dinge kommen gerade erst ins Rutschen.

Lauth: Ok, das ist mal ein optimistischer Ausblick! Und wahrscheinlich fehlt uns genau dieser Optimismus heute. Ich bin jedenfalls gespannt auf weitere gute Gründe für Optimismus und auf die nächste Folge des WochenWahnsinn mit Matthias Heitmann. Bis dahin: Machen Sie‘s gut – und besser!

Am 6. Oktober 2017 feiert das Bühnenprojekt „Zeitgeisterstunde“ von Matthias Heitmann und Tim Lauth Premiere im Frankfurter Kabarett „Die Schmiere“. Das Programm ist „ein Fitnessprogramm für den Verstand und ein „Würg-Shop“ für den zynischen Mainstream, denn es liefert, was heute gar nicht gut ankommt: gute Gründe für Optimismus. Weitere Infos und Karten unter: http://www.zeitgeisterstunde.de

 

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Leserpost

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Martin Wessner / 01.10.2017

Und wenn alsbald die nächste Weltwirtschaftskrise ansteht, dann wird nach dem politischen Frühling des Herrn Heitmann der politische Hochsommer mit echten Hitzewellen folgen. Abwarten. Genauso wird’s kommen. Der Kalender irrt sich nie.

Paul Mittelsdorf / 01.10.2017

Na, dann fangt mal an, Euch der AFD und ihren Wählern “inhaltlich zu stellen”. Davon reden Medien und Politiker, seitdem es die AFD gibt, aber, wie auch in diesem Interview, vermeidet man nichts mehr als die Inhalte des AFD-Wahlprogramms. Der Grund: Wenn man es täte, müßte man zugeben, daß hier doch “Architekten” und nicht nur “Abrissbirnen” am Werk sind.

Winfried Sautter / 01.10.2017

Keine der etablierten Parteien ist mit Bestandsgarantie ausgestattet. Manches überholt sich; und das Konzept der - kontinuierlich schrumpfenden - “Volksparteien” zeigt besonders, wie obsolet das überkommene Verständnis von Politik ist. Eigentlich ist Politik Auseinandersetzung, Wettstreit und Kompromiss, nicht erzwungener Konsens.

Karla Kuhn / 01.10.2017

” Die Bundestagswahl ist nicht das Ende, sondern der Anfang der politischen Auseinandersetzung. Die Eiszeit ist vorbei, die Dinge kommen gerade erst ins Rutschen.”  Sehr guter Artikel.

Hermann Neuburg / 01.10.2017

“Die AfD versteht sich als Abrissbirne, “, Herr Heitmann, das ist nicht Ihr Ernst, es ist genau umgekehrt, sie versteht sich als Bewahrerin von Alt-Bewährtem. Der Konservative lehnt Neues nicht grundsätzlich ab, sondern sieht Neues nicht nur weil es Neu ist positiv, sondern nur dann positiv, wenn das Neue wirklich überzeugend ist. Wenn Sie sich Mal ausgiebig mit dem Islam und seiner Geschichte auseinander setzen würden, dann wüssten Sie, dass der Islam, in unsere Gesellschaft getreten durch die Muslime, in Wahrheit eine Abrissbirne ist. Und die tausenden Betonpoller, z.B. wie Anfang September beim Alstervergnügen in Hamburg, sind genau die Verteidigungslinien gegen die Abrissbirnen von Anhängern des Islam. Vom Spaltpilz oder Abrissbirne Euro möchte ich erst garnicht sprechen. Sie dürfen diese Meinung haben, aber ich sage Ihnen: das ist vollkommen unbegründet und Ihre Analyse zu 95% falsch.

Joachim Datko / 01.10.2017

Ich erwarte mir von der AfD, dass in Zukunft im Bundestag so wichtige Themen wie Masseneinwanderung, Islamisierung, Euro-Krise und Parallelgesellschaften im Bundestag ausführlich diskutiert werden. Joachim Datko - Ingenieur, Physiker

Joachim Kuhlmann / 01.10.2017

Wie wäre es, sich auch an einer letzten Stelle endlich ehrlich zu machen, indem man sich hier auf der Achse nicht mehr nur mit spitzen Fingern den Wählern der AfD zuwendete? Ich behaupte, dass rund 2/3 Ihrer Leserschaft ohnehin AfD wählen oder u.U. wählen würden. Etwas mehr journalistische Neutralität, aber dafür weniger Belehrung („inhaltlich konfrontieren“, was auch immer das heißen soll) wäre klasse.

Wilfried Cremer / 01.10.2017

Die Politische Korrektheit ist auch eine Abrissbirne, nämlich die der unbefangenen Meinungsäußerung. Drum: Zwei Birnen donnern aufeinander zu wie Moschusochsen in der Tundra.

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